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Stille Gespräche

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LUST DER AUGEN. Stilles Gespräch mit beredtem Bildwerk. Von Theodor H e u s s. Rainer-Wunderlich-Verlag Hermann Leins, Tübingen 1960. 304 Seiten. - FRIEDRICH NAUMANN UND DIE DEUTSCHE DEMOKRATIE. Von Theodor Heus s. Insel-Verlag, Wiesbaden 1960 (Insel-Bücherei Nr. 723). 47 Seiten.

Vom jüngeren Holbein urteilt Professor Heuss, der beredte Gesprächspartner so vieler stiller Kunstwerke, er wolle „nicht sagen, daß dieser Meister der größte deutsche Maler war, aber es gibt keinen größeren". Heute, da derlei nicht mehr als Byzantinismus ausgelegt werden kann, darf ich meine Ansicht offen bekennen, daß Heuss nicht nur an der Seite keines zeitgenössischen deutschen Schriftstellers kleiner scheint, sondern daß er der größte deutsche Schriftsteller oder, heißen wir es besser, der größte Wortkünstler der deutschen Prosa unserer Tage ist. DU stets wohldurchdachten Sätze, in denen sich deutsches Gemüt, lateinische Klarheit und eine entschieden romanische, spielerische Anmut zur schönen Synthese vereinen, drücken oft auf knappstem Raum, stets eine Fülle von Einsichten aus; sie eröffnen die Aussicht auf eine bald liebliche, bald großartige Geisteslandschaft, die inmitten einer von allen Seiten durch Barbarei bedrohten Welt der echten Humanität wie ein rettendes Paradies lockt und Sehnsucht weckt.

Mit verzeihlicher Koketterie den Dilettanten mimend, breitet der Verfasser vor uns eine Auswahl seiner in Zeitschriften und Zeitungen verstreuten Betrachtungen über Kunst und Künstler aus. Die Vielfalt seiner Begegnungen, vor allem mit Malern, dann auch mit Bildhauern und Baumeistern, ist erstaunlich. Deutsche und Deutsches beharren im Vordergrund, wir lesen aber nicht minder kluge, verständnisvolle Seiten über französische Maler des Rokoko, über englische Porträtisten, über Goya, besonders diesem Gewaltigen adäquat, über Daumier, Van Gogh, Munch und den beinahe zum Deutschen gewordenen Henry van de Velde. Bemerkenswert für Houss- Geistesart dünkt uns, daß kein einziger osteuropäischer Künstler in sein Blickfeld getreten ist. Er wurzelt ganz im europäischen Abendland, doch in dessen Gesamtheit.

Der politische Denker, der geschichtskundige, philosophische Kopf bezeigen sich gleichermaßen mit dem für wirtschaftliche. soziale Zusammenhänge Hellhörigen. Heuss verschmäht es indes auch nicht, Aspekte zu erörtern, bei deren Beachtung er, der erprobte Demokrat und Menschenfreund, keine Mißdeutung erfahren wird. Sein häufiger Hinweis auf stammhafte Eigentümlichkeiten eines Künstlers erinnern manchmal an Nadler. Zu einigen anderen Darlegungen mag der Marxist Beifall spenden. Freilich: wenn zwei dasselbe tun, berücksichtigen, ist es nicht dasselbe! … Einen starken Nachhall weckt beim Leser die innere Geschlossenheit des Bandes, in dem Impressionen aus den Jahren 1906 bis 1957 zu finden sind. Schon der junge Student besaß die Gabe des Sehens und des Schreibens fast in gleichem Maße wie der lebenserfahrene Greis, der das höchste Amt seines Vaterlandes bekleidete. Und auch in den Grundansichten entdecken wir keinen Wandel. Wobei das Erfreuliche und Bewundernswerte ist, daß Heuss dennoch immer mit dem ging, was in der Zeit wahrhaft wertvoll war; daß er ihr meist voraneilte und nie von ihr überholt wurde. Überhaupt, diese schier unfehlbare Unterscheidungskraft zwischen Echtem, Währendem und dem aufgebläht Angepriesenen, doch Vergänglichen!

Sehr reichen Beleg für diese den Kunstverstand entscheidend dartuende Eigenschaft offenbart — ungewollt und darum noch überzeugender — die Auswahl der zur Lust der Augen empfohlenen deutschen Künstler. Unter ihnen heben wir hervor: Hans Memling, Grünewald, Holbein, Rem- brandt, Dannecker, Spitzweg, Menzel, Rethel, Feuerbach, Märles, Hans Thoma, Leibi, Schönleber, Wilhelm Busch, Zille, Liebermann, Lovis Corinth und Karl Stauffer-Bern — die dem Autor herzlich unsympathisch sind und denen er trotzdem den gebührenden Platz zuweist —, Hodler, der ihn auch nicht sehr anspricht, geliebt und bewundert Kreidolf. Gar fesselnd für uns ift die Porträtreihe der Architekten, deren einem, Poelzig, Heuss in Freundschaft zugetan war und dem er eine glänzende Biographie gewidmet’ hat. Otto Wagner entzündet im Verfasser keine rechte Liebe; seine Leistung wird gleichwohl ebenso nach Verdienst gewürdigt wie die Josef Hoffmänns und Peter Behrens’. Warm schlägt hernach das Herz für Georg Kolbe und noch wärmer für Käthe Kollwitz, für Albert Weisgerber und, unbeschadet ernsthafter Kritik, für die drei ändern im ersten Weltkrieg Gefallenen: Franz Marc, August Macke, Nägele. Das große Schlußlicht heißt Kokoschka, und es funkelt bei Heuss in voller Pracht.

Heuss wollte keine einigermaßen Vollständigkeit anstrebende Galerie bescheren. Darum ist jede Fehlliste unangebracht. Wenn ich dennoch auf die Abwesenheit zweier Künstler hinweise, die unbedingt den Weg des Autors oft gekreuzt haben müssen — Slevogt und Hildebrand —, so nur deshalb, um die Zufälligkeit der Auswahl der Vorgestellten zu unterstreichen und um nochmals zu betonen, wie bewundernswert die trotzdem mühelos erzielte Wirkung des Buches ist, das uns am Beispielhaften eine europäische Kunstentwicklung vorfiihrt, bei der Deutschland zwar in die Mitte rückt, doch nicht als anmaßende Vormacht, sondern als Glied einer Gemeinschaft, die von drei Seiten her auf dieses Herzstück einstrahlt.

Der gleiche Geist europäischer Gemeinschaft spricht zu uns aus der Rede über seinen väterlichen Freund und politischen Lehrmeister Friedrich Naumann, die Theodor Heuss bald nach seinem Abschied vom Amt des Bundespräsidenten an der Pariser Sorbonne gehalten hat. Das Lob des Vorkämpfers für ein deutsch geführtes Mitteleuropa, der bei den wenigen Franzosen, die sich seiner entsinnen, nicht gerade im Geruch politischer Heiligkeit steht, war — gemäß der klaren Absicht Heuss’, des als ideale Verkörperung des besten Deutschland Hochgeschätzten — nicht nur dazu bestimmt, Gerechtigkeit für den Toten zu heischen und ihn in dessen wahrer Gestalt zu zeigen, sondern auch, die neue deutsche Demokratie, als würdige Partnerin des westlichen Nachbarn zu zeigen. Der Vortrag, formschön und geistreich wie alles, was Heuss im Wortkleid darbietet, hat tiefen Nachhall ausgelöst. Wir freuen uns, ihn gedruckt vor uns zu, haben. Der Staatsmann, der Schriftsteller, der Denker, der historisch geprägte Gelehrte leuchten auch aus diesem Zeugnis in aller Größe hervor.

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