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Der Bundespräsident; Kunst und Karikatur

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Theodor Heuss, der deutsche Bundespräsident, ist nicht nur ein universal gebildeter Essayist, der mehrere Bücher über Probleme und Persönlichkeiten der bildenden Kunst publiziert hat, sondern ein sehr charmanter und liebenswerter Mann — was, genau genommen, nur die natürliche Folge humanistischer Bildung ist. Seinen Vortrag „Zur Kunst dieser Gegenwart” begann er mit folgenden Worten: „Auch ein Mann in einem seriösen Beruf, etwa dem eines Bundespräsidenten, erlebt seine Stunden, wenn nicht des Leichtsinns, so doch der Leichtfertigkeit. Derlei ereignete sich, als ich vor einigen Monaten, da ich das Unterfangen des .Kulturkreises’ für so verdienstvoll als großartig hake, den heutigen Vortrag zusagte. Und es war weder tröstlich noch ermunternd, daß mir erst kürzlich einer der Verführer mitteilte, daß ich da in ein Wespennest greife — vielleicht vermutete er, daß ich vorher solide Lederhandschuhe anziehe. Was ich Ihnen sage, wird sehr persönlich sein. Vergessen Sie, bitte, daß der Bundespräsident vor Ihnen steht — er ist nämlich ein ganz anderer, der Literat, der zahlreiche Essays über Malerei, Graphik, Plastik, ja auch zwei Bücher über Architektur geschrieben hat.”

Diesen Vortrag, gehalten im September 1956 in Baden-Baden vor dem „Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie”, einer in der Tat verdienstvollen Institution, legt der Rainer-Wunder- lich-Verlag nun in vollständiger Fassung vor: vermehrt um all die Stellen, die Heuss zwar zunächst geschrieben, dann aber für den Vortrag selbst wieder gekürzt hatte, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht zu lange zu beanspruchen.

Man weiß nicht, was man an diesem Essay mehr rühmen soll: die souveräne Sachkenntnis oder den glänzenden Stil (der den Leser zwingt, die Ausführungen in einem und immer wieder zu lesen), die aus jedem Satz sprechende weise Toleranz oder die Grundeinstellung zu den Phänomenen unserer Zeit. 1st der Kunstbegriff Heuss’ im ganzen auch noch der humanistischen Tradition verpflichtet, so erkennt er in beispielhafter Aufgeschlossenheit doch alles Neue und die Bedeutung revolutionärer Persönlichkeiten — wie etwa die der Oesterreicher Otto Wagner und Adolf Loos, die in der Architektur bahnbrechend waren. Von Hans Sedlmayrs „Verlust der Mitte” distanziert er sich eindeutig. „Der Historiker der österreichischen Barockarchitektur … ; übersieht”, schreibt HeüSs, ;i„daß die geistige Mitte, die er verloretėr sieht c; zwar bekenntniskräftig, doch schon lange Illusion war und kaum mehr als Literatur ist..

Dem Vortrag „Zur Kunst dieser Gegenwart sind zwei früher entstandene Essays beigefügt: ein kleiner Aufsatz, „Wiedersehen mit O. K.”, geschrieben 1947, und eine größere Jugendarbeit, „Zur Aesthetik der Karikatur”.

Vor allem der Essay über die „Aesthetik der Karikatur” erscheint uns bedeutsam. Heuss erkennt sehr klar, „daß die Karikatur, indem sie frisch und kühn ‘ Experimente macht, der gesamten Kunst inhaltlich und formal neuen Anstoß, Förderung, Befruchtung bringt”. Ebenso klar arbeitet er die „erziehliche Wirkung der Karikatur auf das ästhetische Verständnis des Beschauers” heraus: „Wer geht in die Museen, und wie viele verlassen die Museen mit einem Mehr an künstlerischer Einsicht? … Die Karikatur kommt zu jedem; er kann ihr so schwer entgehen wie den Photographien Diese Photographien arbeiten geflissentlich daran, die Kunstwerte, die der Holzschnitt des alten guten Familienblattes hatte, im unpersönlichen Klischee zu vernichten. Da bleibt wenig neben der Karikatur, die als Zeugnis eines bestimmten Kunstwillens und formalen Könnens den Durchschnittsbürger regelmäßig erreicht.”

Um die ästhetische Einordnung der Karikatur in die Kunstgeschichte und die Klärung der Rolle, die sie in dieser gespielt hat, bemüht sich auch der junge Wiener Kunsthistoriker Werner Hofmann in seinem großangelegten Werk „Die Karikatur von Leonardo bis Picasso”. Werner Hofmann sieht die eigenständige Entwicklung der Karikatur — sein Karikaturbegriff ist viel enger als der bei Heuss — begrenzt auf den Zeitraum von der Renaissance bis zum Beginn der Moderne (oder, wie es der Titel sagt: von Leonardo bis Picasso; wobei Leonardo und Picasso als Grenzfälle schon außerhalb der Geschichte der Karikatur stehen). Die Karikatur, deren Geschichte Hofmann mit den Brüdern Agostino und Annibale Carracci beginnen läßt (zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts), ist für ihn bewußter Protest gegen das seit der Renaissance gültige Kunstideal des Absolut-Schönen, das am Maße des Menschen (als der Spitze der Werthierarchie) gemessen wurde. Als mit Beginn dieses Jahrhunderts die Ueberzeugung durchdringt, daß die Ausdruckskraft eines Kunstwerks einen höheren Wert darstellt als die idealisierte Abbildung der Natur, wird die Karikatur nicht nur als zum Bereich der Kunst gehörig anerkannt, sondern in gleicher Weise von neuen Entwicklungen, besonders dem Expressionismus, überholt.

Hofmann breitet vor uns eine Fülle von Detailkenntnissen aus und gibt viele originelle Gedankengänge und Einsichten. Der Abbildungsteil, der vor allem Grenzfälle der Karikatur berücksichtigt, ist mit Fleiß und Intelligenz gewählt. Wenn etwas an dieser aufschlußreiche Perspektiven öffnenden Darstellung auszusetzen bleibt, dann ist es die etwas unklare Gliederung und der stellenweise gewundene Stil.

Auf jeden Fall haben wir hier das deutsche Standardwerk über die Karikatur in der Hand. Darüber hinaus ist es wertvoll als Beitrag zur Rolle, die die Karikatur als Vorbereiterin der modernen Kunst gespielt hat.

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