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NATO-Manver im Norden

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Eine zweite Ursache ist die zweifellos schon vorhandene stärkere Aktivität der NATO im Norden Europas. Deutsche Truppen üben in Dänemark, deutsche Offiziere nehmen an anderen Übungen in Nordnorwegen teil, darunter in Gebieten, die von den Sowjets seit jeher mit größtem Mißtrauen und voll von Befürchtungen beobachtet werden. Die Zahl der Polaris-U-Boote nimmt rasch zu, und ihre Bestückung ist der der sowjetischen U-Boote weit überlegen. Wichtige sowjetische Häfen und Industriezentren sind für sie auch dann erreichbar, wenn sie sich westlich und nördlich des öre-sund befinden. Die Abriegelung der Einfahrt in die Ostsee nützt den Russen hier nichts mehr: Die norwegischen Flottenstützpunkte haben eine außerordentlich hohe Bedeutung erhalten. Ist es nicht verständlich, wenn Moskau sehr viel Mühe darauf verwendet, diesen skandinavischen Raum zu „neutralisieren“? Und ist es so schwer zu verstehen, wenn diese Bemühungen gerade in Helsinki und Stockholm ein starkes Echo finden?

Die Neutralität Schwedens und Finnlands entstand aus verschiedenen Bedingungen heraus, doch sie ist in beiden Ländern nicht nur in den politischen Parteien, sondern auch in der Bevölkerung fest verankert. Die Äußerung eines Zweifels an der Echtheit dieser neutralen Gesinnung kann auch einen sonst zurückhaltenden finnischen Politiker oder Staatsmann zu sehr scharfen Erwiderungen veranlassen. Jede Andeutung, daß man sich am Gängelband Moskaus befinde, wird hier als eine Beleidigung aufgefaßt. Es wäre mitunter gut, wenn man sich bei Betrachtungen der finnischen Situation in Mittel- und Westeuropa solcher Reaktionen erinnern würde!

Nachdem vorher schon Finnlands Staatspräsident Kekkonen und Staatsminister Virolainen auf die Wichtigkeit einer allianzfreien Politik hingewiesen hatten, sprach am 11. März der schwedische Außenminister Torsten Nilsson vor der Paasikivi-Gesellschaft in Helsinki zum gleichen Thema. Die überaus starke und positive Reaktion der finnischen Presse auf diesen Vortrag zeigte ziemlich klar, daß Nilsson dabei auch im Namen der Finnen gesprochen hatte, möglicherweise dabei weitergehend, als es ein finnischer Politiker in einer sehr ausgesetzten Position gewagt hätte. Die wachsende Bedeutung einer allianzfreien Politik im Frieden und einer Neutralität in Zeiten kriegerischer Verwicklungen geht nach Nilsson aus folgendem hervor: • Je größer die Zahl der neutralen Länder in der Welt werde und je vorsichtiger sich die Großmächte in ihrem Verhalten zueinander zeigen, um so größer werde auch das Verständnis und das Vertrauen für die bündnisfreie Politik einer Gruppe von Ländern.

• Nur Länder mit einer eindeutig bündnisfreien Politik können in dieser Welt mit ihrer Vielfalt von ungelösten Problemen vermittelnde und ausgleichende Funktionen übernehmen. Die Grenzen zwischen den Maohtblöcken sind heute ins Schwimmen geraten. Neue Gruppierungen und die Sonderinteressen einzelner Staaten durchschneiden die früher gezogenen Linien.

• Diese Entwicklung führte dazu, daß Staaten, die eine bündnisfreie Politik verfolgen, heute bei weitem nicht mehr jenem starken Druck ausgesetzt sind wie zur Zeit der Höhepunkt des kalten Krieges! Die Neutralitätspolitik erscheint diesen Völkern heute ebenso realistisch wie positiv! Ist diese Politik mit einer Ablehnung der Atombewaffnung verbunden, dann findet sie sogar die uneingeschränkte Sympathie der Großmächte, die alle ein Interesse daran haben, daß sich die Zahl der Kernwaffenmächte nicht erhöhe. • Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg einer allianzfreien Politik ist allerdings, daß die Umwelt vom Willen dieser Staaten, an ihrer politischen Linie festzuhalten, überzeugt wird und zu diesen Staaten Vertrauen gewinnt. Ein solches Vertrauen aufzubauen und zu erhalten verlangt viel Sorgfalt und tägliche Mühe, Festigkeit und Konsequenz!

Neben diesen grundsätzlichen Erklärungen zur Neutralitätspolitik gab es im Vortrag Außenminister Nilssons einige Passagen zur Europapolitik, die als Seitenblicke auf die Politik Österreichs in dieser Frage gedeutet werden können.

Die volle Mitgliedschaft in der EWG ist nach schwedischer Auffassung mit einer allranzfreien Politik völlig unvereinbar. Der klar vorgezeichnete Weg der Sechsländergruppe führe über die wirtschaftliche Integration zu einer politischen Union. Diese aber schließe eine enge Bindung an den Atlantikpakt ein!

Soweit man erkennen kann, wäre es auch ein wirtschaftlicher Vorteil für die EWG, in Zusammenhang mit einer Erweiterung ihres Mitgliederkreises ein Assoziierungsabkommen mit den Neutralen abzuschließen. Es ist jedoch deutlich erkennbar, daß in führenden EWG-Kreisen gegen eine Assoziierung neutraler Staaten starke Bedenken bestehen, gerade weil man ein so starkes Gewicht auf die politische Zielsetzung der EWG legt. Die Problematik um das Verhältnis der neutralen Staaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird zweifellos zu gegebener Zeit wieder in den Mittelpunkt der Europamarktdiskussionen gestellt werden. Für den Zusammenhalt innerhalb der EFTA und der Fin-EFTA ist es jedoch von großer Bedeutung, daß man den angeschlossenen Staaten auf außenpolitischem Gebiet die größte Handlungsfreiheit gibt.

Es ist sehr bemerkenswert, daß sowohl Virolainen als auch Torsten Nilsson zu verstehen gaben, daß das Bekenntnis zu einer bündnisfreien Politik auch die Möglichkeit einschließe, im Bedarfsfalle seine Meinung und die Linie seiner Politik ändern zu können! Die Staaten, die aus eigenem Willen neutral sind, haben hier eine größere Bewegungsfreiheit als die Staaten innerhalb eines Militärbündnisses oder innerhalb einer politischen Union einer Staatengruppe! Die Neutralitätspolitik Schwedens ist weder in der Verfassung festgelegt noch entspringt sie einem Vertrag mit außenstehenden Staaten! Sie ist eine geschichtlich hervorgewachsene Politik, die das Land selbst gewählt hat, weil sie sie für die richtige Politik hielt und die es, wenn dies notwendig erscheinen sollte, auch aufgeben kann, ohne andere Staaten um die Erlaubnis fragen zu müssen! Wer jedoch glaubt, in dieser Möglichkeit zu einer Richtungsänderung eine Schwäche der Neutralitätspolitik entdecken zu können, urteilt vollständig falsch, denn jeder Versuch, diese Linie zu verlassen, würde einem außerordentlich starken Widerstand begegnen!

Gerade diese innere Freiheit der Wahl gibt der. Neutralitätspolitik ihre Stärke. Sie dient heute nicht nur schwedischen und finnischen Interessen, sie stärkt auch die Position anderer neutraler Staaten und sie wird dadurch zu einer europäischen Aufgabe!

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