6775495-1969_20_08.jpg
Digital In Arbeit

„Die Maßlosigkeit der Gewalt hat sie zermalmt

19451960198020002020

Der heute 58jährige ehemalige Partisan, Mitbegründer der Volksrepublik Jugoslawien, Generalsekretär der KP, Chefideologe und „Vater des Titoismus“ sowie Präsident des jugoslawischen Bundesparlaments, Milovan Djilas, wurde 1954 entmachtet und lange Jahre inhaftiert. Im Gefängnis von Sremska Mitrovica vollendete er das Buch „Die Neue Klasse“, in dem er noch mit marxistischen Augen den zur Bürokratie erstarrten Kommunismus beschrieb. Seinen geistigen Weg bis zu seinem neuesten Werk, „Die unvollkommene Gesellschaft“, beschrieb Djilas so: „Gegen Stalin,— danach gegen das eigene System — und zuletzt auch gegen die Ideologie selbst.“ Dem Buch „Die unvollkommene Gesellschaft“ ist nachstehender Auszug entnommen:

19451960198020002020

Der heute 58jährige ehemalige Partisan, Mitbegründer der Volksrepublik Jugoslawien, Generalsekretär der KP, Chefideologe und „Vater des Titoismus“ sowie Präsident des jugoslawischen Bundesparlaments, Milovan Djilas, wurde 1954 entmachtet und lange Jahre inhaftiert. Im Gefängnis von Sremska Mitrovica vollendete er das Buch „Die Neue Klasse“, in dem er noch mit marxistischen Augen den zur Bürokratie erstarrten Kommunismus beschrieb. Seinen geistigen Weg bis zu seinem neuesten Werk, „Die unvollkommene Gesellschaft“, beschrieb Djilas so: „Gegen Stalin,— danach gegen das eigene System — und zuletzt auch gegen die Ideologie selbst.“ Dem Buch „Die unvollkommene Gesellschaft“ ist nachstehender Auszug entnommen:

Werbung
Werbung
Werbung

„Alle Dämonen, von denen der Kommunismus glaubte, er habe sie nicht nur aus der realen, sondern auch aus der kommenden Welt vertrieben, haben sich in seine Seeb eingeschlichen und wurden zu seinem Wesen. Einst war der Kommunismus eine Idee, eine Bewegung, die in den Werktätigen und Unterdrückten in aller Welt im Namen der Wissenschaft Hoffnungen auf die Verwirklichung des himmlischen Reiches auf Erden geweckt hatte: aus diesem unauslöschlichen menschlichen Traum, für den Millionen von Kämpfern in den Tod gegangen sind und immer noch gehen, hat sich der Kommunismus in nationale politische Bürokratien verwandelt, in Staaten, die miteinander um Ansehen und Einfluß, um die Quellen des Reichtums und um Märkte streiten — um all das also, worum die Staaten und die Politiker immer schon gestritten haben. Die Kommunisten wurden von ihren Ideen und den realen Gegebenheiten in ihrer Gesellschaft dazu getrieben, erst mit ihren Gegnern und später miteinander um die Herrschaft, diesen erhabensten aller Genüsse, zu kämpfen. Das ist das Schicksal aller revolutionären Bewegungen in der Geschichte. Die Kommunisten verfielen voll und ganz der Raffgier und dem Machtkampf. Ihre Herrschaft wurde absolut, totalitär; in ihrem Kampf um die Macht erwiesen sie sich als gewöhnliche Sterbliche und nicht als Geweihte besonderer Prägung, wie Stalin sie darstellte. Indem der Kommunismus seine Staatsgebilde über Völker von verschiedener Tradition und verschiedenen Schicksals errichtete, mußte er außerdem auf seine eigenen internationalen Zentren verzichten (also Moskau und Peking), da diese in unserer Zeit selbst Weltgroßmächte wurden! Aber erst in nationalem Gewand und auf nationalen Wegen erwarteten den Kommunismus Unbill und Weglosigkeit. Gerade auf nationalem Boden sprießt und entfaltet sich der Same der Streitigkeiten und Zerwürfnisse in allen Formen und auf allen Gebieten, wie dies auch in einer Bewegung unvermeidbar war, deren Ziel es ist, die Welt total zu erklären und den Menschen total zu beherrschen. Die Kommunisten, die „bewußt“ und „planmäßig“ durch neue Wirtschaftsformen die Abschaffung der Warenproduktion für den Markt und den „Verbrauch je nach Bedarf“ (und damit auch, wie Lenin sagte, die „Entwertung des Goldes zu einem Material für die Herstellung von Klosettmuscheln“) erreichen -wollten, suchen heute ihre Rettung auf dem freien Markt und in der Goldwährung. An Stelle der Abschaffung des Krieges, an die die Kommunisten einst glaubten und die sie als ihren Sieg ankündigten, versklaven nun kommunistische Großmächte kleinere kommunistische Staaten, und der Menschheit droht der Konflikt zweier kommunistischer Großmächte — der Sowjetunion und der Volksrepublik China —, der ebenso wahrscheinlich Ist und ebenso mörderisch sein wird wie ein Konflikt zwischen ihnen und den Mächten des „alten Systems“ ... Die Retter der Menschheit stehen vor einem Bruderkrieg; die „Glücklichmacher“ müssen um ihre eigene Haut bangen ...

Die Menschheit wird durch die Erschütterungen im Kommunismus nichts verlieren, obwohl sie den zerstreuten Grüppchen orthodoxer Kommunisten wie der Weltuntergang scheinen. Auch die Kommunisten werden nicht untergehen: denn obwohl sich die kommunistische Gesellschaft nicht so verwirklichen wird, wie sie die kommunistischen Lehrer prophezeiten, werden doch die Kommunisten als Individuen und teilweise auch als Bewegungen nicht zugrunde gehen; sie werden sich ändern und jenen Gegebenheiten anpassen, die innerhalb der Gesellschaft möglich und not-, wendig sind.

Aber wie dem auch sei: an ihrem Unglück sind die Kommunisten vor allem selbst schuld. Denn was haben sie erreicht in ihrem starrköpfigen Streben, eine imaginäre Gesellschaft zu verwirklichen; in ihrem Glauben, sie könnten die menschliche Natur verändern? Die Maßlosigkeit der angewendeten Gewalt hat sie selbst und ihre Ideen unerbittlich zermalmt. Die menschliche Natur erwies sich auch im Kommunismus — wie immer und überall im Lauf der menschlichen Geschichte — als ungeeignet und unfügsam für ideale Modelle, vor allem und gerade für solche, die sie einengen und ihr ihr eigenes Schicksal vorschreiben wollen.

Trotz alledem werden sich die Gegner des Kommunismus täuschen, wenn sie allzufrüh frohlocken. Alle Versuche, die Arbeit, die Leiden und Kämpfe der unterdrückten Völker auszunützen, werden sich als kurzsichtig und undurchführbar erweisen.“

Aus „Die unvollkommene Gesellschaft“ von Milovan Deilas, Verlag Fritz Molden, Wien 1969, 256 Seiten, S 108.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung