Medicinicum Lech - © Medicinicum Lech

Medicinicum Lech zeigt Wege zu Genuss und Gesundheit auf

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Lust und Wohlbefinden sichern das biologische Überleben. Doch sie können auch zu Gier, Sucht und Krankheit führen. Das Medicinicum Lech beleuchtete ein existenzielles Menschheitsthema.

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Lust und Wohlbefinden sichern das biologische Überleben. Doch sie können auch zu Gier, Sucht und Krankheit führen. Das Medicinicum Lech beleuchtete ein existenzielles Menschheitsthema.

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„Du darfst, was du willst, sofern das, was du willst, einen Trieb der großen Verbrecherin Natur aktualisiert und deine Befriedigung hebt". Bei einem Kongress über Sucht und Genuss darf es nicht wundern, wenn auch ein Zitat von Marquis de Sade ins Spiel gebracht wird. Der französische Adelige (1740-1814) hatte sich darauf spezialisiert, die Lustpotenziale des menschlichen Körpers bis zum Exzess auszuschöpfen - ohne moralische Bedenken und selbst auf Kosten von Anderen. Sein Werk ist ein Extrembeispiel dafür, was passieren kann, wenn der Mensch sich von der Moral befreit und seine hedonistische Natur verabsolutiert, wie Johannes Huber in seinem Vortrag bemerkte.

Beim heurigen Medicinicum Lech beschrieb der zweite wissenschaftliche Leiter dieser Veranstaltung eindrucksvoll, wie das Streben nach Genuss und Wohlbefinden tief in unserem Nervensystem verankert ist: Lust- und Glücksempfinden entsteht auf Basis eines faszinierenden hormonellen Zusammenspiels. Eine ausgedehnte hedonistische Landkarte durchzieht das menschliche Gehirn, wobei zwei Neurohormone für die chemische Sprache von Glück und Genuss besonders prägend sind: Dopamin und Serotonin.

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Auch die Nase spielt eine große Rolle, denn Duftreize laufen von dort über einen "heißen Draht" direkt ins Gehirn. Kulinarischer Genuss wird bekanntlich auch über den Geruch vermittelt. "Menschen sollen schätzungsweise über eine Billion verschiedene Mischungen von Riechstoffen unterscheiden können", so Huber. "Köche finden hier also ein schier unendliches Reservoir für immer neue Geruchserlebnisse beim genussvollen Essen."

Die Genussareale im Gehirn sind aus den Tiefen der Evolution heraus entstanden. Nicht nur der Mensch, alle Lebewesen streben nach Wohlbefinden. Und das Wohlbefinden weist den Weg zum Überleben des Individuums und der Spezies, indem es mit biologisch sinnvollen Zielen assoziiert ist: "In der unglaublich langen Geschichte der Evolution sind die Objekte des Begehrens letztlich die gleichen geblieben: Immer geht es darum, das Territorium abzugrenzen sowie Nahrung und einen Geschlechtspartner zu finden", erläuterte der Wiener Gynäkologe. Kurzum: Alles dreht sich um Essen, Sex und Besitz, wenn man den basalen biologischen Tatsachen ins Auge blickt.

Europas größtes Gesundheitsproblem

"Verhalten, welches das Überleben unserer Spezies sichert, hat die Evolution mit Glücksgefühlen verknüpft: So lieben wir zum Beispiel fettiges Essen, weil es uns einen Energieschub verschafft." Zucker-, fett- und salzreiche Lebensmittel sorgen in der Regel für die vielen kleinen Genüsse unseres Alltags. Sie regen die beiden Botenstoffe Dopamin und Serotonin im Gehirn an und gehen mit Belohnungseffekten einher.

Doch aus dem Genuss kann immer auch ein "Hypergenuss" werden, wie Professor Huber sagt, eine Überreizung im Sinne von "zuviel des Guten". Hat die Evolution hier den "Sündenfall der Sucht" gleichsam in Kauf genommen, weil die Erhaltung des Lebens über allem anderen steht? Bei der Übermittlung von Erbgütern ist möglicherweise ein biologischer Kopierfehler entstanden, vermutet der Hormonexperte: Auf der Schattenseite des Genusses lauere oft die Sucht.

Übersättigung - Zucker, Salz & Fett stimulieren das Belohnungssystem im Gehirn. Die Belohnungssignale können das Sättigungsgefühl überlagern: Übersättigung und Übergewicht sind die Folgen. - © Shutterstock
© Shutterstock

Zucker, Salz & Fett stimulieren das Belohnungssystem im Gehirn. Die Belohnungssignale können das Sättigungsgefühl überlagern: Übersättigung und Übergewicht sind die Folgen.

Nicht nur Alkohol und andere Drogen können zum Suchtmittel werden. Studien weisen darauf hin, dass auch Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt zu neurobiologischen und Verhaltensänderungen führen können, die durchaus einer Suchtentwicklung entsprechen. Trotz aller Erkenntnisse über gesunde Ernährung ist die Zahl der Übergewichtigen und Adipösen weiterhin im Steigen, hat das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) vor Kurzem vermeldet: Europas größtes Gesundheitsproblem sei derzeit das Übergewicht.

Vorbildliche Ernährungskulturen

Auch Markus Metka, der erste wissenschaftliche Leiter des Medicinicum Lech, kam auf diese Problematik zu sprechen, indem er Zucker, Salz und Fette in einem Vortrag zugespitzt als die "gefährlichsten Suchtmittel unserer Zeit" bezeichnete. Anders als lange propagiert, sei es weniger das Fett, sondern vielmehr der Zucker, der für die grassierende Adipositas mit all ihren schwerwiegenden Folgen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen verantwortlich sei. Besonders schädlich sei der Fructose-Sirup, von dem in den USA jährlich 25 Liter pro Kopf konsumiert werden.

"In Amerika leiden heute bereits Kinder unter Diabetes-Typ-2 - eine Krankheit, die früher als 'Altersdiabetes' bezeichnet wurde", so der Gynäkologe und gebürtige Vorarlberger. "Und im Hinblick auf versteckte chronische Entzündungen wirkt übermäßiger Zuckerkonsum, als ob man Öl ins Feuer gießen würde." Durch stumme Entzündungen entstehen im Körper unter anderem zu viele freie Radikale; das bedingt oxidativen Stress: Die aggressiven Sauerstoffmoleküle greifen die Zellen und sogar die DNA im Zellkern an. Krebs, Herz-Kreislauf- und chronische Darmerkrankungen werden damit in Verbindung gebracht.

Medizinisch vorbildliche Ernährungskulturen finden sich etwa in der traditionellen mediterranen und originalen asiatischen Küche. Gerade die Bewohner der Mittelmeerländer demonstrieren, dass Genuss und Gesundheit gut zusammenpassen, wenn sie zu ihren Mahlzeiten mit viel Fisch und Gemüse das eine oder andere Glas Rotwein trinken. Auch die hohe Lebenserwartung in Japan kommt nicht von ungefähr: "Die japanische Kost ist die Anti-Aging-Küche schlechthin", bemerkte Metka, der in einem weiteren Vortrag die Vorzüge des Fastens beschrieb. Zu diesem großen Thema schien übrigens schon ein antiker Philosoph viel Einsicht gewonnen zu haben: "Wie die Ratten den gefülltesten Speicher heimsuchen, so die Krankheiten die überfütterten Leiber", hat Diogenes von Sinope (412-323 v. Chr.) hellsichtig bemerkt.

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