WM in Katar: Der Abgrund des Spiels
Nach vier Wochen endet in Katar die Farce einer Fußball-WM – und kulminiert in einem EU-Korruptionsskandal. Ein Ende der Missstände und der zutage getretenen Konflikte ist nicht in Sicht.
Nach vier Wochen endet in Katar die Farce einer Fußball-WM – und kulminiert in einem EU-Korruptionsskandal. Ein Ende der Missstände und der zutage getretenen Konflikte ist nicht in Sicht.
Wenn am Wochenende in Doha der letzte Schlusspfiff dieser 22. Fußball-WM der Männer ertönt, ist das für zahlreiche Liebhaber des Sports ein Grund, erleichtert aufzuatmen. Über den Jahreswechsel wird das umstrittene Megaevent im Rückspiegel verschwinden, und nach den Feiertagen ist da endlich wieder der Ligaalltag, um die von all den Diskussionen entnervten Fans in seine tröstenden Arme zu nehmen. Fußballerisch dominierte in Katar einmal mehr Sicherheitsdenken, was wenig Spuren hinterlassen wird. Wäre da nicht „Katargate“, der sich ausweitende Korruptionsskandal um EU-Abgeordnete, wäre dieses Turnier bald aus dem Gedächtnis verschwunden.
Dabei täte man gut daran, ein wenig länger bei all dem zu verweilen, was in den vergangenen vier Wochen geschah. Neben, aber auch auf dem Platz. Denn während FIFA-Boss Gianni Infantino vor Beginn im November in einem Schreiben die Verbände aufrief, den Fußball aus ideologischen und politischen Debatten herauszuhalten, kreuzten sich die beiden in Doha mit einer fiebrigen Frequenz, wie man es bislang bei keinem anderen Turnier erlebte. Die WM wurde zu einem Marktplatz politischer Agitation, von Protesten und Machtausübung – von dezent bis ultrabrutal – und zu einem beklemmenden Spiegelbild gesellschaftlicher Konflikte.
Besonders penetrant dabei war eine wie selbstverständliche, unverschleierte Allgegenwärtigkeit von Autoritarismus. Über das Vorgehen der FIFA im Fall der berüchtigten One-Love-Armbinde ist bereits alles gesagt. Doch auch Publikum und Journalisten, die sich erdreisteten, mit regenbogenähnlichen Farben zu Matches zu erscheinen, bekamen den Druck zu spüren und wurden am Betreten der Stadien gehindert. Dass diese Praxis nach den ersten Turniertagen für beendet erklärt wurde, ändert nichts an der Willkür, die freie Meinungsäußerung vom Grundrecht zur Glückssache zurechtstutzt.
„Spaltende“ Regenbogenbinde
Begründet wurde all das bereits im Voraus mit dem vermeintlichen Respekt vor katarischen Werten. Hassan al-Thawadi, der Chef des Organisationskomitees (OK), mimte zum Ende der Vorrunde den Kulturkämpfer, indem er der Regenbogenbinde eine „sehr spaltende Botschaft“ vorwarf. AlThawadi betonte, er beziehe sich nicht allein auf Katar, sondern es gehe „um die islamische Welt, um die arabische Welt, um den Nahen Osten“. Wie der „gegenseitige Respekt“ aussehen sollte, den Al-Thawadi aus seiner demonstrativen Opferperspektive propagierte, erklärte er nicht weiter.
Geradezu zynisch wirkten die Worte des OK-Chefs angesichts der Tatsache, dass wenige Hundert Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Golfs, im Rahmen vermeintlich islamischer Werte nicht nur Jina Mahsa Amini vom Ayatollah-Regime ermordet wurde, sondern seither auch mindestens 400 Protestierende. Kurz vor dem Viertelfinale wurde der verhaftete Menschenrechtsaktivist Mohsen Shekari wegen „Kriegsführung gegen Gott“ hingerichtet. Nachdem das iranische Team vor dem ersten Gruppenspiel aus Protest die Hymne nicht mitgesungen hatte, wurden die Kicker offenbar von den Revolutionsgarden vorgeladen, die sich Berichten zufolge in großer Zahl in Katar befanden und sie im Blick hielten. Als das Team beim nächsten Match pflichtschuldig mitsang, wusste man, warum: Die Revolutionsgarden hatten ihnen andernfalls mit Gewalt und Folter gegen ihre Familien gedroht. Oppositionelle iranische Fans, die auf ihren Trikots etwa an Jina Mahsa Amini erinnerten oder die Parole „Women! Life! Freedom!“ präsentierten, wurden zudem von eigens eingeflogenen regimetreuen Anhängern belästigt.
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