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Korea im Blickwinkel eines Arztes

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DAS JAHR IN PUSAN. Logbuch eines Arztes. Von Stefan W. Escher. Verlag R. Piper & Co.. München. 274 Seiten.

Stefan W. Escher, Chirurg und ärztlicher Forscher, dazu Kenner eines großen Teiles unserer Welt, gab schon mit seinem 1951 erschienenen. Buch „Krebs — Der Roman der wuchernden Zelle“ (Klett-Verlag, Stuttgart) eine glänzende Probe seines schriftstellerischen Körtiwnf und siine i Fähigkeit, 'Einid- probleme fn ihren ursächlichen Zusammenhängen zu erfassen. Sein Bericht über das Auftreten des Krebses seit 4000 Jahren — seit den Zeiten also, aus denen ärztliche Dokumente vorliegen —, über die verschiedenen Aspekte der Krankheit und ihrer eventuellen Ursachen, führt Escher zur Frage nach den seelischen und geistigen Ursachen des Leidens. Er betrachtet die Krankheit als menschliches Daseinsproblem und glaubt, Zusammenhänge zwischen der wachsenden materiellen Einstellung des Menschen und der immer gewaltiger wuchernden Krebszelle annehmen zu dürfen. Diese Auffassung schließlich läßt ihn, ebenso wie die Vertreter der „Ganzheitsmedizin", in der Krankheit nicht schlechthin ein Uebel sehen; sie müsse als „Regulativ des Lebens akzeptiert werden“, sie sei ein Hilfsmittel der Natur, das dem Menschen zu sich selbst verhelfen kann ... So führen ihn seine Ueberlegungen vom krebs- kranken Menschen zum Menschen unserer Tage; er sieht die Krebskrankheit als mahnendes Gleichnis unserer Zeit.

Die gleiche Kühnheit der Schlüsse, das Nebeneinander einer scharfen Beobachtungsgabe und eines sensiblen Einfühlungsvermögens bestrickt auch an Eschers neuem Buch „Das Jahr in Pusan“, einem Bericht über seine von 1955 bis 1957 währende Tätigkeit als Leiter der chirurgischen Abteilung des inzwischen geschlossenen deutschen Rotkreuzkrankenhauses in Südkorea. Doch sagt das zuwenig. Escher ist ein universaler Geist, der seine Betrachtungen nicht auf die schwierigen medizinischen Aufgaben der deutschen Aerzte in Pusan beschränkt. Er setzt sich mit der dem Europäer so fremden koreanischen Umwelt sehr vielseitig auseinander und kommt zu bemerkenswerten Einsichten über östliches Weltverhalten, über das Rätsel Asien. Menschliche Begegnungen sind ihm ein wichtiger Schlüssel zu neuen Erkenntnissen. Im Vorwort heißt es:

„Die Stationen dieser Begegnungen werden nachgezeichnet, wie sie sich für einen Neuankömmling vollzogen. In allmählich sich erweiternden Ringen — das Haus und die dort Agierenden: Deutsche wie Koreaner, Aerzte wie Patienten, Leidende, Helfer, Erpresser., Pflichtbesessene, Hochstapler, Ahnungslose und Wahrsager, Apostel und Kassandren beiderlei Geschlechts...

Die nähere Umgebung dann: Eine Straße mit ihren Gerüchen und ihrem Tageslärm, ihren nächtlich wandernden Masseuren, Feuerwächtern oder einem buddhistischen Mönch. Ihrem Schattenspiel hinter Papierfenstern, dem Frühläuten einer Missionsglocke und dem Tanz der Odalisken zu schwirrenden Gongschlägen.

Bei Tage tauchten wir so tief hinein in die fremde Welt, wie es wahrscheinlich nur der Arzt vermag — als Handelnde und Protestierende, als Helfende und Provozierende Nachts kamen die

Zweifel, nachts meldete sich das Gewissen des Betrachtenden. Nachts wurde uns deutlich, wie unerbittlich wir ayf ‘iner Insel lebten, womöglich jeder auf seiner eigenen . ..“

Diese Isolierung einer Handvoll Europäer inmitten ihrer mißtrauischen asiatischen Umgebung ist eine immer wiederkehrende Erfahrung Eschers. Die ohnehin geringen Hilfsmöglichkeiten gegenüber einer schier, unvörftellbaren Not werden noch' mehr eingeschränkt durch die nicht zu überwindende Körrup- tion und teilweise Unfähigkeit der einheimischen Helfer und Behörden. Eine gewisse Resignation, ein Abrücken von dem „kindlichen Weltverbesserungstrieb“ der Europäer und Amerikaner ist die unausbleibliche Folge. Doch hebt es die strenge Bemühung im täglichen Tun nicht auf. „Ein Vorbild schaffen und unsere Person daraus lösen ...“, sagt Escher einmal im Hinblick auf die koreanischen Aerzte.

Höchst interessant sind die Abschweifungen des Autors in die Geschichte und die gegenwärtige politische Situation des Landes. Gespenstisch enthüllt sie sich bei seinem Besuch der demilitarisierten Zone Koreas am 38. Breitengrad, jenes Niemandslandes, das, unter Beobachtung von neutralen Delegationen der Schweiz, Schwedens, Polens und der Tschechoslowakei, Truppen der Vereinten Nationen „sichern“.

„Einer von uns stellt die entsetzlich deutsche Trage: ,Was eigentlich haben Sie nun zu tun?' Der Angesprochene neigt sich vor tödlichen Ernst auf der Stirn, und raunt hinter der vorgehaltenen Hand: .Nichts!' Er hätte antworten können: ,Wir sind nicht hier, um etwas zu tun, sondern unsere Gegenwart genügt, daß nichts geschieht.' Doch um dieses enorme Positivum mit einem verneinenden Wortspiel elegant andeuten zu können, muß man wohl in einem Schloß am Genfer See groß geworden sein.“

Ein weiterer Höhepunkt ist der hinreißend beschriebene Polflug am Ende des Buches. Zeit und Raum sind aufgehoben. Alle Grenzen verschwimmen in der kosmischen Unendlichkeit. „Man ist hier deutlicher ausgesetzt, die Weltnacht draußen nähergerückt, saugend greift sie nach uns...“ Der Mensch dem Weltall auf den Fersen, mächtiger denn je, aber zugleich auch bedrohter und ungeschützter. Grenzsituation — sie wird hier bestürzend offenbar.

CARL LEOPOLD HOLLITZER. Ein Künstlerleben aus Oesterreich. Geleitwort von Lambert H a i b ö c k. Floridus, Wien. 14 Seiten, 28 Abbildungen.

Was brachte doch das alte Oesterreich in den letzten Jahren seines Bestandes noch für Künstler hervor. Das künstlerische Leben der Ersten Republik wäre sehr dürftig gewesen, hätte es nicht noch lange aus diesem Reservoir zehren können. Ein Original unter diesen Künstlern, die schon vor 1914 einen hohen Rang erreichten und dann in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hineinwirkten, war Carl Leopold Hollitzer, der 1874 in Deutsch- Altenburg als Sohn eines schwerreichen Bauunternehmers geboren wurde. Das vorliegende kleine Buch, das mit seinen Abbildungen und dem feingeschliffenen Essay aus der Feder von Lambert Hai- böck einen sehr guten Einblick in das Leben und in die Kunst H°llitzers gibt, spricht im Untertitel mit Recht von einem „Künstlerleben aus Oesterreich". Denn Oesterreich war der eigentliche Mittelpunkt des Schaffens Hollitzers. Ihm diente er mit seiner großen Kunst der Karikatur; mit seinen ernsten und heiteren Soldatendarstellungen, die ihn in die Gilde der Schindler und Pettenkofen wie auch der Pock und Schönpflug einreihen. Ihm diente er mit seinen Kostümentwürfen für historische Theaterstücke, wie „Juarez und Maximilian“ und der „Metternich- Trilogie“. Ihm diente er mit seinen Liedern, seiner Dichtung, besonders auch mit der Initiierung des Jubiläumsfestzuges für Kaiser Franz Joseph im Jahre 1908.

1942 starb dieser Oesterreicher, der mit seiner Kunst in hohem Grade den Charme, den Humor und die Melancholie seiner Heimat so gut darzustellen vermochte. Er starb, als es schien, daß für Oesterreicher kein Platz mehr auf der Welt sei.

1958 wurde in seiner Geburtsstadt ein Museum eröffnet, das mit dazu beitragen wird, die Erinnerung an diesen Künstler aufrechtzuerhalten. Und das hoffentlich von vielen Besuchern aufgesucht wird. Denen zu raten ist, daß sie vor ihrem Besuch das kleine Buch von Haiböck lesen, denn dann werden sie mit noch mehr Nutzen und Vergnügen das Museum durchwandern.

DD r. Willy Lorenz

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