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Der Büttel als Erzieher

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Nicht zufälligerweise nahmen an jener Zusammenkunft im Kriminologischen Institut zahlreiche Psychiater, darunter auch solche, die in Strafanstalten beschäftigt sind, teil. Die Justizverwaltung vermehrt die Zahl der in Justizanstalten tätigen Psychiater. Sie hofft, damit besser als bisher an die Gefangenen „heranzukommen“, und die Psychiater glauben an die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlung bei gewissen Kriminellen. All dies basiert auf einer Grundhaltung, welche im Gesetzesbrecher vor allem einen seelisch Beschädigten oder Kranken sieht. Sosehr das zutreffen mag, hegt der Verfasser dieser Zeilen gewisse Zweifel über die Wirksamkeit einer Psychotherapie bei eingesperrten Neurotikem. Fehlt doch im Gefängnis das für eine solche Behandlung unabdingbare Moment der Freizügigkeit, des freiwilligen Entschlusses sowie normaler sozialer Beziehungen zur Umwelt. Der Psychiater kann (wie das die religiösen Seelsorger schon immer getan haben) eine Art Brücke zwischen dem Gefangenen und dem Aufsichtspersonal darstellen. Denn mit diesem hat es der Gefangene tatsächlich zu tun, und von ihnen trennt ihn gleichzeitig eine tiefe Kluft. Diese wird gebildet durch die Funktion der Wärter, den Freiheitsentzug zu gewährleisten und durch die reduzierte soziale Stellung des Häftlings. Eine Änderung dieses Verhältnisses wäre nur zu erreichen einerseits durch die im vorigen Abschnitt angedeutete Neugestaltung des Arbeitslebens und anderseits — durch diese bedingt — durch eine grundlegende Änderung der bisherigen Büttelfunktion des Aufsehers. Eine weitere Vofaussetzung hierfür wären frühzeitige umfassende Schulung, Erziehung und Charakterbildung der Justizwachebeamten (wahrscheinlich schon im Alter von achtzehn Jahren). Strafvollzugsreform heißt wahrlich nicht nur Einrichtungen zu reformieren, sondern auch das Denken und Verhalten der in ihnen Tätigen sowie auch derer, die sie auswählen, schulen und führen und selbst noch jener, welche die Verantwortlichen an den Hochschulen erziehen.

Der Verfasser glaubt an die ungeheure Notwendigkeit der Sühne des Schuldigen. Er ist sich aber bewußt, daß sie nie ganz echt und wirksam sein kann, solange sie dem Schuldigen nur von außen her von der Gesellschaft aufgezwungen wird — von einer Gesellschaft, in der kaum einer je frei von Schuld war und ist und die als Ganzes sosehr von Schuld durchsetzt ist. Natürlich kann die Gesellschaft nicht anders als den, dessen Schuld unausweichlich offenbar geworden ist, abzusondern, abzusichern und zu strafen. Sie befindet sich aber dabei auf einer nicht sehr festen Position, wenn diese geistig lediglich vom gesellschaftlichen Interesse gebildet wird. Denn dieses ist immer nur relativ, verhältnishaft und veränderlich. Daher kommt der Contrat social auch niemals ganz an die Seele des einzelnen heran. Und daher macht dieser sich auch immer wieder an der Gesellschaft schuldig. Der Circulus vitiosus wird und wurde nur dann unterbrochen, wenn dem Schuldigen zuerkannt wird, daß er mit dem schlimmsten Übel vor allem seiner eigenen Seele und nur in zweiter Linie der Gesellschaft Schaden zufügt. Von Sophokles bis O'Neill haben die großen Dichter aller Zeiten viel lauter als die anklagenden Stimmen der Gesellschaft jene des Schuldigen selbst sprechen lassen. Der Sozio-logismus unserer Zeit „vergesellschaftet“ in vieler Weise die individuelle Schuld; wir erkennen die Auswirkungen in der seltsamen Schwächlichkeit, Farblosigkeit und Unpersönlichkeit von Menschen an führenden Stellen. Wir erkennen sie aber auch an der seltsamen Reuelosigkeit jugendlicher Muttermörder und mordender Mütter über das Strafverfahren und die Strafhaft hinaus. Jene, die für die Gesellschaft sprechen, sprechen nur noch von Zuständen und Bedingungen, lange nicht mehr von Gut und Böse. Und so ist auch nicht mehr vom Bessern, sondern nur noch vom Resozialisieren des Schuldigen die Rede. Ihm muß daher jetzt erst recht bewußt gemacht werden, daß er der Sühne um seiner eigenen seelischen Gesundung willen bedarf.

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