„Talk to Me“ – YouTube goes Film
Was die Gebrüder Philippou schon im Internet an Versatzstücken des Grauens zeigten, probieren sie nun in „Talk to Me“ fürs Kino aus.
Was die Gebrüder Philippou schon im Internet an Versatzstücken des Grauens zeigten, probieren sie nun in „Talk to Me“ fürs Kino aus.
S o weit es sich auch vom Alltagsleben entfernen mag, so sehr braucht das Horrorgenre die Realität, um seine Wirkmacht entfalten zu können. Den fern vertrauten, durch die Zombie-Apokalypse umgekrempelten Anblick des Einkaufszentrums aus „Dawn of the Dead“ etwa. Die Liebe zum Kind, das im eigenen Bauch wächst und in der Home-Invasion „Inside“ vor der anderen Frau beschützt werden muss. Den nicht verarbeiteten Tod eines Liebsten im Ritualschocker „Midsommar“ oder in „Babadook“. Bei letzterer, einer gepflegt-schaurigen australischen Produktion, sammelten vor einem Jahrzehnt die Brüder Danny und Michael Philippou erste Erfahrungen an einem Set. Mit „Talk to Me“ legen sie nun selbst ihr Regiedebüt vor – und bedienen sich einer nicht unähnlichen Situation: Zwei Jahre ist es her, dass Mia (Sophie Wilde) ihre Mutter beerdigen musste. Ihrem Vater geht sie seither aus dem Weg. Stattdessen verbringt sie die meiste Zeit bei ihrer besten Freundin Jade und deren Familie. Als Schulkollegen seltsame Videos posten, in denen Leute in Trance sind, wollen Mia und Jade wissen, was dahintersteckt. Sie werden zu einer Séance eingeladen, bei der die Jugendlichen mit Hilfe einer Handskulptur Tote beschwören – ein Nervenkitzel zuerst, doch spätestens dann blutiger Ernst, als sich Mias Mutter von der anderen Seite meldet und die Geister nicht mehr zurück in ihre Flasche wollen. Nicht nur das Trauma eines Verlusts und die Bindungen zur Ersatzfamilie samt kleinem „Bruder“, der in Gefahr schwebt, lassen die Philippous auf der realen Seite für sich arbeiten. Sie legen eine ganze jugendliche Lebenswelt an, dazu deren Spannungsfeld von Mutproben bis zur latenten Eifersucht zwischen Freundin und Ex-Freundin, und befeuern es durch perfide Wortspenden aus dem Jenseits. Hoch ist die Nachempfindbarkeit, und damit auch der Horror im eigenen Kopf. Beim Übernatürlichen wiederum greifen sie auf ein im Genre beliebtes Motiv zurück: die Hand ohne Körper. Die Kinogeschichte kennt reichlich Exemplare davon – sei es das eiskalte Händchen aus der „Addams Family“, die amputierte, mörderische aus „Die Hand“, die weder Oliver Stone noch Michael Caine die Karriere kostete, oder auch die Hand eines toten Pianisten, die Peter Lorre in „Die Bestie mit den fünf Fingern“ das Fürchten lehrte. Bei ihrer Version davon spielen die Philippous geschickt mit dem Grusel des okkulten Gegenstands, dem Zögern vorm Zugreifen und der unendlichen Schwierigkeit, sich loszureißen.
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