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Wer anerkennt Ost-Berlin?

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Das Uberraschende beim Tauziehen um die Anerkennung Ost-Berlins war, daß Nasser nicht bereit war, dem Beispiel der drei Araberstaaten und Kambodschas sofort zu folgen. Wie verlautete, wolle Nasser nicht den Führungsanspruch noch weiter verschleißen lassen, indem das größte arabische Land in einer so bedeutungsvollen Angelegenheit lediglich nachzieht.

Unbeantwortet bleibt jedoch dabei die Frage, warum Ägypten nicht schon vorher bereit war, Ulbricht die gewünschte Anerkennung zu gewähren. Bei der evidenten Abhängigkeit Kairos von der Militärhilfe Moskaus und von der wirtschaftlichen Unterstützung durch den ganzen Ostblock auch des noch mit Tel Aviv liebäugelnden Rumänen, wäre nur natürlich, daß Nasser den Sowjets einen praktisch kostenlosen Gefallen tut.

Indes wird eine gleiche Zurückhaltung in dieser Frage auch vom zweitgrößten arabischen Land, von Algerien, eingenommen, das ebenfalls Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Ostblock legt. Wie eng die militärische Zusammenarbeit zwischen Algier und Moskau geworden ist, inwieweit sich Algerien bereits in die Abhängigkeit Moskaus begeben hat oder begeben wird, mag dahingestellt bleiben. Sowohl Ägypten als auch Algerien sind stark auf Seite Moskaus im sogenannten antiimperialistischen Kampf engagiert, und beide zeigen eine ablehnende Haltung Peking gegenüber.

Die drei arabischen Länder, die den Botschafteraustausch mit Ost-Berlin vereinbart haben, der Irak, Sudan und Syrien, haben offensichtlich ihren Schritt mit den übrigen arabischen Ländern nicht abgesprochen. Der erste Schritt in der kleinen Anerkennungswelle wurde bekanntlich anfangs Mai vom Irak getan. Sein Außenminister al Scheikly hatte zwischen dem 20. und 31. März 1969 eine Reise nach Moskau und nach Ost-Berlin unternommen. Über den Verlauf des Besuches in Moskau schien der Iraker nicht so zufrieden gewesen zu sein wie über die Unterredungen in Ost-Berlin. Nur einige Tage nach seiner Rückkehr sendete Radio Bagdad am 4. April ein „Interview mit dem Sekretär der zentralen Führung der Irakischen KP“, Ali Haidar, von dem man zum erstenmal erfuhr, daß er im Gefängnis sitzt. Die plötzliche Publizität für eine gleich nach der Machtübernahme vor mehr als einem Jahr eingeleitete Verfolgung der irakischen Kommunisten gerade nach Moskauer Besprechungen scheint ungewöhnlich. Moskau nimmt zwar die Verfolgung der Kommunisten gelassen hin, wenn seine staatspolitischen Interessen es für angebracht halten. In dem Interview wurde jedoch die irakische Kommunistenführung nicht nur der Gewaltanwendung, sondern auch der Meuchelmorde auf offener Straße, des Diebstahls von Geld, der Ausgabe von Waffen und des Aufrufs, Waffen für Terrorakte bei sich zu tragen, beschuldigt Unzufrieden ist Bagdad auch mit der Moskauer Politik dem Iran gegenüber. Vom dritten arabischen Land, das Ost-Berlin anerkannte, Syrien, berichteten Sachkenner, daß seit Jahreswechsel eine Beseitigung der moskaufreundiichen Politiker im Gange sei. Die Absage des Moskauer Besuches des syrischen Staatschefs AI-Atassi (ursprünglich für Mai vorgesehen) und die Reise des syrischen Generalstabschefs Mustafa Tallas vom 23. April bis 23. Mai nach Peking sowie die dort erhaltene Zusage über Waffenlieferungen wurden als Zeichen einer Um-orientierung ausgelegt. Daß Moskau mit wachsender Besorgnis die syrischen und irakischen Kriegsyorbe-reitungen gegen Israel verfolgt, ist bekamtuisd sinsw wrt lisoirfoilirrallC

Auch die Beziehungen Kambodschas, des einzigen asiatischen Landes, das diplomatische Beziehungen zu Ost-Berlin aufnahm, zu den beiden kommunistischen Metropolen sind zwiespältig. Es ist ein kleines Land, das eine Schaukelpolitik betreibt und dabei Wert auf besonders gute Beziehungen und das Wohlwollen Chinas legt. Die Entwicklungshilfe aus dem Ostblock war dagegen bis jetzt nicht besonders groß. Nicht zu vergessen ist die Ausladung des Prinzen Sichanouk durch Breschnjew vor nicht allzulanger Zeit, die ihn zu einer Absage seiner Reise auch in andere osteuropäische kommunistische Länder veranlaßte. Zusammenfassend ergibt sich die merkwürdige Feststellung, daß Ost-Berlin von Ländern anerkannt worden ist, die eher mit Peking als mit Moskau gute Beziehungen erstreben. Die Staaten, die gute Beziehungen zu Moskau unterhalten — und neben den angeführten Ägypten und Algerien kann man auch Afghanistan oder Guinea anführen —, nehmen in dieser Frage mindestens eine abwartende Haltung ein.

Diese Schlußfolgerung ist paradox, wenn man die sowjetischen Beteuerungen für bare Münze nimmt. Ist es aber so selbstverständlich, daß eine Anerkennung der DDR in Moskaus Interesse liegt? Die Berlinkrise anläßlich der Bundesversammlung hat enthüllt, daß der Musterschüler Moskaus mit der sowjetischen Politik der Vermeidung von Konfrontationen nicht einverstanden ist. Und denselben Eindruck gewann man auch aus den Ausführungen auf dem Moskauer „Gipfel“. Eine Anerkennungswelle dürfte das Selbstbewußtsein der SED Moskau gegenüber erheblich stärken, so daß die sowjetischen Führer mit einer Störung ihrer europäischen Politik rechnen müßten.

China dagegen hat alles Interesse, Moskau in dieser Hinsicht Schwierigkeiten zu machen und, wenn möglich, eine Verständigung Moskaus mit Westeuropa und den USA zum Scheitern zu bringen. Man sollte sich die Beschuldigungen Pekings und Tiranas über einen Verrat der DDR durch die „sowjetische Renegatenclique“ nochmals vergegenwärtigen und im Lichte der letzten Ereignisse überprüfen. Daß unter diesen Umständen gerade Ulbricht dazu auserwählt worden ist, auf der Moskauer Konferenz die Verurteilung der KP Chinas in einem Sonderdokument zu fordern, erklärt sich ebenfalls aus diesem Hintergrund.

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