Vladimir Gligorov arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Forscher am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche. Er beschäftigt sich mit den Konsequenzen der Globalisierung und den Folgen der EU-Erweiterung sowie den Volkswirtschaften in Südosteuropa.
Die Furche: Der Gipfel der G20 von London soll nach Darstellung des britischen Premiers Gordon Brown eine neue Weltordnung hergestellt haben. Ist das der Fall?
Vladimir Gligorov: Zumindest was die Rolle des Internationalen Währungsfonds betrifft, zeigt sich ein Umdenken.
Die Furche: Der IMF war schon unter die toten Institutionen gereiht worden und darf nun Milliarden verteilen. Aber ist das eine revolutionäre Entwicklung?
Gligorov: Durchaus, wenn Sie sich ansehen, wie sich der IMF in den vergangenen Monaten selbst reformiert hat. Früher war die Maxime des Fonds, um jeden Preis stabile Budgets herzustellen - oft auf Kosten der Volkswirtschaften. Das ist jetzt anders. Jetzt achtet man darauf, ob die vorgelegten Programme insgesamt sinnvoll sind und langfristig helfen. Die Neuverschuldung steht nicht mehr an erster Stelle. Außerdem können Regierungen jetzt ohne lange und sehr komplizierte Verhandlungen auf einen Notfonds zugreifen.
Die Furche: Allein in Afrika beträgt der Investitionsentfall 700 Milliarden Euro für 2009. Reichen die 1.100 Milliarden der G20 für die gesamte Weltwirtschaft.
Gligorov: Es stellt sich generell die Frage, ob diese Summen überhaupt dem Handel zugute kommen werden. Eigentlich sind sie gedacht, um die Währungen der einzelnen Länder zu stabilisieren und so an der Stabilisierung des Gesamtsystems mitzuarbeiten.
Die Furche: Die Prognosen der Wirtschaftsforscher werden immer pessimistischer. Was kommt noch auf uns zu?
Gligorov: Das Problem mit diesen Prognosen ist, dass sie auf Daten basieren, die zum Teil mehrere Monate alt sind. Sie kommen also zu spät, um die aktuelle Situation zu beschreiben. Es gibt jedenfalls Indikatoren, nach denen die Talsohle der Krise bereits erreicht ist. Wenn Sie dazu allerdings Paul Krugman befragen, wird er Ihnen sagen, dass das nur eine kurzfristige Erholung ist.
Die Furche: China könnte sich schneller erholen als Europa und die USA. Müssen sich die USA Sorgen um ihre Vormachtstellung machen?
Gligorov: Die Sorge, China könnte die USA in Schwierigkeiten bringen, ist übertrieben. Jede Abwertung des Dollars würde China in seinen Währungsreserven massiv schädigen. Wenn China früher erholt als die EU, können wir froh sein. Besonders Österreich braucht Export-Märkte.
Die Furche: Wann werden die Bürger die Belastungen der Staatshaushalte spüren?
Gligorov: Im Moment noch nicht. Erst wenn die Krise für die Finanzmärkte vorbei ist wird sich die Frage stellen. Eine hohe Inflation ist dann nicht ausgeschlossen.
* Das Gespräch führte Oliver Tanzer
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