Taschenuhr - © Foto: Pixabay

Heinz Nußbaumer: Wir und die Welt - eine Ermutigung

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Auszug aus der Dankrede von FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer im Rahmen des Festaktes zum "Concordia-Ehrenpreis für das Lebenswerk".

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Auszug aus der Dankrede von FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer im Rahmen des Festaktes zum "Concordia-Ehrenpreis für das Lebenswerk".

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Ich kenne die Verlockung, aus festlichem Anlass die eigenen Erinnerungen zu "behübschen" und die Rahmenbedingungen des Journalismus von heute zu beklagen -eingekesselt zwischen Konkurrenzdruck, Verlegerwünschen, Zeitgeist und Konkurrenz mit den sogenannten "sozialen Medien" samt allem dort verbreiteten Müll.

Aber wahr ist auch: Jede Zeit hat ihren Journalismus mit seinen eigenen Chancen und Problemen. Deshalb fehlt meiner Generation jede Befugnis für späte Urteile. Also möchte ich mein Zeitfenster lieber zur Ermutigung jener nützen, die bei ihren Lesern, Hörern, Sehern für mehr Weltwissen und für die Durchlüftung unserer österreichischen Heimat zu sorgen haben. Kollegen, die sich auch mit der Frage nach unserem rotweißroten Auftrag in Europa und der Welt beschäftigen.

Unbelastet, aber interesselos

Keine leichte Aufgabe: Wir Österreicher haben einen langen geschichtlichen Weg hinter uns, der beides erklären könnte: mehr Weltoffenheit -oder weniger. Wir haben so gut wie immer den zweiten Weg gewählt.

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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

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Wir waren nie ein Kolonialstaat, nie eine seefahrende Nation. Waren neutral und ohne Blockbindung. Unbelastet hätten wir auf andere Länder und Kontinente zugehen können. Aber wir haben aus dieser Sonderstellung zu oft einen anderen Schluss gezogen: Desinteresse.

Wir waren auf tragische Weise auch Mitgestalter beider Weltkriege, haben unbeschreibliche Opfer gebracht und auch verursacht. Das hätte uns später zu einem Zentrum der Konfliktforschung und der Friedenssuche machen können, ja machen müssen. Doch die Botschaft an meine Generation war eine ganz andere: "Lasst tunlich die Finger von der Politik!"

Die Mehrheit der Österreicher hat unsere Neutralität nicht als Auftrag, sondern als einen sicherheitspolitischen Schlafpolster verstanden: 'Herr, halte fern, was unsere Ruhe stört.'

Wir wären aufgrund unserer Lage, Kleinheit und Neutralität zum Brückenbau berufen gewesen: nach außen, über alle Mauern und Zäune hinweg, aber auch nach innen, um Vorurteile und lauerndes Misstrauen gegenüber Fremden abzubauen.

Und tatsächlich: Als Begegnungsort waren wir oft gesucht -und eine erprobte Diplomatie ist damit auch erfolgreich umgegangen. Nur: Öffentliche Breite hat diese Mission nie gehabt, meist ist sie nur als "Akrobatik unter der Zirkuskuppel" bestaunt worden.

Die Mehrheit der Österreicher hat unsere Neutralität nicht als Auftrag, sondern als einen sicherheitspolitischen Schlafpolster verstanden: "Herr, halte fern, was unsere Ruhe stört."

Dahinter ist zu oft auch ein Selbstbetrug gestanden: "Wozu engagieren -uns hat sowieso jeder gern." Bis irgendwann die Rückschläge auf uns niedergeprasselt sind. Prompt war auch das ein Anlass für weltpolitische Distanz -als Trotzreaktion wegen des Liebesentzugs.

Zudem war Österreichs Außenpolitik, von wenigen Kreisky-Alleingängen abgesehen, kaum je ein Thema innenpolitischer Überlegungen -gleichgültig, wer das Land regiert hat. Diskussionen zur Rolle Österreichs haben bestenfalls in Randgruppen stattgefunden. Über viele Jahre hat der einzig hörbare Ausbruch aus diesem Desinteresse einen Namen gehabt: Hugo Portisch.

Und wir, die außenpolitischen Journalisten, haben uns oft gefragt -und tun das vielleicht noch immer -, wie sinnvoll es ist, die Informationen und Interessen ausländischer Nachrichtenagenturen in unser Medien-Bachbett zu leiten. Wer aber hat, den ORF einmal ausgenommen, in Österreich wirklich das Geld, um heimische Journalisten in alle Ecken der Erde zu schicken, um das Weltgeschehen mit unseren Augen zu sehen -ohne das Spiel anderer Interessen ungewollt mitzuspielen?

Ich fürchte, dass jene, die gerade jetzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren und finanziell abschlanken wollen, diese zentrale Bildungs-und Informationsaufgabe viel zu wenig mitbedenken. Direkt gesagt: Mir fehlt das Vertrauen, dass private, meist von außen hereinstrahlende Medien ihre Aufgabe darin sehen, Aug' und Ohr Österreichs in der Welt zu sein. In diesem Land gab und gibt es schon jetzt kaum ernsthafte, breiter aufgestellte Diskussionen um unsere Mission, unsere "corporate identity" in Europa und der Welt; wer wir im größeren Verbund sind -und sein wollen.

Wir haben einen langen Weg hinter uns, der beides erklären könnte: mehr Weltoffenheit - oder weniger. Wir haben so gut wie immer Zweiteres gewählt.

Ein paar Jahre habe ich etwa gedacht, jedes EU-Mitglied -auch wir -würden einen bestimmten Beitrittskandidaten zugeteilt bekommen, um ihm auf dem Weg zur Demokratisierung und Europäisierung ein "Schutzengel" zu sein. Europäische Geschwisterschulung sozusagen. Daraus ist nichts geworden -es hätte auch uns gutgetan.

Ein paar Jahre habe ich auch gedacht, wir bekämen -nach Hugo Portischs "Marshallplan für Afrika" - ein Land des Südens zur Begleitung und Betreuung, dem wir auf die Füße helfen würden; nicht nur finanziell, sondern auch beim Aufbau des Rechtsstaates, einer funktionierenden Gewaltenteilung, einer effizienten Bildungs- und Sozialpolitik usw. Ja, auch bei der Organisation einer qualitätsfördernden Medienpolitik. Was hätte das auch uns bereichert - auch interkulturell, interreligiös! Und wie peinlich wäre es unter solchen Vorzeichen gewesen, unser skandalös geringes Entwicklungsbudget so lange aufrecht zu erhalten! Es ist nicht geschehen

Dieses vielfache Scheitern hat seine Auswirkungen auf unser Land:

Politisch, weil unser Platz am globalen Tisch nur dann an Kraft und Kontinuität gewinnt, wenn dahinter das Verständnis und die Zustimmung unserer Bevölkerung steht.

Wirtschaftlich, weil in einer Zeit, die so viele Chancen für kreative Start-ups eröffnet, der Mut zum Sprung über unsere Grenzen gar nicht genug an Weltwissen bekommen kann.

Geistig bräuchten wir diese Weltoffenheit, um manche innenpolitische Aufgeregtheit angesichts der wahren Probleme dieser Welt als tragikomische Belanglosigkeit zu erkennen.

Und moralisch? Die Erfahrung sagt, dass mangelndes Interesse an der Welt immer auch einen Schwund an Solidarität und globalem Humanismus bewirkt.

Was wären meine Wünsche?

Was also wären meine Wünsche zu mehr Öffnung und Durchlüftung:

  • Meinen Außenpolitik-Kollegen von heute wünsche ich, dass sie nicht aufhören, über unser Land und seinen Platz unter den Nationen nachzudenken, darüber noch öfter zu schreiben und das Thema zu einem nationalen Anliegen zu machen.
  • Den Medieninhabern wünsche ich die Erkenntnis, dass redaktionelle Kompetenz nicht allein durch die Lektüre internationaler Zeitungen am Bildschirm entsteht. Andere Völker, Kulturen, auch Religionen muss man erleben, muss sie buchstäblich "riechen" können. Außenpolitische Journalisten müssen reisen dürfen, so wie ich das noch durfte. Müssen ein Mehr an Verständnis aus persönlichen Begegnungen schöpfen können. Sonst bleibt ihr Wort kraftlos.
  • Meiner Regierung, die bald für sechs Monate das Zepter der Europäischen Union übernehmen wird, wünsche ich, dass ihr noch mehr als bisher bewusst ist, wie sehr gerade der hochentwickelte Kleinstaat die Verankerung und das Interesse der Welt braucht.
  • Und uns allen möchte ich in Erinnerung rufen, dass die Entscheidung über Weltoffenheit oder Nabelschau zwei zentrale Schauplätze kennt. Der eine ist eine Politik, der die Förderung von weit offenen, qualitätvollen Medien ein besonderes Anliegen ist. Der zweite Schauplatz sind die Zeitungskioske, Trafiken und Abo-Bestellscheine - wenn wir uns für Medien entscheiden, die uns mit hohem Anspruch diese Zeit und Welt erklären.
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