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Nichtbewältigte Problematik

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Österreich und Preußen im Spiegel österreichischer Geschichtsauffassung. Von Walter Heydendorff. Verlag A. Sexl, Wien. Preußen und Österreich im Ringen um die deutsche Seele. Von Theo Rody. Verlag Schnell und Steiner, München,

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Österreich und Preußen im Spiegel österreichischer Geschichtsauffassung. Von Walter Heydendorff. Verlag A. Sexl, Wien. Preußen und Österreich im Ringen um die deutsche Seele. Von Theo Rody. Verlag Schnell und Steiner, München,

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In der Vorzeit war es üblich, Wunden durch Besprechung zu heilen. Der Magier besang, besprach sie; das altdeutsche Kulturdenkmal, die Merseburger Zaubersprüche (in Niederösterreich wortgetreu bis zur Gegenwart überliefert), erstellen ein gewichtiges Zeugnis dieser Urform heilender Besprechung. Darf es dann wundernehmen, daß neben Dichtern gerade die Historiker (noch besonders jene, die es sein wollen) sich im Besprechen geschichtlicher Wunder versuchen? Oft mit wenig Glück, denn es bedarf zäher, selbstvergessener, opferwilliger Arbeit, hoher Objektivität, großer Liebe und Geduld und eines weitschauenden Gerechtigkeitssinnes, wenn ein Geschichtsschreiber und Geschichtsdeuter sich anmaßt, tiefe Wunden im Leben einzelner VöllcJer zu beurteilen und richtend darzustellen.

So scheint die Stunde einer neuen historischen Gesamtschau der Geschichte des deutschen Volkes noch nicht gekommen zu sein. Zu tief sind die Gemüter noch verstrickt in Haß, Ressentiment, Parteilichkeit, oft auch allzu betriebsamer Liebedienerei gegenüber den Machtherrn des Tages.

Diese Tatsache bedingen nicht zuletzt zwei imposante Darstellungen, die einem Herzstück des geschichtlichen Kampfes in Deutschland und um Deutschland gewidmet sind, nämlich dem Gegensatz „Österreich—Preußen“. Der Rheinländer Theo Rody versucht in seinem Werk „Preußen und Österreich im Ringen um die deutsche Seele', (Schnell und Steiner, München) dem deutschen Volke, der Österreicher Walter Heydendorff will in seiner Arbeit „Österreich und Preußen im Spiegel österreichischer Geschichtsauffassung" (Obelisk-Ausgabe, Verlag A. Sexl, Wien) dem österreichischen Volke Sinn und Werden dieses vielhundertjährigen Schicksalskampfes erklären. Beide Verfasser sind erhaben über obige Vorwürfe: ein hohes persönliches Ethos, die Überzeugung, die Wahrheit zur Darstellung zu bringen, verbindet sie innerlich und setzt sie ab von den bestellten und bezahlten Historienfabrikanten des Dritten Reiches. Und dennoch: beide Werke kann man im Letzten nicht als glücklich und geglückt ansehen. So lobenswert ihr Streben, die Verdienste Österreichs aufzuzeigen, ist, so sympathisch diese Grundtendenz ihrer Werke berühren mag, so einfach, in Schwarzweißmanier, läßt sich die Weltgeschichte doch nicht abtun. Rody singt ein romantischschwärmerisches Loblied auf das gott- und volksverbundene Alt-Österreich, auf seine Kultur, Gesittung, Rechtsgesinnung und innere Harmonie, während das überwiegend slawische Preußen demgegenüber, volksmäßig betrachtet, als unglückliche Pervertierung des totalen Gottes-Dienstes des Deutschen Ritterordens, sein politisches Ausgreifen als eine Folge rechtloser Gewalttaten, Vertragsbrüche und Räubereien erscheint; Heydendorff ist historischer, nüchterner, die Realbezüge der Geschichte umfassender: doch auch er verfällt in seinem 1945 vollendeten Manuskript in eine einseitige, nur die Oberflächen des Gegensatzes berührende Schwarzweißkontrastierung, welche es unmöglich macht, an die tiefere innere und innerste Gegensätzlichkeit dieser beiden widereinanderstehenden Welten zu kommen.

Wer wie Heydendorff nur den äußeren politischen Kampf im Auge hat, sieht nur eine schwache Hälfte. Denn: Preußen ist mehr, ist größer, furchtbarer und — wohl auch dämonischer als die Kriegs- und Staatsaktionen jener Könige, als die politischen Winkelzüge Bismarcks, als die Amokläufe des Ex-Österreichers, der aus Deutschland ein Über-Preußen machen wollte. Und auch Österreich, gerade als weltgeschichtlicher Gegenspieler Preußens, ist mehr als „Maria Theresia“ und „Joseph II“, Heilige Allianz und Königgrätz! — Unbefriedigt legen wir so die beiden Bücher aus der Hand: sie klären nicht, sie vermitteln keine neue und tiefere Einsicht in dieses Kernproblem deutscher Auseinandersetzung — im letzten nur für den Tag geschrieben, sind Zwitterwerke: halb Geschichtsschreibung, halb zeitpolitische (und kulturpolitische) Bekenntniswerke. Gerade heute, wo uns die neue Gefährdung dieser Stunde kein billiges Harmonisieren, kein romantizistisch-scheinobjektives Vertuschen oder Überspielen der Gegensätze erlaubt, müssen wir uns ebenso hüten und bewahren vor einem im Grunde ebenso billigen Kontrastieren und Opponieren, welches nur die grellen Schlaglichter äußerer Schlachten und Staatsaktionen sieht, erkennt und anerkennt. Der Kampf um „Preußen“ und um die Seele des deutschen Volkes beginnt eben wieder zum Weltkampf zu werden. In diesem historischen Moment ziemt es uns nicht, dieses ungeheure (und oft ungeheuerliche) Thema in flächigen Randglossen zu illuminieren,

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