6607030-1954_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Aphorismen sum Tans

Werbung
Werbung
Werbung

Eine fünffache Einheit im Gegensatz kennzeichnet den Tanz:

BEWEGUNG IN DER RUHE. In der Rhythmik, Gestik und Mimik des Tanzes ist hoher Selbstbesitz, denn es ist die aus der inneren Mitte ausgelöste seelische Bewegung, die alle Vielfalt der Bewegung zur Einheit bindet. Bis zum äußersten gesteigerte Bewegung und darin Ruhen in sich selbst — Spannung in der Ruhe und Ruhe in der Spannung: das ist das erste Paradoxon des Tanzes.

VERGEISTIGUNG IN VERKÖRPERUNG. Da die Geistseele den ganzen Leib durchpulst, ihm keine Trägheit mehr beläßt, ihn ganz in Besitz nimmt und so sich in ihm ausspricht, löst sie ihn von der Erde und der Erdenschwere, schenkt sie ihm die Leichtigkeit der Eleganz und der Grazie und den schwebenden Tanzschritt, und — soweit dies irdisch gesagt werden kann — vergeistigt ihn. Und eben darin ist der menschliche Leib ganz er selbst, weil er eben nichts anderes sein soll als Verkörperung der Geistseele, weil er eben nicht ist irgendwelche Materie, „Fleisch“, „Lehm“, sondern sich erst in der vollen Verfügbarkeit für den Geist verwirklicht. Vergeistigung in der Verkörperung — Verkörperung in der Vergeistigung: das ist das zweite Paradoxon des Tanzes.

Worms sich unter anderem ein Dreifaches ergibt:

In der inneren Wechselwirkung von Seele und Leib teilt sich die Gelöstheit des Leibes in seinen Gliedern der Seele mit, und diese leibseelische Gelöstheit nennen wir Heiterkeit, Frohsein von der inneren Mitte her, so daß zum Tanz edle, stille Fröhlichkeit gehört.

Um so vergeistigter ist der Leib, um so mehr er selbst, als er sich dem Gesetz des Geistes in strenger Disziplin unterwirft und je weniger der Geist nachgibt den Schwächen und Instinkten des Leibes. Weshalb wohl das Wesen des Tanzes dort um so reiner und edler verwirklicht wird, als der Leib nicht aus dem Gehorsam gegen den Geist entlassen und solcherweise „ausgelassen” wird. Von diesem zweiten Paradoxon aus ist es durchaus sinnvoll, den Versuch zu unternehmen, etwa das Leben eines Heiligen zu tanzen. Denn eben den Heiligen kennzeichnet die volle W er k- zeuglichkeit des Leibes für die Seele, die innere Gelöstheit und Heiterkeit des Herzens, das sich vom unendlichen Geist, von seinem Schöpfer und Herrn gerufen weiß.

SICHEINFÜGEN IN DEN RHYTHMUS DES KOSMOS und darin Heimholung des Kosmos. Im Tanz erspürt der Mensch das Tanzspiel der Gestirne und des ganzen Kosmos und prägt es in sich aus. In Ehrfurcht vor dem Gesetz, das der Schöpfer in die ganze vernunftlose Schöpfung hineingelegt hat und in die der Mensch mit seinem Leib • hineingestellt ist, in Ehrfurcht vor dem Rhythmus der göttlichen Weisheit, die im ganzen Kosmos wirkt. Doch die ganze ver- nunftlosc Schöpfung ist auf den Menschen, und zwar unmittelbar auf seinen Leib hin geschaffen, zu seinem Dienst, um durch ihn hineingeholt zu werden in das Verstehen und die Freiheit des Geistes, und damit in das obsequium rationale, in die Huldigung des vernunftbegabten Geschöpfes an Den, der „die Sonne schuf und andre Sterne“ (Dante). So holt der Tanz des Menschen den Tanz der Gestirne und des ganzen Kosmos gleichnishaft heim aus der blinden Gesetzlichkeit in die freie Huldigung des Geistes. Ehrfürchtiges Sicheinfügen in das Spiel des Kosmos und eben darin königlich freies Verfügen über es: das ist das dritte Paradoxon des Tanzes.

BEREDTHEIT IN STUMMHEIT. Dem Tanz als solchem eignet nicht das Wort. Und so scheint er an Ausdruckskraft zurückzubleiben hinter dem gesprochenen Wort. Doch so manches bleibt unaussprechbar, unsagbar dem menschlichen Wort und will der Ehrfurcht des Schweigens überantwortet bleiben. So ist es nicht nur, wenn es nichts mehr zu reden, sondern nur mehr zu tun gibt, sondern gerade bei Liebenden, deren Verstummen so oft Beredsamkeit ist. Und so vermag der Tanz Empfindungen auszusprechen, die auszusagen dem Wort verwehrt sind, vermag Unzulänglichkeiten zu überwinden und inner- seelische Bewegungen zu vermitteln, wo das Wort nur ein Stammeln ist. Von da her gewinnt der Ausdruckstanz gegenüber dem sonstigen Tanz: am stärksten im Dienst der Seele stehend, des Ahnungsvermögens und des Geheimnisvollen im Menschen und in der Schöpfung verschweigt er ehrfürchtig das Unsagbare und offenbart es zugleich. Dieses Offenbaren im Verschweigen und dieses Verschweigen im Offenbaren ist das vierte Paradoxon des Tanzes.

PFEIL ÜBER SICH HINAUS IM IRDISCHEN INSICHRUHEN. Eine Sehnsucht lebt im Tanz, die von allem Anfang an verspürbar und deutlich war: die Sehnsucht nach dem Leben, das ein Ineins ist der Ruhe und der stürmischen Bewegung, nach der Vergeistigung, die nicht Erlösung vom Körper, sondern des Körpers ist, nach der Inbesitznahme des ganzen Kosmos (von dem der Mensch hartnäckig träumt, daß er doch ihm gehört), nach der Ueberwindung der Grenzen, infter- halb derer so vieles ungesagt und unentfaltet bleibt, nach der Herrlichkeit und Freiheit, die den tanzenden seligen Geistern eignet, nach dem „vergeistigten Leib“, von dem Paulus spricht. So ist der Tanz eben in der Gelöstheit und Heiterkeit, in der Loslösung von der alltäglichen Bürde und Last, Versuch einer Vorwegnahme, eine Ahnung und wie ein Erträumen dessen, was kommen soll, wenn das irdische Leben vorüber ist. So daß der Tanz nicht loszulösen ist von seiner Symbolik hin auf das Leben, wie es ursprünglich war und einst für immer sein soll, und das Leben ist nicht loszulösen von der Symbolik des Tanzes, denn es ist nicht einem verzweifelten Ernst preisgegeben, sondern ist in allem Ernst geboren in der Hoffnung, im Vertrauen, und deshalb in aller Traurigkeit Heiterkeit, in allem Weinen ein Lächeln, in allem Ernst ein Spiel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung