Schwelgen im Unheimlichen

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Ohne seine silberne Flöte wäre es um Arthur geschehen.

Arthur hat eine silberne Flöte und ein Problem mit seiner strengen und herrschsüchtigen Schwester Ada, unter der er seit dem Tod der Mutter besonders zu leiden hat. Tagsüber streunt Arthur gerne im Stadtwald herum, stößt auf Brombeerranken und Geheimes, in das er sich Schritt für Schritt verstrickt.

Elfriede Kern ist ihrem thematischen Terrain auch in ihrem neuen Roman treu geblieben. Bereits in ihrem letzten Buch "Kopfstücke" bewegte sie sich entlang den Spiegelungen einer abgrundtiefen Welt. Wo das Böse und Geheimnisvolle lauert und wie selbstverständlich sich seltsame Schlieren im Leben der Figuren zu ziehen beginnt, nimmt sie lustvoll deren Fährte auf. Das gilt auch für ihren neuen Roman. Denn in der Tat beherrscht Kern als gefinkelte Erzählerin souverän alle Register einer skurrilen Prosa. Ominöses, Grausames und Schauriges schleust sie scheinbar harmlos in den Lebensalltag ihrer Figuren.

Da wären zunächst einmal schwarze Lämmer, Honig und junge Hunde, wie es sich für den Kult Hekates gehört. Aber die Autorin macht ihre eigene Geschichte daraus. Dabei entsteht eine ideenreiche Story um Okkultes und um Rituale, um Hierarchien und soziale Defekte. Die dunklen Sujets scheinen ihr geradewegs zuzufallen. Als thematisches Wasserzeichen kristallisiert sich Majas Fest heraus. Auf dieses Ereignis wird hingearbeitet, hier kommen alle Fäden zusammen. Maja, die mächtige Beherrscherin des Auwaldes, opfert der Göttin Hekate, trägt beinahe immer ihre grausige, rotbraune Zungenkette und zeigt sich ihren Untergebenen sogar in schlecht sitzender rosafarbener Unterwäsche, was sie fast wieder lächerlich macht. Mit Hilfe ihrer Trupps werden LKWs auf Wegkreuzungen zum Zusammenstoß gebracht und ausgeraubt.

Elfriede Kern hat sich einiges einfallen lassen: Knochenarrangements auf einer Lichtung im Stadtwald, ausgeklügelte Beutezüge, kollektive Berauschungen mit Fliegenpilz und allerlei Grausames. Doch am interessantesten ist die Zeichnung ihrer Hauptfigur. Arthur mit dem absoluten Gehör, der ständig an einer Zuckerstange lutschen muss, möchte man für einen einfältigen Tölpel halten. Dennoch widersetzt er sich auf listige Weise der Gesellschaft. Er hat eine Vorliebe für das Abwegige, ihn locken die Abweichungen vom geordneten Gang des Lebens. Ein naiver und leichtgläubiger Halbwüchsiger, der das Unglück sucht, ja provoziert, indem er sich in geheimnisvolle Umstände hineinmäandert. Dass er auch Ada in all dies verwickelt, geschieht zunächst aus Rache. Erst viel später merkt er, dass ihm die Sache eigentlich von Anfang an völlig entglitten ist. Hätte er seine silberne Flöte nicht, stünde es schlecht um ihn.

Die Erzählerin verbindet raffiniert das Irrationale und Undenkbare mit dem Möglichen. Sie verrückt die Koordinaten des gewöhnlichen zwischenmenschlichen Agierens, indem sie sie im Schaurigen und Bedrohlichen oszillieren lässt. Das Ominöse gewinnt die Oberhand, samt dem Spiel mit der Fiktion. Wenn sich der Held in selbstverschuldeter Ausweglosigkeit inmitten eines rätselhaften Treibens nach geheimen Gesetzen wiederfindet, denkt man unwillkürlich an kafkaeske Verhältnisse.

Natürlich läuft hier alles anders. Auch schnappt die Falle nicht gänzlich zu. Selbstvertrauen und grenzenlose Unerfahrenheit lassen Arthur das Ritual im gelbgrün glänzenden Festgewand überstehen. In einem Gespräch mit Angelika Klammer zitierte Elfriede Kern einen Satz von Nathalie Sarraute: "Ahnungslosigkeit ist eine wirksame Waffe."

"Wer ganz ahnungslos ist, ist auch geschützt", sagt sie über Arthur, der nichts hört und sieht und sich schon gar nicht warnen lässt. In diesem Buch kann sich das Unheimliche ungestört breit machen. Der Roman erregt durch seine Eigenwilligkeit besondere Aufmerksamkeit und zieht dem Leser schön langsam das sichere Terrain unter den Füßen weg. Doch Arthur weiß: "Hat man den Kammerton a einmal im Ohr, ist es ein Kinderspiel, für alles die richtige Tonart zu finden."

Schwarze Lämmer

Roman von Elfriede Kern

Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001

178 Seiten, geb., e 20,71

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