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Ein osterreicher, der keiner ist

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Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Walter von Molo schreibt das Deutsche Volksblatt, Stuttgart:

„Vom Oesterreichischen hat dieser Oesterreicher nicht viel mitbekommen: er ist ein bekennerischer Charakter, im menschlichen Alltag aber ein erfrischend humoriger und grobkörniger Mann, kein glatter Literat und Leisetreter, kein Opportunist...“

Gemessen an Hofmannsthal, dem glatten Literaten, an Wildgans, dem Leisetreter, und an Musil, dem Opportunisten, ist Walter von Molo in der Tat kein Oesterreicher... Was wir ihm hiermit gerne bescheinigen. Ad multos annos!rationen brauchen, um diejenige vollwertige, zeitgemäße Erneuerung der ehemals den monarchisch-dynastischen Formen zugrunde liegenden Koexistenz der Donauvölker zu finden, die neuerdings deren historische Funktion im europäischen Gleichgewicht in souveräner Freiheit, die keiner Kontrolle von außen mehr bedarf, zu übernehmen vermag. Gefunden aber muß dieser Weg werden, da in ihm die einzige realistische Hoffnung liegt, daß sich in Europa eine Ordnung herauskristallisiert, in der die Großen durch die Kleinen auf die lange Sicht von Jahrhunderten verhindert werden, die Zivilisation und sich selbst zu zerstören, statt dessen vielmehr eine neue Zivilisation, die auf den kleinen Kreisen konkreter sittlicher Verantwortung beruht, sich neu zu bilden vermag.

Hier liegt der Uebergang unserer Betrachtungen zur aktuellsten Frage unserer Zeit: Atomkraft und Weltfriede („Furche“, Dezember 1954), die durch die neue Freiheit Oesterreichs zwar noch keineswegs zauberhaft gelöst ist, die aber in der neuen weltpolitischen Perspektive, welche durch die österreichische Neutralität begründet wurde, in ein neues Licht getreten ist. So wie die einzige Hoffnung, daß die beiden Weltatommächte daran gehindert werden, sich wechselseitig und zwangsläufig in die Weltkatastrophe hineinzutreiben, darin liegt, daß das Weltchristentum, ja der römische Katholizismus, angefangen vom Papsttum über alle ihm bewußt anhängenden Staatsmänner, Wissenschaftler, Organisatoren bis zum kleinen Mann in jedem katholischen Volk, sein besonderes, aufbauendes, nicht zerstörendes Wort in die internationale Waagschale zu werfen lernt, wodurch die Weltmächte auf eine gerade, gemeinsame Straße gezwungen werden — so liegt nicht minder die einzige Hoffnung für eine sinnvolle und dauerhafte Rekonstruktion der politischen Weltordnung, die in sich selbst eine automatische Friedenssicherung ist, in dem mühevollen, geduldigen Aufbau kleiner neutraler Kreise, die zu größeren Gliederungen werden können. Groteskerweise könnte es geschehen, daß die vielleicht schon in kurzer Zeit realisierbare technische Möglichkeit des Atomkrafteinsatzes für die Friedenswirtschaft gerade auch den kleinen Völkern die potentiellen Waffen in die Hände drückt, über die heute nur die Weltvölker verfügen, damit aber den Unterschied zwischen Großen und Kleinen in der Weltpolitik illusorisch macht. Niemand kann dies heute mit Sicherheit wissen. Das mag zu einer Vervielfältigung der Kriegsgefahr ' von heute führen, wenn es nicht schon vorher von einer Vervielfältigung des geistigen Einsatzes überall, für den das historische Christentum die Hauptverantwortung hat, aufgefangen wird. Denn sicher ist, daß auch dann der Geist, nicht die Waffen über den Weg der Zivilisation entscheiden werden, sofern nur der Geist wirklich auch an sich selbst glaubt.

Darin liegt die große moralische Bedeutung des österreichischen Sieges der letzten Wochen, daß es ein solcher des Geistes ist. Daher haben die Weltmächte selbst die österreichische Neutralität international proklamiert, weil in dieser Idee eine Sicherung gegen sich selbst und die Ueberschätzung des bloß Militärischen liegt. Diese Wendung des österreichischen Schicksals, die vielleicht schon im Keim die Wendung des Schicksals der Welt einschließt, zeigt in erstaunlichster Weise, was auch heute noch ein kleines Volk vermag, selbst wenn es keine Waffen hat. Man wird dafür einer mutigen Staatsführung, aus beiden Parteien zusammengesetzt, auch wenn sie naturgemäß des vollen Verständnisses seitens einer der Weltmächte bedurfte, das Hauptverdienst zuerkennen dürfen. Nichts kann man vom Ausland her Oesterreich inniger wünschen, als daß die Zivilcourage, ja Atomcourage seiner Staatsmänner in allen möglichen Situationen der Zukunft anhält. Je mutiger Oesterreich weiterschreitet, um so selbstverständlicher werden auch weiterhin die großen Wirkungen sein, die auf seiner Straße liegen. Der Mut zu einem neuen Konzept auf österreichischer und russischer Seite hat diese Wendung möglich gemacht. Mag es auf russischer Seite was immer gewesen sein: marxistischer Realismus und Pragmatismus, woran die Anti-marxisten oft vorbeisehen, altrussische Staatsweisheit, die nach dem Gegengewicht gegen Deutschland sucht, oder auch nur die bloße Geschicklichkeit des Schwimmers, der auszureichen versteht. Im Falle Oesterreichs sollte die Zukunft beweisen, daß es die alte Kühnheit des dem österreichischen Homo politicus eingeborenen christlichen Staatsdenkens war (dessen konservativer Spielart ich immer auch eine sozialistische als komplementär erachtet habe), wodurch der neue Tag für Oesterreich bereitet worden ist. Wenn sich auch weiterhin die beiden politischen Denkformen Oesterreichs, deren Gemeinschaft dieses Ergebnis hervorgebracht hat, nebeneinander oder nacheinander ergänzen werden, kann es an der Durchführung der großen Aufgaben, die der österreichischen Neutralität anvertraut sind, auch in Zukunft nicht fehlen.

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