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Shaw und Tolstoij

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Shaws .Cäsar und Cleopatra“,neuinszeniert von Josef Gielen in der Burg. Eine anziehende, fesselnde Aufführung. Wir Mitteleuiopäer auf dem Boden des alten „Heiligen Reiches“ und seiner totalitären Nachfolgestaaten tun gut, uns die historische Bedeutung dieser nunmehr bereits klassisch gewordenen Schau Casars recht eindringlich vor Augen zu stellen. In der Luft höfischer Devotion, in der Atmosphäre religiös-politischer Verehrung des Staatsoberhauptes hätte dieses Werk niemals entstehen können. Ein Inselkette schrieb es. — Seine Genesis setzt einen vielhundertjährigen Kampf gegen den Herrscherkult voraus; der Glaube an die „Großen Männer, die Geschichte machen“, war, vermischt mit dem Geniewesen der Romantik, nur ein letzter Abglanz dieser oft in Fleisch und Blut übergegangenen Haltung, die zu den Herrschern und Heroen der Weltgeschichte eine Distanz schuf, die 6owohl echte Kritik ausschloß wie tieferes Verstehen. Das aber macht heute den Zauber des Shaw-schen Casars aus. Während der historische Cäsar sich im Lauf seines Aufstieges in Geschichte und Legende sich immer mit den Gewändern und Attributen des Gottkaisers umkleidet, zieht 6ich dieser Cäsar aus — wird aber nun nicht wie der nackte“, entheiligte König Marke im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg zum häßlich leeren Triebwesen, sondern entpuppt sich ak Mensch, der sehr wohl bestehen kann „n u r“ als Mensch; mit Fehlern, Schwächen, Torheiten des Mannes, aber eben auch: in einer humanen Größe, im Besitze hoher Vernunft, erfahrungsgesättigter Weisheit, so wie keine Staats- und Herrscher-gläubigen ihr Idol zu sehen vermögen. Das ist die hohe'kulturpolitische Bedeutung für uns Österreicher heute: sie mag uns lehren, dem Faszinierenden und Betäubenden der großen Macht nicht mit ihren zahllosen Hymnikern und Verehrern zu erliegen, sondern hindurchzusehen. Bis sich ihr Kern offenbart: im Unmenschlichen oder — wie hier — im menschlich Großen. Das ist der Innensinn der Komödie „Cäsar und Cleopatra“. Naturgemäß tritt in dieser Sicht Cleopatra, das Nilkätzchen, zurück. Sie hat keinen starken Eigenstand, dient vielmehr der Entfaltung der Persönlichkeit Casars. So mag wohl die Aufführung der Burg gemeint sein, in der Werner Krauß alles überragt.

In der Bearbeitung des Moskauer Künstlertheaters bringt die Scala To ls t o i j s Roman „Au ferstehung“. Die Geschichte vom reuigen Fürsten Nechljudow, der der unschuldig verurteilten Dirne Massiowa nach Sibirien folgt, weil er sich für ihr Leben verantwortlich weiß, dient Tolstoij als Ansatzpunkt, um 6 e i n Gemälde Rußlands aufzurollen! die Hohlheit einer verderbten Gesellschaft, die Korruption der Justiz, Laster und Schwäche jedes Standes und Berufes. Tolstoij, mit Problemen seiner eigenen Existenz ringend (er selbst .ist“ Nechljudow), benützt dieses ungeheure, schwer belastende Tatsachenmaterial über die feudale zaristische Gesellschaft seiner Zeit in erster Linie dazu, um sich über sich selbst klar zu werden. „Was tue ich wirklich, in diesem Volk der Sünder und Verbrecher, 6einer Schinderknechte und Henker, um das Volk und mich in ihm auf den Weg der Erlösung zu führen?“ Wie Dostojewskij erkennt er, daß dieser Weg über Sibirien führt. Das Leid der politischen und kriminellen Gefangenen mittelt ihm die Erkenntnis: der Mensch ist dem Menschen nicht als Richter, sondern als Mitleidender bestellt.

Die Moskauer Bearbeitung löst, wenn wir der ausgezeichneten Wiedergabe der Scala trauen dürfen, dieses sehr komplexe Gebilde in einen Film auf, in dem der Dichter (Karl Paryla) sein zweites Ich, Fürst Nechljudow (durch Parylas Bruder Emil Stöhr trefflich dargestellt), reflektierend und kommentierend durchs Leben begleitet. Erkenntnis seiner Schuld, Reue, Umsinmung, erst zögerndes, dann mitgerissenes Handeln der Sühne: dieser psychologische Prozeß wird glänzend herausgearbeitet, er hängjt aber ebenso wie der Leidenszug des von seinen Schergen ins KZ geleiteten Volkes irgendwie in der Luft und gerät in die Gefahr, sentimentali6ch-6olipsis-tisch mißverstanden zu werden. Kein Zufall, diese Bearbeitung streicht Wesentliches: Tolstoij immer reüfer werdendes Bekenntnis zur Wandlung der Welt durch Gewaltlo6ig-keit, NichtStrafe, NichtVergeltung, Mitleiden, wagt aber andererseits doch nicht, den Roman zum rein politisch-revolutionären Gesell-schaftsdrama umzuformen, in dem der Glaube an die Heilskrdft der Revolution das alles-bindende und -allestrennende Element sein müßte. Trotz dSeser immanenten, in der Bearbeitung liegenden Zwistigkeiten: eine Regie und schauspielmäßig auf hoher Stufe stehende Aufführung. Friedrich Heer

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