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Schacher um Pakistan

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Seit der sowjetische Generalstabschef unverblümt von der Möglichkeit einer „Strafexpedition“ in rotchinesische Gebiete sprach, rücken die küstenfernen Gebiete Asiens, in denen sich Einflüsse von Supermächten überschneiden, immer mehr in das Blickfeld von Asienkennern. Im Gegensatz zur Ansicht mancher westlicher Kommentatoren sind sie der Meinung, daß diese Gebiete noch mehr als die küstennahen Länder Asiens als der „wahrscheinlich wichtigste Schlüssel zur Beherrschung ganz Asiens angesehen werden müssen. Unter anderem seien Pakistan, Afghanistan und andere mehr oder weniger küstenferne Teile Asiens heute geradezu Spielbälle in den Händen mehr oder weniger getarnter Einflüsse, die „hinter den Kulissen“ sogar chaotische Entwicklungen begünstigen. Ein pakistanischer Regierungsexperte schätzt, daß zwanzig Familien seines Landes mehr als zwei Drittel der Industrie und des Bankkapitals von Pakistan besaßen, als der Vorgänger des jetzigen pakistanischen Staatschefs bei einem Besuch in Peking kräftig ins rotchinesische Horn blies. Auch sein Nachfolger Yahya Khan, der ihn zur Wiederherstellung geordneter Zustände ablöste, nachdem der entfesselte Mob wehrlosen Menschen den Kopf abgeschnitten und ganze Straßenzüge in Flammen hatte aufgehen lassen, bemüht sich, mit Peking in gutem Ein-

vernehmen zu bleiben, und erfreut sich des Lobes der maotischen Machthaber. Diese Haltung ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung, die manche Beobachter aus den Augen verlieren: Als seinerzeit Nehru wichtige strategische Straßenbauten Rotchinas in den von Indien beanspruchten Gebieten „entdeckt“ hatte, erklärte der damalige pakistanische Staatspräsident, daß der gesamte indische Subkontinent in eine militärisch höchst bedrohliche Lage geraten werde, wenn Rotchina in indiennahen Gebieten Fuß fasse.

Bei späteren Geheimverhandlungen in Peking beeindruckten dort die maotischen Machthaber Pakistan mit der großen militärischen Überlegenheit ihrer Streitkräfte und spielten der pakistanischen Staatsführung Informationen über die mangelnde Verteidigungsbereitschaft Indiens in die Hände, die dann der Verlauf des indisch-chinesischen Grenzkrieges bestätigte. Damals sagte der bekannte indische Politiker Kripalani, daß in diesem Krieg Indien „Truppen mit total veralteten Gewehren und ohne haltbare Schuhe gegen mit modernsten Waffen ausgerüstete chinesische Elitetruppen eingesetzt hatte“.) Dies ist nach den Berichten von Gewährsmännern der eigentliche Grund, warum man in Pakistan das Vertrauen in die Fähigkeit Neu-Delhis, den indischen Subkontinent gegen rotchinesische Vorstöße zu verteidigen, verlor und, „um noch zu retten, was zu retten ist“, mit Peking zu paktieren begann. Der als sehr fähig bezeichnete General Yahya Khan übernimmt

ein überaus schweres Erbe.

Die schweren Unruhen des Vorjahres haben Pakistan wirtschaftliche Verluste in der Höhe von zwei bis drei Milliarden Mark zugefügt. Der versprochene Übergang zu einem demokratischen Regime in einem Land, in dem noch die Abhängigkeit von feudalen Gutsbesitzern eine

große Rolle spielt, ist schwierig und erforderte die Mitarbeit von 60.000 Personen bei der Zusammenstellung der Wählerlisten, wobei jene der Stammesgebiete von Swat, Dir und Chitral noch nicht fertig sind. Auch müssen die früheren Ansätze zur Sezession der Ostprovinz beseitigt werden, denn abgesehen von der muselmanischen Religion mit ihrer in Zeiten des Materialismus verminderten Bindekraft sind West- und Ostpakistan in wesentlichen Belangen voneinander verschieden. Aber auch das vom stolzen Volksstamm der Pathans bewohnte Gebiet in der Nähe der afghanischen Grenze bereitet der pakistanischen Staatsführung große Sorgen. Erst kürzlich forderten die meisten Abgeordneten des afghanischen Parlaments ein energischeres Vorgehen zur Schaffung eines von Pakistan losgelösten Staates „Pakhtoonistan“.

Geistiges Chaos

Alles in allem hat ein pakistanischer Schriftsteller das geistige Dilemma, in das nicht wenige Pakistanis von höherem Format hineingeraten, wie folgt skizziert: „Sie wissen oft nicht, ob sie sich um geistige Inspiration an

den Islam, an die westliche Welt, an den Kommunismus oder an einen zielbewußt gesteuerten Nationalismus wenden sollen.“ Klagen über ein ähnliches „geistiges Chaos“ kommen auch aus anderen asiatischen Ländern. Dieses Chaos sei „Dynamit“, das einen auch nur einigermaßen sinngemäßen Ablauf des gesamten künftigen Weltgeschehens bedrohe. Um diese Entwicklung zu hemmen, wären nach Ansicht sehr guter Asienkenner kluge westliche Planungen von hohem Format erforderlich. Allerdings muß nach einem jetzt vor dem Verfasser dieser Zeilen liegenden Bericht in tibetischer Sprache das ebenfalls küstenfeme Tibet aus solchen eventuellen Initiativen ausgeklammert werden, seit vor nicht allzulanger Zeit im Zusammenhang mit der Verlagerung wichtiger rotchinesischer Atemzentren aus der Provinz Sinkiang nach Tibet der Großteil der Bevölkerung Tibets vernichtet, entwurzelt oder in andere Gebiete verfrachtet wurde. Nach Ansicht guter Asienkenner ist aber in anderen küstenfernen _ LjincUaa} Asiens eine Beeinflussung der Entwicklungstendenzen noch immer möglich.

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