Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ernüchterung nach einer künstlich gepushten Euphorie
Offen gestanden, mich verwundert die derzeit laut werdende Kritik an den Folgen der EU-Mitgliedschaft Österreichs nicht. Im Grunde genommen wird in den letzten Wochen eigentlich das nachgeholt, was vor einem Jahr und zwar vor der EU-Abstimmung fällig gewesen wäre: nämlich eine Debatte über die damals voraussehbaren Folgen einer EU-Mitgliedschaft.
Tatsächlich bot die Bundesregierung den Österreichern im Vorjahr keine umfassende, die Vor- und Nachteile abwägende Information. Vielmehr wurde uns Monate hindurch und konsequent eine von der Agentur Demner1 & Merlicek gut inszenierte und durchgezogene Werbekampagne verordnet. Und Werbekampagnen haben es nun einmal in sich, daß sie nicht die ganze Wahrheit sagen, sondern den Verkaufserfolg im Auge haben und dementsprechend einseitig informieren.
155 Millionen wurden flüssig gemacht. Politik, Wirtschaft, Kultur, ja sogar die Kirche, kurz alles, was Rang und Namen hatte, wurde in
dieses Konzept eingebaut. Alle Medien mit Ausnahme von „Täglich Alles” rührten die Werbetrommel für den EU-Beitritt.
Ich habe in meinen Aufzeichnungen gestöbert. Im Bückblick wird deutlich, wie stark da mit Emotionen gearbeitet worden ist. Was wurde da nicht alles versprochen! Klar, daß sich jetzt Unmut zu äußern beginnt, wenn das verheißene Schlaraffenland nicht anbricht. Von einer Verbilligung der meisten Waren (mit Ausnahme der Bananen, erinnern Sie sich?) war da die Bede: 1.000 Schilling Ersparnis pro Monat.
Und wie stark wurde an die Gefühle, vor allem an die Angst appelliert - zugegeben auf beiden Seiten! Dazu einige Beispiele: Vor einer Schilling-Abwertung im Falle eines Nein-Votums warnte der „Kurier” (v. 30. 4. 94) ebenso wie vor einem Verlust der Förderungen für die Bauern (5. 5. 94), während die „Krone” das Urlaubs- und Weihnachtsgeld bedroht sah (am 10. 6. 94). Am 11. 6. 94 bezeichnete die „Krone” die EU-Gegner als „Brandstifter”. Ein „Kurier”-Kommentar warnte sogar vor der Destabilisierung des Staates
und des internationalen Umfeldes von Österreich (am 8. 6. 94). Weniger reißerisch, aber mit ähnlichem Grundton ging es in den „seriöseren” Medien her. Was da im Spiele war, konnte man in „Die Presse” (11. 6. 94) im Zusammenhang mit dem Anti-EU-Kurs von Kurt Falk lesen. Dieser Kurs „könnte die
Berührungsangst in eine bleibende Abneigung der Werbewirtschaft gegenüber Falk umwandeln ...”
Ist es da verwunderlich, daß die damals künstlich gepushte Euphorie der nüchternen Realität auf Dauer einfach nicht standhalten kann?
_y_
Nicht auf die Härten vorbereitet
Jetzt erkennen wir so manches, was eigentlich vorhersehbar war: daß der Beitritt überstürzt über die Bühne gezogen worden ist. Eine „Jahrhundertentscheidung” hätte eben eines ausführlichen Überlegens und geeigneter Übergangsregelungen bedurft. Und die Bevölkerung hätte auf die absehbaren Härten, insbesondere für die Landwirtschaft, hingewiesen werden müssen. Auch daß es zu einem Anwachsen der Verkehrsbelastung im Transit kommen würde, war keineswegs überraschend. Zu sagen, Österreich beharre zwar auf dem 38-Tonnen-Gewichtslimit für Lkw, kontrolliere es aber nicht, zeigt, wie unseriös vieles angegangen worden ist.
Und das Budgetdefizit: Jedes
Schulkind hätte bei ausreichender Information erkannt, daß es durch den EU-Beitritt explodieren würde. Außenminister Wolfgang Schüssel macht es sich heute allzu leicht, wenn er erklärt, man habe „die Budgetauswirkungen unterschätzt” (furche 18/1995). Als aber ein Wifo-Experte diese Binsenweisheit vor der Abstimmung kundtat, wurde er von der Begierung zurechtgewiesen. Wenn es vor der Abstimmung hieß, man wolle nicht an der Neutralität rütteln (wohl weil 75 Prozent der Österreicher sie beibehalten wollten), wenn man nun aber schon über eine Nato-Mitgliedschaft nachdenkt, so fühlen sich viele Wähler einfach verschaukelt.
Das Unbehagen, das sich jetzt artikuliert, hängt meiner Überzeugung nach nicht nur an den paar Schilling, die die importierten Waren derzeit immer zu teuer sind. Es wurzelt Vertrauensverlust, in der Art, wie uns die EU verordnet worden ist. Langsam werden die absehbaren Opfer, die die Mitgliedschaft von uns fordert, erkennbar: in der Landwirtschaft, im Verkehr, auf dem Arbeitsmarkt, beim Steuerzahlen ...
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!