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Digital In Arbeit

„Das Gespenst der Nutzlosigkeit geht um"

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dieFurche: Immer wieder hört man von Ihnen die Forderung nach Umverteilung - zum Beipsiel der vorhandenen Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung. Läßt sich Arbeitslosigkeit dadurch lösen, daß man den einen etwas wegnimmt und den anderen gibt?

Caritas-Präsident Franz Küberi.: Ich glaube, man muß endlich über ein paar grundsätzliche Dinge diskutieren: wenn Arbeit und Einkommen nicht so verteilt sind, daß alle in einer Mindestform etwas davon haben, dann muß man andere Möglichkeiten der Aufteilung überlegen. Umverteilung ist ja nicht etwas, das nur mit einem simplen Wegnehmen zu tun hat. Im kirchlichen Rereich hört man das Wort „teilen" sehr gerne. Das Wort „umverteilen" hat hingegen oft keinen so guten Klang. Dabei findet ständig Umverteilung statt, durch Steuern beispielsweise oder - sinnvollerweise - vom Rund auf die Länder und so weiter.

Ich glaube allerdings, daß Umverteilung nur dann funktioniert, wenn ein gewisses Minimum an Einsicht bei den Betroffenen vorhanden ist, ansonsten führt sie zu Aggression. Umverteilung kann daher nur heißen, daß derjenige, der etwas hergeben soll, auch etwas zurückbekommt. . Wenn beispielsweise durch Arbeitszeitverkürzung mehr Lebensqualität entsteht, dann ist das nicht ein bloßes Wegnehmen. Man bekommt etwas zurück, wenn auch etwas anderes, mit dem man aber durchaus etwas anfangen kann.

Das ist der eine Punkt. Der zweite hat wohl auch mit der Einsicht zu tun, daß eine Gesellschaft in Wirklichkeit nur gemeinsam überleben kann.

Der dritte, wichtige Punkt hängt mit Solidarität zusammen. Es gibt einen gewissen Schwund an bestimmten Solidaritätsformen. Es gibt aber auch neue Formen, denken Sie an Aktionen wie „Nachbar in Not".

dieFurche: Sie sehen die Lösung darin, Wohlstand auch immateriell zu definieren?

Kübkrl: Umverteilung wird nur dann funktionieren, wenn Wohlstand etwas ist, was man auch immateriell definieren kann. Der Wohlstand einer Gesellschaft hängt dann von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise davon, daß der einzelne auch Werte hat, die ihn über das Materielle hinausgehend leben lassen. Ob das Freundschaft ist oder Engagement für eine gute Sache. Das kann Freiheit sein -auch die Glaubensfreiheit. Das kann all das sein, was man im immateriellen Sinn auch als Glück und Erfüllung versteht.

Das alles korrespondiert natürlich sehr stark mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und damit, daß man eine tragfähige Grundausrichtung fürs Leben braucht. Das kann im unmittelbar religiösen, aber auch in einem etwas breiteren Sinne sein. Die Schwierigkeit bei diesen immateriellen Voraussetzungen des Wohlstands ist, daß sie personengebunden sind, und daß diese Voraussetzungen auch so etwas wie einen gesellschaftlichen Rückenwind brauchen. Wenn es den nicht gibt, reduziert sich das Leben letztlich darauf, ganz einfach zu sagen, jeder ist seines Glückes Schmied. Aber das ist eine Philosophie, von der wir wissen, daß sie die Starken stark macht und die Schwachen umbringt.

dieFurche: Wie wollen Sie beispielsweise leistungsorientierten Menschen klarmachen, daß sie auf einmal teilen sollen, wo sie doch selber oft mehr oder weniger zu kämpfen haben, um in unserer Gesellschaft halbwegs mitlaufen zu können?

Küberl: Die Gesellschaft besteht eben nicht nur aus Leistungsstarken, obwohl es in Österreich sehr viele davon gibt.

Es kommt allerdings noch ein Phänomen hinzu, das wohl mit dem fall des Eisernen Vorhangs zu tun hat: es sind seit da mals offensichtlich auch einige sozialethische Schranken gefallen. Die Umorientierung der Unternehmen von Ertragserzielung auf Gewinnma-ximierung ist ein Paradigmenwechsel. I Iier kommt eine neue Gesinnung zum Vorschein. Allerdings nicht nur bei den Unternehmen. Viele Menschen, die nach Tschechien und Ungarn fahren, um dort billig einzukaufen, erinnern mit ihren Hamsterkäufen an uralte Kulturformen, die die Menschen zum Überleben gebraucht haben. Solche Verhaltensweisen sind heute aber völlig verkehrt.

Ich kenne viele Leute, die wissen gar nicht, wie reich sie im Grunde sind. Wir haben innerhalb von eineinhalb Generationen soviel Wohlstand angehäuft, daß wir noch gar nicht richtig damit umgehen können.

dieFurche: Leben viele Österreicher in einer Art geistiger Wagenburg, die ihnen völlig den Blick verstellt für die Probleme und Sorgen anderer Men-sclien?

Küberl: Das ist die eine Seite. Aber wir haben auf der anderen Seite unendlich viele Leute, die sich in großartiger Weise für andere und mit anderen einsetzen. Da könnte ich Ihnen als Caritas-Verantwortlicher . ..stundenlang erzählen-., Es..gibt 111 Österreich, ein Sölidaritätspotential, das man nicht unterschätzen sollte. Möglicherweise regieren so gesehen manche Parteien in Wirklichkeit sogar gegen den Willen der Wähler ...

dieFurche: Haben Sie das Gefühl, mit Ihrer Sicht der Dinge auch gehört zu werden?

Küberl: Ich weise deshalb manchmal so zugespitzt darauf hin, weil ich als Caritas-Verantwortlicher die Erfahrung mache, daß es so etwas wie das Gespenst der Nutzlosigkeit gibt, das über vielen Menschen kreist. Aber ich glaube daran, daß wir in einer Gesellschaft leben, die die Kraft hat, die Wertigkeiten in Zukunft ein bißchen anders zu sortieren.

Natürlich gibt es in diesem Zusammenhang viele Phänomene. Zu einem veränderten Wohlstandsbegriff beispielsweise würde auch dazugehören, daß man die ganze Frage des nicht abschaffbaren Leides mit hereinnimmt. Das Leid wird in unserer Gesellschaft stark weggedrängt oder sozusagen verprofessionalisiert. Da gibt es die angestellten Leidbewacher, die professionell mit Leid umgehen. Die Frage des Mit-Leides ist aber eine erftare Angelegenheit, die jeden von uns angeht.-Die Frage ist, ob man diese Fähigkeit auch lebt oder jemanden bezahlt, der an seiner Stelle mit anderen mitleidet. Aber mit dieser Einstellung wären wir nicht weit weg von bestimmten Lebensformen des Altertums. Da gab es ja auch die Klageweiber, die anstelle der anderen, die keine Zeit hatten, geklagt haben

Ich glaube, damit jemand überhaupt leben kann, braucht er zumindest einen anderen, der ihm sagt: du bist wichtig, du wirst gebraucht. Wer einen sol -chen anderen nicht hat, der kann wohl nicht leben.

Diese Einstellung ist aber sehr an die Person gebunden. Sie läßt sich nicht delegieren. Es kann nicht der Sozialminister anstelle des einzelnen sagen: Du bist wdchtig. Und gerade die Frage, ob man eine Arbeit bekommt oder nicht, ist ein ziemliches Indiz dafür, ob man gemocht und gebraucht wird oder nicht. Diese Dinge hängen eng zusammen.

dieFurche: Mitleid, Solidarität, Zuneigung - das alles sind menschliche Verhaltensweisen, die sich nicht so einfach in die Gesellschaft hineinwünschen lassen

Küberl: Mit Appellen allein erreicht man auch gar nichts. Appelle verhallen wrie Stiefelschritte auf Asphalt. Ich glaube, daß das Vorleben und das Augenaufmachen eine große Rolle spielen. Und - eine gewisse Stärkung des Selbstbewußtseins ist wichtig.

Einer meiner ständig wiederkehrenden Hinweise ist, daß Trösten, Verzeihen und Versöhnen die eigentlich wichtigen Talente sind, die jedem von uns mitgegeben sind. Die spannende Frage ist, ob wir sie überhaupt anwenden wollen. Die Beantwortung dieser Frage kann man dem einzelnen nicht abnehmen.

Die zweite Frage ist, ob es Orte gibt, wo man auf diese wesentlichen Dinge aufmerksam gemacht wird, wo sie eingeübt werden können, wo man Ermunterung erfährt.

Als Christ sage ich: wir haben 3.000 Solidaritätsstützpunkte, 3.000 Pfarren in Österreich, und wir haben noch viel mehr Gruppen, die in verschiedenster Form arbeiten. Die entscheidende Frage ist, ob diese Gruppen in der Lage sind, auch diese Dimensionen des Lebens mitzugeben, da sie ja auch viele andere Funktionen auszuüben haben.

Ich wünsche mir sehr, daß man am Sonntag in der Eucharistie eine Form findet, Brotkörbe mit den guten Taten der Leute einzusammeln. Und umgekehrt wäre es wichtig, eine Formel zu finden, mit der man sagen kann: großartig, was ihr da unter der Woche alles geleistet habt. Das sind große Aufgaben und es geht darum, ob das nicht auch eine Aufgabe wäre für jene Menschen, die in den Parteien tätig sind.

dieFurche: Könnte es nicht sein, daß man sich auch in der Politik trotz gegenteiliger Beteuerungen in Wirklichkeit schon längst mit der hohen Ar-beitslosigkeit abgefunden hat? KüRERI.: Es scheint eine Mischung aus Resignation und Spekulation zu sein. Mag sein, daß viele Politiker sich sagen, da bemühen und bemühen wir uns und schaffen es nicht, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Aber ich vermute, daß es durchaus auch Leute gibt, die mit der Entwicklung ganz gut leben können, daß es immer eine gewisse Schicht von Arbeitslosigkeit und Armut gibt. Denn damit läßt sich in gewisser Wei -se auch spekulieren: Menschen, denen es schlecht geht, sind auch eher bereit, zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten als andere.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

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