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Der Staatskommunismus im alten Peru

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Die despotische und feudale Staatsverfassung des Reiches der peruanischen Sonnenfürsten*) war gepaart mit einer Gesellschaftsund Wirtschaftsform, der in der Literatur zuweilen gerne das Prädikat „Staatskommunismus“ zuerkannt wurde und die in Wirklichkeit eine Sippengemeinschaft war. Welch seltsame Kontraste, welch absonderliche Verschwisterung einander entgegenlaufender Staats- und Gesellschaftsauffassungen! Indes, die nüchterne Wirklichkeit läßt uns dies alles in einem anderen Lichte erscheinen.

Das soziale Leben der Khechua und der anderen unter der Herrschaft der Inkas stehenden Andenvölker wai gekennzeichnet von einem tiefen Gefühl für Verwandtschaft und einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Die Einzeltamilie bedeutete für sich allein und als selbständige Gruppe nur wenig. Ihre Funktionen erfüllte sie lediglich im Zusammenhang mit der erweiterten Blutsverwandtschaft, die in der vaterrechtlichen Sippe (aylla), der wichtigsten und ausschlaggebendsten Sozialeinheit ihren Ausdruck fand. Als Siedlung mit Feldern und Weideflächen war sie gleichzeitig eine Lokalgruppe (marca) und stellte einen wirtschaftlich autarken, auf Selbstversorgung eingestellten Verband dar, mit dessen Führung die Familienväter einen fähigen Mann, den mit riditerlicher Gewalt ausgestatteten Dorfschulzen (curaca), betrauten.

Mehrere Sippen gruppierten sich zu einer höheren Einheit, dem Stamm. In ihrer ganzheitlichen, naturverhafteten Denkweise, die nach einer Logik eigener Art Profanes auf Schritt und /Tritt mit Übersinnlichem verband, stellten diese Menschen die Sippe in das Blickfeld der Weltanschauung und Religion. Die Angehörigen einer solchen Gemeinschaft leiteten sich von einem mythischen Ahnherrn (huaca) ab, der einerseits direkt zu einem Schutzgott erhoben wurde, andererseits, wieder oft als ein Tierwesen — als ein richtiges Totem — galt, und dem man im leblosen Stein kultische Verehrung zollte. Es ist leicht verständlich, daß durch diese ideologischen Momente der Zusammenhalt und die Solidarität der Verwandtschaftsgruppe eine beträchtliche Festigung erfuhren, denn stärker noch als Blutsbande

••) Vergleiche den Aufsatz: „Das Sonnenfürstentum des Inkareiches.“ Von Univ.-Doz. Dr. J. Haeckel in Nr. 7, 2. Jahrg. der „Furche“.können Elemente des Glaubens Menschen aneinanderketten. Gleichsam wie 'Geschwister standen die Sippengenossen zueinander, irgendwelche soziale und besitz r e c h 11 i c h e Unterschiede gab es nicht. Man hatte in der Sippe seine innige Verwurzelung und seinen festen Rückhalt. Wie geborgen fühlte sich der Indianer in der kleinen Welt einer Sippengemeinde! Jede Familie besaß ihr Heim, ihre Gebrauchsgegenstände und Kleider als Privateigentum, dem ein betonter Kollektivismus in anderen Bereichen des Besitztums keinen Abbruch tun konnte.

Diese Sippenform treffen wir in nahezu gleicher Ausprägung auch bei den Azteken und Maya in Mexiko und, wenn wir die totemistischen Momente in Abzug bringen, in wesentlichen Zügen sogar bei den alten Germanen und Römern. Sie 'st die optimale Gesellschaftsform seßhafter, erdverbundener Bauern.

Der Bodenbau war schon seit Jahrtausenden im Andenlande die Grundlage des Lebens, sein sorgfältiger Betrieb die Voraussetzung für den Bestand des Inkastaates.

Die Kartoffel, die hier ihre Urheimat hat, und andere Knollenfrüchte, der Mais und eine Reisart waren die wichtigsten Kulturpflanzen der peruanischen Indianer, die ihre Felder mit recht primitiven Gerätschaften bestellten. Allerdings war eine Vorstufe des Pfluges bereits entwickelt worden. Das Inkareich hat jedenfalls als ausgesprochener Agrarstaat zu gelten.

Die Eigentümerschaft der Allgemeinheit, der Kollektivismus, der dem Inkareich eine so prägnante Note verlieh, offenbart sich am sinnfälligsten im Grundbesitz der breiten Volksschichten. Der Begriff eines privaten, individuellen Bodeneigentums war diesen Indianern von Haus aus fremd. Seit alters her gehörten Grund und Boden der gesamten Sippe, die das Land periodisch unter die einzelnen Familien in Form von Ackerhufen zur Bearbeitung und Nutzung aufteilte. Die Größe der Grundstücke richtete sich jeweils nach der Kopfzahl und den Bedürfnissen der Familien, ein auskömmlicher Lebensunterhalt war für jedermann gewährleistet. Der Pflicht, den Boden zu bebauen — einem strengen Sippengesetz —, konnte sich niemand entziehen. Die arbeitsunfähigen Alten und Kranken hingegen unterstanden der kommunalen Fürsorge, die aus den Erträgnissen eines Grundstückes schöpfte, das als Allmende vom übrigen Sippenland abgesondert einer genossenschaftlichen Bearbeitung unterzogen wurde.

Wie stellten sich die Inkas zu dieser Form der Gesellung und Wirtschaftsgestaltung? Wie schon erwähnt, entsprach es nicht ihrer Art, auf die grundlegenden Kulturformen ihrer Untertanen umgestaltend einzuwirken. Warum hätten sie auch eine Änderung der sozialen und wirtschaftlichen Struktur der Stämme herbeiführen sollen, wo diese doch so ertragreiche Leistungen ermöglichte und ihnen nur Nutzen brachte! Im Gegenteil, sie griffen auf das kollektivistische System, das sie antrafen, zurück und spannten es in den weiten Rahmen ihrer imperialen Idee. Eine relativ urtümliche Form der Bodenbewirtschaftung wurde also in den Dienst einer beginnenden Hochkultur gestellt, deren Träger die Inkas waren. Zu einschneidenden Maßnahmen der Staatsgewalt gehörten die Landverteilung und die Organisierung d e r A r-beitsleistungen. Das gesamte Bodenareal erfuhr eine Dreiteilung nach den Hauptständen des Reiches: Inka, Priester und Volk. Aus den der Herrscherschicht gehörenden Ländereien, der eigentlichen Staatsdomäne, wurde , die Versorgung der Inkas und der im Staatsdienste stehenden Bevölkerungsgruppen (Soldaten, Handwerker) bestritten, ein Teil der Erträgnisse davon wanderte in die großen Staatsspeicher. Die Priesterschaft und das Tempelpersonal galten versorgungsmäßig als eine weitere Gruppe, die von dem anderen Drittel des von den Inkas beschlagnahmten Bodens ernährt wurde. Da die unterworfenen Volksstämme zahlenmäßig dominierten, so mußte natürlich bei der Bodenverteilung darauf besonders Bedacht genommen werden. Den weitaus größeren Teil des Landes beließ man daher der Volksschichte. Die Bewirtschaftung der Bodenflächen des Hofes, Staates und Kultes oblag nicht etwa Unfreien oder Sklaven, sondern war pflichtmäßig die Aufgabe der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung bestimmter Jahrgänge. Die Altersstufen von'2 5 bis 50 Jahren waren durch staatlichen Zwang für diese Gemeinschaftsarbeit eingesetzt, die sich nach einem festen Turnus dergestalt vollzog, daß zuerst das „Inkaland“ und dann im Anschluß daran das „Priesterland“'' bestellt wurde. An die Bebauung des Gemeindelandes der einzelnen Dorfschaften konnte erst nach diesen Fronarbeiten geganaen werden. In Gleichförmigkeit spielte sich das Tagewerk des peruanischen Indianers ab. In Arbeitspartien zu zehn mit einem Vorarbeiter zogen die Männer hinaus auf die Felder, wo unter Aufsicht des Sippenvorstehers, der für die klaglose Durchführung der Leistungen den höheren Distriktsbeamten gegenüber verantwortlich war, die verschiedenen Arbeiten planmäßig vor sich gingen. Die Frauen leisteten dabei Hilfsdienste. Es hat im Andenlande eine Zeit gegeben, in der es ausschließlich die Frau war, die den Boden bebaute. Vielleicht waren damals Grund und Boden in der Hand des weiblichen Geschlechtes, wie wir es bei so manchen Völkern der Erde finden.

Daß im Reiche des Sonnenfürsten privater Landbesitz durchaus nicht unbekannt war, zeigt die Verleihung von Grundstücken als vererbbarem Sondereigen an verdiente Männer durch den Inka. Diese Einrichtung, die manchmal fälschlich als Lehenssystem bezeichnet wurde, ist ein weiterer Zug der Souveränität der feudalen Herrscherschicht über Land und Leute.

Die richtige Beurteilung und Wertung dieser sippengebundenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und der genossenschaftlichen Arbeitsleistungen kann letztlich nur im Zusammenhang mit der Betrachtung älterer, „primitiverer“ Kulturformen1 der Menschheit gewonnen werden. Das peruanische Großreich beruhte im Grunde genommen auf Lebensformen eines echten Naturvolkes, worüber die verschiedenen hochkulturlichcn Spitzenleistungen der Inkas und ihr „königlicher“ Nimbus nicht hinwegtäuschen konnten. Es spiegeln sich in dem Andenstaate Zustände wieder, wie sie auch kennzeichnend sind für viele agrarische Völkerschaften des Erdenrundes, die eine „Mittelstellung“ einnehmen zwischen den Kulturstufen des Jägers und primitiven Feldbauern und jenen Völkern, die durch besondere geographische Gegebenheiten und historisch bedeutsame Kulturmischungen .begünstigt, sich zu den Hochformen der Gesittung mit individualistischer, sippenloser Gesellschaftsform emporentwickelt haben. Die Inkas hatten diesen Schritt noch nicht getan.

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