Du - © Illusttationen: Rainer Messerklinger

Meine ungesellige Geselligkeit

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Covid-19 justiert die sozialen Arrangements neu. Wie hat sich der Umgang mit dem Du verändert – mit dem anonymen, dem funktionalen und dem intimen? Klar ist: Das Virus residiert unsichtbar auf dem Gegenüber. Wer nicht Abstand hält, macht sich mitschuldig.

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Covid-19 justiert die sozialen Arrangements neu. Wie hat sich der Umgang mit dem Du verändert – mit dem anonymen, dem funktionalen und dem intimen? Klar ist: Das Virus residiert unsichtbar auf dem Gegenüber. Wer nicht Abstand hält, macht sich mitschuldig.

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„Sein ist wahrnehmen und wahrgenommen werden“: Mit diesem Satz hat es der irische Bischof George Berkeley in die Schulbücher geschafft – und erkenntnistheoretisch argumentierend auch auf die zentrale Bedeutung des Verhältnisses zwischen einem Du und einem Ich verwiesen. Eine solche Begegnung stand ja am Anfang: Adams Geschichte, die bis in unser Heute reicht, begann erst, als Gott dem einsam in einem riesigen Garten Gefangenen die Gefährtin Eva schuf.

Die bunte Biographie unseres Stammvaters – Versuchung, Sündenfall, Vertreibung aus dem Garten Eden, Arbeitsleid, der mörderische Sohn und schließlich die Begründung eines Geschlechts, das sich tatsächlich die Erde untertan machen würde, mit den bekannten Folgen: Das alles sind mittelbare Folgen der Interaktion zwischen einem Ich und einem Du. Schon Adam und Eva lebten keine Idylle. Was Kant unsere „ungesellige Geselligkeit“ nennt, den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem nach Einsamkeit, ist uns offensichtlich eingeschrieben.

Und so kann der Zivilisationsprozess als Entwicklungsgeschichte verstanden werden, in der die Prozeduren der intimen Beziehung zwischen dem Ich und dem Du periodisch neu ausgehandelt wurden. Dabei haben alle großen Katastrophen – und damit auch die Pandemien zwischen der mittelalterlichen Pest und der Spanischen Grippe – soziale Arrangements neu justiert. Was Corona betrifft, so werden künftige Historiker diese Veränderungen quellenmäßig belegt fixieren können. Der Beitrag des involvierten Augenzeugen ist gering, doch spürt er wohl, dass bei diesem Unterfangen inhaltliche Differenzierungen angesagt sind – vor allem die Unterscheidung zwischen einem idealtypischen anonymen, einem funktionalen und einem intimen Du, bei gleichzeitiger Benennung des sozialen Ortes ihrer Begegnung.

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