Ljudmila ­Ulitzkaja - © Foto: Imago / Itar-Tass

Der Schwanengesang der russischen Intelligenzia - Ljudmila Ulitzkaja: „Alissa kauft ihren Tod“

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Auch in ihrem neuen Erzählband bleibt die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja ihrem zentralen Thema treu – der literarischen Bearbeitung dessen, was man normales Leben nennt, geschildert aus der Perspektive von Frauen.

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Auch in ihrem neuen Erzählband bleibt die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja ihrem zentralen Thema treu – der literarischen Bearbeitung dessen, was man normales Leben nennt, geschildert aus der Perspektive von Frauen.

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Ende der 1990er Jahre konnte man als Moskau-Korrespondent des ORF in einer Redaktionssitzung gefragt werden: „Jelzin und so weiter … das Politische haben wir inzwischen verstanden … das aber, was uns jetzt interessiert, lautet: Wie leben heute die normalen Menschen? Wie ticken eigentlich die Russen?“

Die Möglichkeiten eines Reporterteams sind nicht unendlich und so führt die Antwort in die Küche einer Moskauer Durchschnittsfamilie. Der Teekessel brummt, die Kamera läuft und man hört zu: dass es nichts zu kaufen gibt und dass man ­ohne Gemüse aus der eigenen Datscha schon längst verhungert wäre. Wer ausgewandert ist und wer noch da ist. Wer Millionär wurde und warum wir, so wie wir hier in der Küche sitzen, es auch diesmal nicht ­schaffen und so weiter. Kurzum: Es war die Zeit der sogenannten Küchen­gespräche. Séancen des Privaten, des Nicht-­Offiziellen, des wahren Lebens.

Mit der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja hat das alles insofern zu tun, als sie genau in diesem Moment der russischen Geschichte ihre phantastische Karriere begann und genau diese ­Atmosphäre in ihren Romanen und Erzählungen bis heute fortspinnt. Zum Trost und zur Erbauung einer Generation, die sich nun im Pensionsalter befindet und deren biografischer Höhepunkt nolens volens mit dem Systemwechsel verbunden war.

Beachtliche Leserschar

Ljudmila Ulitzkaja ist unter den schreibenden Zeuginnen ihrer Epoche zweifelsfrei die prominenteste. Das hat auch mit ihrer Herkunft zu tun: Die sowjetische Geschichte, so kann man sagen, wurde ihr an der Wiege gesungen. Beide Großväter wurden in der Stalin-Ära verfolgt und inhaftiert. 1943 in Baschkirien geboren, begann sie in Moskau eine Karriere als Genetikerin. Wegen illegaler Tätigkeit (Samisdat) wurde sie aus der akademischen ­Sphäre relegiert. Als Dramaturgin im ­Moskauer ­Jüdischen Musiktheater lernte sie das Handwerk des Schreibens. Ihre Erzählungen mit russisch-jüdischem, jüdisch-russischem Hintergrund bezauberten rasch eine beachtliche Leserschar und wer heute in ­eine russische Buchhandlung geht, wird dort mit großer Wahrscheinlichkeit eine eigene Abteilung, zumindest aber ein eigenes ­Regal mit ihren Werken finden.

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