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Konfuzius gegen westliche Dekadenz

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So wie in der islamischen Welt wird auch im chinesischjapanischen Raum die euro-amerikanische Kultur in Frage gestellt (siehe auch Fur-chk Nr. 21). Dort sieht sich eine von östlichen Religionen geprägte Gesellschaft massiv von westlichen Werten bedroht.

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So wie in der islamischen Welt wird auch im chinesischjapanischen Raum die euro-amerikanische Kultur in Frage gestellt (siehe auch Fur-chk Nr. 21). Dort sieht sich eine von östlichen Religionen geprägte Gesellschaft massiv von westlichen Werten bedroht.

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Die euro-amerikanische Kultur als Produkt von Renaissance, Reformation und Aufklärung mit dem Postulat unverzichtbarer Rechte des Individuums, ihrer parlamentarischen Demokratie und einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, erhebt Anspruch auf weltweite Akzeptanz. Diese Forderung wird nicht nur in den islamischen Staaten in Frage gestellt, wo von den 39 Ländern im günstigsten Fall sieben als Demokratien angesehen werden können. Auch in Ostasien wird der Wunsch nach eigenständigen Formen des menschlichen Zusammenlebens auf der Grundlage tradierter Vorstellungen immer deutlicher artikuliert.

I )ic rasante wirtschaftliche Entwicklung dieser Region spielt dabei eine zweideutige Rolle: Auf der einen Seite ermutigen die ökonomischen Erfolge, die Emanzipationsbestrebungen vom einst dominierenden Westen zu beschleunigen, auf der anderen Seite wird mit dem Übergang zur modernen Industrie und Informationsgesellschaft ein Erosionsprozeß ein£Ska|t;> der - analog zu de: Entwicklung in Nordamerika ü: EuropaftÖlJSug auf das Christentum' - die grundlegenden Werte der durch Konfuzius geprägten Gesellschaft bedroht. Der Ausgang dieses Ringens zwischen dem Hedonismus des Westens und der konfuzianischen Ethik wird das 21. Jahrhundert prägen.

Das asiatische Denken räumt nicht der Freiheit des einzelnen, sondern dem Harmoniebedürfnis der Gemeinschaft Vorrang ein. Konfuzius würde heute den Begriff „Menschenrechte” mit „Eintracht und Disziplin” umschreiben. Die Ordnung wird nicht durch die Gewaltenteilung eines Montesquieu (wonach sich Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit gegenseitig kontrollieren) gewährleistet, sondern durch allgemein akzeptierte Normen. Gesellschaftliche Autoritäten werden selten in Frage gestellt. Eine schlechte Be-gierung soll nicht ausgewechselt, sondern besser beraten werden. Darin läge alle politische Kunst. Volksmacht und Volkskontrolle sind fremde Begriffe.

Buth Benedict hat in ihrem Buch „The Chrysanthemum and The Sword” auf den fundamentalen Unterschied zwischen der asiatischen Kultur der Scham und der westlichen Kultur der Schuld hingewiesen. Schuldkulturen sind monotheistisch, denn Gott ist allwissend und kennt die Sünden des einzelnen Menschen. Im Fernen Osten, wo viele Götter angesprochen werden, wird Scham nur empfunden, wenn die Vergehen öffentlich bekannt werden. In diesen Kulturen ist Sünde kein religiöser, sondern ein gesellschaftlicher Begriff. Eine Belohnung oder Bestrafung im Jenseits wird nicht erwartet.

Konfuzius verurteilt zwar in einigen Schriften den Profit, doch kommt seine Lehre den Ansprüchen der modernen Industrie und Informationsgesellschaft entgegen: Lebenslanges Lernen wird gefordert. Sparen und Investieren sind in Asien wichtige soziale 'Fugenden, die an die protestantische Ethik nach Max Weber erinnern. Nicht der einklagbare Vertrag, sondern 'freu und Glauben sind die

Geschäftsgrundlagen. Loyalität, Respekt vor geistiger Autorität, Achtung vor der Gelehrsamkeit, Akzeptant von Hierarchie und Seniorität, Genügsamkeit, Anpassung, Fleiß und Leistungsorientierung sind anerkannte Werte.

Eine Übernahme der westlichen Gesellschaftsordnung wird abgelehnt. So kommentiert der frühere Präsident von Singapur, Lee Kuan Yew, einer der großen autoritären Staatsmänner Asiens, den Regierungswechsel in Tokio nach den letzten Parlamentswahlen wie folgt: „Ich glaube nicht, daß Japan eine zersplitterte, streitbare Gesellschaft wie Amerika werden wird, die ständig diskutiert und einander bekämpft. Das ist nicht ihre Kultur. Sie wollen Wachstum und sie wollen mit dem Leben fertig werden. Sie sind nicht an Ideologien interessiert ... Amerikaner glauben, daß aus dem Streit und dem Zusammenprall verschiedener Ideen und Ideale eine gute Regierung entsteht.

Diese Ansicht wird in Asien nicht geteilt.Wenn wir in unseren sozialen Beziehungen und Familienstrukturen dem Westen folgen, werden wir in große Schwierigkeiten kommen. Im Westen wird die christliche Religion genützt, um Angst vor Strafe in der Hölle und Belohnung im Himmel zu erzeugen. Wissenschaft und Technologien haben diese Furcht beseitigt. Dadurch ist der Kontrollmechanismus weggefallen. Ich hoffe, daß wir unser moralisches Verhalten nicht verlieren werden, da asiatische Moral sich darauf gründet, was in dieser Welt gut ist und nicht im Jenseits. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist, daß wir Eltern und Familie nicht durch den Staat ersetzen sollen. Wenn ein Kind im Westen geboren wird, kümmert sich der Staat darum. Das ist gefährlieh. Wer in Asien ein Kind in die Welt setzt, ist für dieses selbst verantwortlich.

Solange unsere Gesellschaft in dieser traditionellen Weise strukturiert ist, werden wir vom Westen verschieden sein. Wir werden nicht erlauben, • daß Räuber Mitbürger ü herfallen und stehlen. Wir werden die Menschen nicht sterbend oder tot auf der Straße liegen lassen. Und Kranke werden nicht aufgegeben werden, da unsere Kultur die Familie veranlaßt, sich um sie zu sorgen, da sonst die Angehörigen Schande erleiden.”

An anderer Stelle aber sagt Lee: „Mit dem freien Markt kommt das freie Denken, das den freien Markt lenkt. Viele Menschen, große Gruppen von Managern, Ingenieuren, Fachleuten gewöhnen sich daran, selbst zu entscheiden. Ich glaube, sie werden auch im Sozialbereich, im Wirtschaftsleben mitreden wollen, auch darüber, wie sie regiert werden. Teilhabe an der Regierung wird daher unausweichlich. Gutes Regieren bedarf der Partizipation.”

Der fundamentale Unterschied zwischen dem asiatischen und abendländischen Denken wurde besonders deutlich, als im Frühjahr 1994 erstmals ein Delinquent weißer Hautfarbe in Singapur zu einer barbarischen Körperstrafe verurteilt wurde. Der damals 18jährige Amerikaner Peter Fay hatte gestanden, in 18 Fällen mit einer Gruppe Jugendlicher mehrere Autos mit Farbe besprüht, mit Eiern beworfen oder verbeult zu haben. Er wurde wegen Vandalismus zu vier Monaten Gefängnis, einer Geldstrafe von etwa 30.000 Schilling und sechs Stockschlägen verurteilt. Weder weltweite Proteste noch Drohungen mit Sanktionen konnten die Vollstreckung dieser - übrigens einst von den Briten in Singapur eingeführten - Strafe verhindern.

Über die Härte der Prügelstrafe besteht auch in Asien kein Zweifel. Man

glaubt jedoch, „barbarisches Verhalten in der Öffentlichkeit nur durch barbarische Strafen wirksam bekämpfen zu können”. In diesem Zusammenhang wird oft auf die kaum mehr kontrollierbare Kriminalität in amerikanischen und europäischen Großstädten verwiesen: Es wäre richtiger - so die Meinung der Verantwortlichen im Fernen Osten **, durch zugegebenermaßen drakonische Maßnahmen für Sicherheit und Ordnung zu sorgen als hilflos Zustände zu tolerieren, wie sie in der „permissive society” des Westens festzustellen seien. Gesprächspartner aus Asien erinnern an Meinungsumfragen in den USA, die zeigten, daß sich die durch hohe Kriminalität verunsicherte Bevölkerung vom Sturm der offiziellen Entrüstung gegen die Bestrafung des jungen Amerikaners nicht habe mitreißen lassen. So hätten sich in einer Umfrage der Los Angeles Times im April 1994 - einen Monat vor der Vollstreckung des Verdikts - 49 Prozent für und 48 Prozent gegen das Urteil ausgesprochen.

Überraschenderweise vertrat auch der frühere Bürgermeister von New York, Ed Koch, in einem über „Global Viewpoint” verbreiteten Artikel den Standpunkt, daß eine mildere Form körperlicher Bestrafung (etwa starke Hiebe mit dem Ledergürtel) dem Vandalismus und vor allem der

Wiederholungskriminalität - die in seiner Stadt bereits 50 Prozent aller Straftaten ausmache - Einhalt gebieten würde. Der Spielraum der Bestrafungsmöglichkeiten, die sich heute in Gefängnis und Todesurteil erschöpfen, sei zu klein geworden. Auch in der liberalen „New York Times” warb ein Artikel von A. M. Rosenthal um Verständnis für das Urteil von Singapur. Es ist naheliegend, daß solche Äußerungen in den Ländern des Fernen Ostens als Bestätigung des asiatischen Weges interpretiert werden.

„Blut ist dicker als Wasser” Die traditionellen Familienbande konnten in Ostasien nicht zerstört werden

Ob es zwischen der euroamerikanischen und konfuzianischen Kultur letztlich zu jener Auseinandersetzung kommen wird, die der Havardprofes-sor Samuel Huntington in seinem berühmten Artikel „The Clash of Ci-vilisation” vor zwei Jahren vorausgesagt hat, ist ungewiß. Unbestritten sollte die beidseitige Lernfähigkeit der so unterschiedlichen Lebensauffassungen sein.

Beispielgebend für Europa und Nordamerika sind etwa die in Asien sehr engen Familienbande, die in den kommunistischen Jahrzehnten des Bambusvorhangs selbst in China nicht zerstört werden konnten. Konfuzius erwies sich auch hier stärker als Marx. So haben Tausende Emigranten in Singapur, Malaysia, anderen Staaten des Fernen Ostens wie auch in den USA ihre auf dem chinesischen Festland lebenden Familienangehörigen unterstützt: „Blut ist dicker als Wasser.”

Auch der Erziehung wird in den Ländern unter konfuzianischem Einfluß die ihr zukommende Bedeutung zuteil. Das kann man von Europa nicht behaupten. Hier stehen die jungen Menschen meist nicht mehr unter dem Einfluß von Familie, Schule und Kirche, sondern werden vom Fernsehen erzogen. Die Television aber richtet sich nach den Einschaltzahlen und ist somit wertneutral. Eine treffende Karikatur im Monatsjournal der „Neuen Zürcher Zeitung” zeigt den kleinen Wolfgang, der vor dem Fernsehschirm im bequemen, jedoch noch viel zu großen Fauteuil neben Trommelgewehr und Teddybär sitzt und auf den Krimi, die Horrorshow, die Spätnachrichten, den Nachtporno und - auf seine Eltern wartet.

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