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Erfülltes Frauenleben

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Ein reiches, weitgespanntes rrauenleben erschließen die Briefe der Elly Heuss-Knapp, die sie seit ihrer Backfischzeit um die Jahrhundertwende bis zu ihrem Tod im Jahre 1952 an geliebte Freunde und Verwandte geschrieben hat. Im Haus ihres Vaters, des bekannten Straßburger Nationalökonomen Georg Friedrich Knapp, dei eine seiner Schülerinnen, die georgische Prinzessin Lydia von Karganow, heiratete, wehte weltweite Luft. Hier liegt auch der Nährboden für die sozialen und politischen Interessen des jungen Mädchens, die in jener Zeit für die sogenannte „höhere Tochter“ noch sehr aus dem Rahmen fielen und Elly Knapp zum Studium nach Freiburg und Berlin führten. Sosehr sie diese wissenschaftlichen Studien als Bereicherung empfindet — es gelingt ihr zum Beispiel, in das exklusive Seminar des Nationalökonomen Jastrow zu kommen, obwohl sie ihm verschwiegen hat, wessen Tochter sie ist —, die praktische Sozialarbeit scheint dem jungen Mädchen schon damals wichtiger als der ganze akademische Betrieb. In Berlin ist es vor allem der Kreis um Friedrich Naumann, der sie interessiert, in dem sie auch ihren späteren Gatten Theodor Heuss kennenlernt. Und die soziale Arbeit Alice Salomons eröffnet ihr neue Perspektiven und löst ihr eigenes leidenschaftliches Engagement aus. Sie hält Vorträge und Kurse übei soziale und politische Themen und freut sich dabei in jugendlicher Eitelkeit ihres rednerischen Talents. Sie arbeitet, wiedei nach Straßburg zurückgekehrt, praktisch in der Armenpflege und genießt gleichzeitig, ganz naiv und unbeschwert, die repräsentativen Pflichten im Hause ihres Vaters, nachdem er Rektor der Universität geworden ist.

Diese Verschmelzung sehr verschiedene! Bereiche zu einer lebendigen Einheit ist typisch für alle Lebensperioden der Elly Heuss-Knapp. Sie verfügt über eine faszinierende Beweglichkeit und Vitalität, die sie konträre Interessen und Aufgaben spielend bewältigen läßt. Sie ist wirklich „Bürgerin zweier Welten“, wie Rudolf Alexander Schröder in seinem Brief an Theodor Heuss nach dem Tod der Gattin schreibt: ganz zu Hause im Diesseits mit seinen vielfältigen Anforderungen und zugleich auch in jener „unverlierbaren Heimat christlichen Glaubens“, mit dem sie sich immer von neuem intensiv auseinandersetzt. Köstlich ist der konfessionelle Freimut, den diese protestantische Professorentochter dabei an den Tag legt. In ihrer Berliner Zeit fühlt sie sich Dibelius genauso nahe wie Guardini, und während eines Rom-Besuches schreibt sie höchst unbefangen: „War Luther so groß im Geistigen oder so stumpf im Ästhetischen, daß er hier in St. Peter beschließen konnte, sich loszureißen? Unbegreiflich!“ 1933 dann, daß sie, wenn die protestantische Kirche den „Arier-Paragraphen“ einführen sollte, austreten und in die katholische Kirche eintreten werde. Und 1934: „Das weltanschauliche Durcheinander in Deutschland ist doch erstaunlich. Jetzt haben wir etwa sieben Konfessionen. Die katholische Kirche geht mir immer mehr auf. Mir scheint, daß unsere evangelische Gruppe, die Berneuchener usw. langsam darauf hinführen, und das bejahe ich. Freilich auf den reinen Katholizismus vor jesuitischer Prägung...“

Die andere Seite, das Zuhausesein in den jeweiligen Aufgaben des Augenblicks, zeigt sich besonders eindrucksvoll nach 193 3, als Theodor Heuss, durch die neuen Herren zum Stillschweigen verurteilt, nicht mehr für die materiellen Bedürfnisse der kleinen FamiHe aufkommen kann. Damals entdeckte seine Frau ihre propagandistische Begabung und drehte mit Charme und Geschick humorvolle Werbe- und Zeichentrickfilme, die sich auch als Kunstprodukte sehen lassen konnten.

1919, und dann wieder nach 1945, betätigte sich Elly Heuss-Knapp auch aktiv in der Politik, kandidierte für die neu gegründete Demokratische Partei. Dazu ihre nie abreißende Arbeit in der Wohlfahrtspflege, die durch ihr so erfolgreiches Müttergenesungswerk gekrönt ist. Bekannt wurde sie auch als Schriftstellerin und Journalistin. Sie gab die Selbstbiographie ihres Vaters heraus und schrieb ihre schönen Straßburger Erinnerungen „Ausblick vom Münsterturm“, später dann, in der Zeit geistiger Bedrängnis und politischen Druckes, die unter dem Titel „Schmale Wege“ zusammengefaßten Kurzgeschichten. In ihren Briefen spiegelt sich das öffentliche und kulturelle Leben Deutschlands in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, gesehen mit den Augen einer gescheiten, gütigen und immer hilfsbereiten und tatkräftigen Frau. Eine ungewöhnliche Erscheinung im deutschen Bereich, wo, im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern, der Typ der politischen Frau, die eine verantwortliche Aufgabe im öffentlichen Leben erfüllt, immer noch selten ist.

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