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Pakistan — Weg ins Chaos?

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Ein englischer Beobachter berichtet, daß der Nachfolger Ayub Khans „den Deckel des in Uberdruck befindlichen Pakistan fest zuschraubt, ohne Sicherheitsventile anzubringen“. Schon jetzt, bald nach der Machtergreifung Yahya Khans, setzt sich der Widerstand einflußreicher Oppositionspolitiker in Bewegung. Sie verübeln ihm vor allem die Aufstellung von militärischen Sondergerichten in Ostpakistan zur prompten Aburteilung sezessionistischer Ostpakistanis und seine Weigerung, vor 1970 öffentliche Wahlen zuzulassen.

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Ein englischer Beobachter berichtet, daß der Nachfolger Ayub Khans „den Deckel des in Uberdruck befindlichen Pakistan fest zuschraubt, ohne Sicherheitsventile anzubringen“. Schon jetzt, bald nach der Machtergreifung Yahya Khans, setzt sich der Widerstand einflußreicher Oppositionspolitiker in Bewegung. Sie verübeln ihm vor allem die Aufstellung von militärischen Sondergerichten in Ostpakistan zur prompten Aburteilung sezessionistischer Ostpakistanis und seine Weigerung, vor 1970 öffentliche Wahlen zuzulassen.

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Der in militärischer Hinsicht als sehr fähig bezeichnete Nachfolger Ayubs übernimmt ein furchtbares Erbe. Ein gutinformierter Kommentator schreibt: „Wenn Yahya Khan die sich abzeichnende katastrophale Lage meistert, wird er als einer der größten Männer der pakistanischen Geschichte angesehen werden; gelingt ihm dies nicht, so wird man ihn den Totengräber Pakistans nennen.“

Die der Machtergreifung Yahya Khans vorangegangenen schweren Unruhen haben Pakistan, das noch wenige Monate vorher u. a. von der Weltbank als „Juwel unter den Entwicklungsländern“ bezeichnet worden war, wirtschaftliche Verluste in der Höhe von mindestens zweieinhalb Milliarden D-Mark zugefügt.

Denn abgesehen von der muselmanischen Religion, die in einer von entfesseltem Materialismus gekennzeichneten Zeit viel von ihrer bindenden Kraft eingebüßt hat, unterscheiden sich vor allem West- und Ostpakistan in Rasse, Sprache, Kultur, und sogar in ihrem sozialen und wirtschaftlichen Aufbau. Von der den meisten Westpakistanis geläufigen Sprache ist die im östlichen Landesteil am meisten gesprochene Sprache mindestens ebensosehr verschieden wie etwa Englisch von Deutsch. Von den hundertzwanzig Millionen Pakistanis lebt mehr als die Hälfte in Ostpakistam und erwirtschaftet dort fast drei Viertel der Deviseneinnahmen Pakistans mit einem durchschnittlichen Einkommen, das kaum an die Hälfte des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung West-pakistams heranreicht. Die meisten Elendsviertel des Landes sind im östlichen Landesteil, wo überdies eine unverhältnismäßig große Anzahl von Westpakistanis viele der einträglichsten und einflußreichsten Stellen einnehmen. Und ebenso wie sein Vorgänger Ayub Khan stammt auch der neue Machthaber aus einer angesehenen westpakistanischen Familie und ist trotz mancher anerkennenswerter Fähigkeiten schon aus diesem Grunde sehr vielen Ostpakistanis ein Dorn im Auge. Viele gute Asienkenner sind der Meinung, daß die Gewährung der jetzt von unzähligen Pakistanis geforderten größeren Selbständigkeit Ostpakistan eine Lawine ins Rollen brächte, die zur Auflösung des gesamten pakistanischen Staatsgebildes führen könnte. Vor allem ausländische Kommentatoren übersehen in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß bei der Zweiteilung des indischen Subkontinents nach dem Aufhören der britischen Herrschaft mehrere Gebiete Westpakistans ohne Volksbefragung in das neugeschaffene Pakistan eingegliedert wurden, die nach Sprache, Rasse und Kultur vom Großteil der Bevölkerung Westpakistans verschieden sind. Ihre Un-abhängigkeitsbestrebungen wurden bisher von der pakistanischen Regierung in Zaum gehalten und großteils unauffällig bekämpft, doch erinnert man sich daran, daß zum Beispiel in den Jahren vor 1962, und vor allem zwischen 1960 und 1962 die von Afghanistan unterstützten Forderungen der Schaffung eines von Pakistan unabhängigen Grenzlandes „Pakhtunistan“ so lautstark geworden waren, daß sogar die Gefahr eines bewaffneten Konflikts mit Afghanistan bestand, die erst 1963 im Verhandlungswege beseitigt wurde.

Interessant ist, daß weitblickende Inder die derzeitige Entwicklung der Lage in Pakistan mit sehr gemischten Gefühlen beurteilen. Einerseits ist ihnen die durch schwere Unruhen und die Gefahr einer Zerreißung des Nachbarlandes entstandene Lage nicht unwillkommen, da sie seit Jahren Pakistan als wirklichen oder zumindest potentiellen Feind Indiens betrachten; anderseits aber befürchten sie ernstlich eine durch diese Entwicklung geförderte sehr starke zusätzliche Einflußgewinnung Pekings in Pakistan — und das scheint ihnen noch gefährlicher.

Es ist durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, daß der soeben in Neu-Delhi angekündigte Plan, die indischen Ausgaben für die Landesverteidigung und die weitere Modernisierung der indischen Landstreitkräfte, Luftwaffe und Kriegsflotte beträchtlich zu erhöhen, mit diesen ernsten Befürchtungen einer zusätzlichen gewaltigen Einflußgewinnung Pekings in Pakistan zusammenhängt.

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