Syriens Löwe ist alt geworden

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Reise ins Land des "Löwen von Damaskus". Der Personenkult um den syrischen Staatschef Assad ist selbst für orientalische Verhältnisse ungewöhnlich.

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Reise ins Land des "Löwen von Damaskus". Der Personenkult um den syrischen Staatschef Assad ist selbst für orientalische Verhältnisse ungewöhnlich.

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Er ist allgegenwärtig. Schon am Airport, bei der Paßkontrolle, hängen seine Poster. Im Taxi klebt er am Armaturenbrett. Beim Öffnen des Hotelfensters lächelt er überlebensgroß, wie ein moderner Gulliver, von der schmutzigen Mauerfassade entgegen. Im Suq hängen tausende (!) Plakate, Transparente und Plastiken des "Löwen von Damaskus". In Stein gehauen bewacht er die Stadteinfahrt, und selbst bei Überlandfahrten kann man sich ihm nicht entziehen.

Kein Ort im ganzen Land ist vor ihm sicher. Wo immer man hinkommt, Hafiz al-Assad, der Staatschef Syriens, war schon da. Der Personenkult ist selbst für arabische, orientalische Verhältnisse ungewöhnlich. Vergleichbar vielleicht nur mit dem um Saddam Hussein im Irak, denn selbst im bilderfreundlichen Iran müssen sich drei Führer die Poster teilen: der verstorbene Ayatollah Khomeini, sein Nachfolger Khamenei und Präsident Khatami. In Syrien gibt es aber noch ein Spezifikum. Viele Bilder, allein oder mit seinem Vater, ziert der vor fünf Jahren im Jänner 1994 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte Sohn Basil Assad. Um ihn, den präsumtiven Nachfolger, den "schahid", den Märtyrer, wird immer noch - zumindest offiziell - auf Postern und Plakaten getrauert. Sein Mausoleum im nordsyrischen Qardaha, der Heimat des Assad-Clans, ist längst ein Pilgerstätte geworden.

Nun soll der zweitgeborene Baschaar al-Assad, ein introvertierter, umgehend zum Armee-Hauptmann beförderter Augenarzt, den älteren Bruder ersetzen. In den Straßen von Damaskus ist er aber kaum präsent. Im Gegensatz zu Vater und (totem) Bruder gibt es von Baschaar aber kaum Transparente. Die Nachfolge des mittlerweile 69jährigen kranken Staatschefs, der seit 1970 unumstritten die Geschicke des Landes lenkt, scheint damit weiter ungewiß. Im Februar des Vorjahres hat Assad allerdings eine Vorentscheidung getroffen und seinen jüngeren Bruder Rifaat al-Assad, den ehemaligen Kommandeur der Verteidigungsbrigade und Vizepräsidenten entlassen. Sicher scheint, daß der nächste Machthaber wieder ein Alawite sein muß. Die Mitglieder dieser muslimischen Glaubensrichtung, der auch Assad angehört, machen zwar nur etwa zwölf Prozent der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung Syriens aus, beherrschen aber Armee und Geheimdienst.

Durch Syriens Märkte Mit der Nachtmaschine sind wir von Wien nach Aleppo, die alte Handelsstadt im Norden Syriens gekommen. Das Ticket der Austrian Airlines kostet (mit Rückflug von Damaskus) nur 5.200 Schilling. Nach zwei Nächten in Aleppo haben wir uns einen Volvo samt Fahrer für eine zweitägige Fahrt über Hama und den Krak des Chevaliers nach Palmyra und von Palmyra durch die syrische Steinwüste nach Damaskus gemietet. Die Hotels sind ziemlich teuer. In Aleppo haben wir aus dem Internet das einzige zentral gelegene Hotel der gehobenen Klasse, den "Amir Palace" für 85 Dollar (etwa 1.100 Schilling) gewählt, in Palmyra verlangt das idyllisch im Ruinengelände gelegene "Zenobia" 115 Dollar (etwa 1.500 Schilling).

Vom Hotel sind es nur wenige Schritte bis zum weltberühmten Suq von Aleppo. Die engen, verwinkelten und überdachten Gassen des Suq az-Zarb sollen zwölf Kilometer lang sein. Aber keine Angst, vom Hotel bis zur Zitadelle sind es nur etwa 800 Meter. Auf diesen 800 Meter werden aber alle nur vorstellbaren Waren und Düfte des Orients angeboten: Eisen- und Kupfererzeugnisse, vielerlei bunte Gewürze, grobe Stoffe und filigrane Schleier, getrocknete Datteln und schwarzer Kaffee. Nicht zu vergessen natürlich die originale, dunkelgrüne oder bräunliche Olivenöl-Lorbeer-Seife, die zu kunstvollen Pyramiden aufeinandergetürmt hundertfach angeboten wird. Wem der Trubel des Handelns und Feilschens zuviel wird, findet gleich abseits des Suq in der großzügig angelegten Omaijadenmoschee aus dem 10. Jahrhundert Ruhe und Beschaulichkeit.

Den besten Eindruck von Aleppo gewinnt man von der mittelalterlichen Festung, den besten Eindruck von der Zitadelle aber vom Straßencafe "Al-Attar". Als ob wir es nicht schon längst wüßten, steht auch auf den massiven Mauern: "We love Hafiz al-Assad" in großen Lettern geschrieben.

Auf unserem Weg nach Palmyra halten wir im 120 Kilometer südlich von Aleppo gelegenen Hama. Die Stadt am Orontes ist nicht nur wegen ihrer 500 Jahre alten und bis zu 20 Meter hohen Wasserräder, den "Norias", sondern auch wegen der brutalen Niederschlagung eines Schiitenaufstandes berühmt geworden. Im Februar 1982 ließ Assad die Rebellion der Moslembruderschaft kompromißlos zusammenschießen. 20.000 Menschen sollen bei der mörderischen Beschießung der Medina mit Panzern und Kanonen ums Leben gekommen sein. Von diesem Greuel sieht man nichts mehr. Heute hört man nur noch das charakteristische Ächzen und Knarren der hölzernen Schöpfräder. 17 Norias gibt es noch in Hama, die einzigen des Orients.

Bei Homs zweigen wir zu einem Ort anderer Schlachten ab. Auf halber Strecke zwischen Homs und dem Meer liegt die bedeutendste Kreuzfahrerburg, der Krak des Chevaliers. Wie ein Phönix taucht die mächtige Trutzburg plötzlich aus der Ebene auf. Die Festung mit ihren imposanten Türmen, Gräben und Kasematten wurde von 1144 bis 1271 von den Johanniter-Rittern gegen die Mamelucken gehalten. Sie ist der Inbegriff einer mittelalterlichen Burg. Majestätisch und erhaben beherrscht sie die Anhöhe von Buqeia.

Durch Syriens Wüste Wieder zurück in Homs verlassen wir die Autobahn. Eine schnurgerade Stichstraße führt uns 170 Kilometer durch die syrische Stein- und Geröllwüste nach Palmyra. Mohammad Alquani, unser Fahrer, fährt uns noch in der letzten Abendsonne zur hoch über der Oase gelegenen Araberburg, von der man einen traumhaften Ausblick über das Trümmerfeld hat. Die tiefstehende Sonne taucht den Baal-Tempel, den Hadrianbogen samt den 1.200 Meter langen Kolonaden, die Bäder des Diokletian, Theater und Agora in sanftgoldenes Licht. Bis 272 n.Chr. regierte hier Zenobia, die arabische Königin, ihr kurzlebiges - sogar von Rom unabhängiges - Reich.

Über 250 staubige Kilometer fahren wir am nächsten Tag nach Damaskus. Das schmale Teerband der Straße zieht sich schnurgerade durch das flache öde Land. Bis zur Hauptstadt ist nicht eine einzige Ortschaft zu sehen. Auf halber Strecke rasten wir im Beduinen-Cafe "Bagdad", so nahe sind wir der irakischen Hauptstadt. Obwohl fast kein Verkehr ist, sterben wir tausend Tode. Bei jedem entgegenkommenden Mineralöltransporter läßt der mächtige Winddruck unseren Volvo erzittern.

Der unzugängliche Palast von Staatschef Assad thront wie eine Trutzburg mächtig über der Stadt. Unverkennbar das weltliche Machtzentrum. Religiöse Macht strahlt aber die prächtige, auf das 7. Jahrhundert zurückgehende Omaijaden-Moschee aus. Imposant und gleichzeitig beschaulich ist der mit unzähligen Teppichen ausgelegte, riesige 136 mal 37 Meter große Gebetssaal. Die Moschee ist nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch der Ort in dem einzelnen Gruppen beten, ruhen oder sich leise unterhalten.

Als wir zum Schrein Johannes des Täufers, der auch im Islam als bedeutender Prophet gilt, kommen, rotten sich ein gutes Dutzend junger Männer zu einer religiösen Demonstration zusammen. Sie tragen Abzeichen mit dem Bild Ayatollah Khomeinis und beginnen, spirituelle Texte und Lieder zu deklamieren. Ein eindrucksvolles Schauspiel. Die ernsten jungen Männer sind Schiiten aus dem Südlibanon, Anhänger der Hisbollah.

Auf unserem Weg durch die Altstadt kommen wir am Grabmal Saladins, des Siegers über die Kreuzritter, zahlreichen Medresen und Khanen vorbei. Im Straßencafe "Nufara", einem beliebten Treffpunkt am Ostportal der Omaijaden-Moschee, genießen wir bei Tee und Wasserpfeife das Treiben in der Medina. Weiter durch den Suq kommen wir zum Hammam "Nur ad-Din", einem der berühmten arabischen Dampfbäder. Von der Straße kann man einen Blick in den Ruheraum werfen. In Handtücher gewickelt sitzen die Männer nach dem Schwitzbad bei ihrem heißen Tee.

Nur 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt liegen zwei christliche Dörfer: Maloula und Saydnaya, mit ihren griechisch-orthodoxen Klöstern.

Durch Syriens Küche In Maloula wird noch Aramäisch, die Sprache Christi, gesprochen. Etwa zehn Prozent der Syrer bekennen sich zum christlichen, meist syrisch-orthodoxen Glauben. In und um Aleppo sind es sogar an die 20 Prozent. Christen werden in Syrien, einem mehrheitlich sunnitisch-muslimischen Land, als religiöse Minderheit toleriert. Mehr noch, Syrien soll für Christen sogar der beste Staat im Nahen Osten sein. Nicht nur in Maloula und Saydnaya, wo wir eine prächtige Prozession miterleben. Juden gibt es dagegen fast keine mehr. Sie haben das Land weniger aus religiösen, sondern wegen des andauernden Konfliktes mit Israel verlassen.

Für Quneitra auf den Golan-Höhen, 60 Kilometer südwestlich von Damaskus, benötigen wir eine Sondergenehmigung des Verteidigungs-ministeriums, die man aber problemlos erhält, da die Syrer gerne zeigen, wie brutal die Israeli den Ort zerstört haben. Mikrobusse fahren vom Busbahnhof Baramke ab.

Ohne einen Abend in einem der letzten Derwisch-Lokale ist eine Syrienreise nicht komplett. Während sich der Derwisch beim mystischen Tanz immer schneller um seine eigene Achse dreht und fast in Trance fällt, kann man eine der zahlreichen syrischen Spezialitäten kosten. Etwa Lahm Shaqaf (Hammelfleisch) oder Kabab (Hackfleisch) mit Kusa Mahshi (gefüllte Zucchini) und Bamiye (Okraschoten). Bohneneintopf, Joghurt, Fladenbrot und Kichererbsen und dazu einen Araq ...

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