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„Alles ist Gnade“

19451960198020002020

Angnstin. Von Joseph Malėgue. Aus dem Französischen übertragen yon Edwin Maria Landan. Benziger-Verlag, Einsiedeln-Zürich-Köln. 1110 Seiten. Preis 24.90 sfr.

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Angnstin. Von Joseph Malėgue. Aus dem Französischen übertragen yon Edwin Maria Landan. Benziger-Verlag, Einsiedeln-Zürich-Köln. 1110 Seiten. Preis 24.90 sfr.

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Wer die aufrüttelnde Geschichte des Modernismus nicht persönlich miterlebt hat, wird sich davon weder aus den „Memoires“ eines Loisy noch aus den Schriften Tyrrells, den Entgegnungen eines Commer oder den ausführlichen Darstellungen der neuesten Kirchengeschichte (etwa von Schmidlin oder Hermelink) ein so lebendiges und, dramatisch gestaltetes Bild machen können wie aus diesem einmaligen Roman, in dem ein tragisches Schicksal im Schöße der Kirche mit dem ganzen Zeitkolorit, den verschiedenartigsten Stimmungen, wissenschaftlichen Problemen und persönlichen Konflikten geschildert wird. Dabei wird der Leser fortwährend von dem Gedanken verfolgt, daß dieses Meisterwerk der einzig vollendete Roman eines Mannes ist, der hauptberuflich als Jurist tätig war und sein Werk erst in seinem 57. Lebensjahr (193 3) veröffentlichte. Fesselnd und zugleich problematisch ist die Hauptfigur: ein junger, hochbegabter, ehrgeiziger, aber reiner und aufrichtiger Gelehrter, der durch seine gewissenhaften Bibelforschungen dem Modernismus verfällt und erst durch schweres Leiden — den Verlust der innig geliebten Eltern, eine wunderlich reine, aber enttäuschte Liebe und eine schwere Krankheit — den Weg zum Gott seiner Jugend und zur Kirche zurückfindet. Man könnte vielleicht die Frage aufwerfen, ob und wie es theologisch möglich sei, daß dieser Augustin Mėridier anscheinend schuldlos den Glauben verlor, wie es hier dargestellt wird. Im Lichte des letzten bitteren Aktes müssen wir höchstwahrscheinlich antworten, daß Augustin im Grunde doch seinem Glauben treugeblieben ist, ohne es selbst klar zu wissen. Auch dieses Leben steht im Zeichen der Gnade, obwohl sie, menschlicherweise gesprochen, reichlich spät eingreift: aber das Zeit moment spielt auf diesem Gebiet eine untergeordnete Rolle. Nach menschlichem Ermessen hätte dieses Leben vielleicht einen anderen Verlauf genommen, wäre dieser Augustin dem erblindeten und fast legendarischen Lazaristen Monsieur Pouget begegnet, dem Juan Guitton sein wunderbares „Portrait de M. Pouget“ gewidmet hat. Der feine Bibelkenner Pouget verstand die Segnungen und die Gefahren der wissenschaftlichen Kritik, er wurde der Freund Bergsons, und manchen schwankenden kritischen Geistern zeigte er in seiner einfachen Klosterzelle den Ausgleich zwischen Glauben und Wissen. Wenn der Held dieses Romans sich mit einem Mann wie Pouget hätte aussprechen können ..., fragt man sich. Aber auch das wäre Gnade gewesen, und, wie gesagt: im Endresultat spielt das Zeitmoment eine geringfügige Rolle.

Jacques Madaule hat das Werk, das nach seiner Veröffentlichung als eine literarische Sensation begrüßt wurde, „eines der wenigen Meisterwerke, einen der größten Romane der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen", genannt, Wir unterschreiben dieses Urteil, aber für uns bleibt „Augustin“ von Malegue in erster Linie der große katholische Roman unseres Jahrhunderts, der großartig gelungene Versuch, im Rahmen eines farbig entworfenen Zeitbildes den dramatischen Kampf zwischen Glauben und Wissenschaft, zwischen kritischem Sinn und Demut, zwischen menschlicher Unzulänglichkeit und göttlicher Kraft, zwischen Liebe und Leid darzustellen. Die ausgezeichnete Uebertragung erscheint zwar mehr als dreißig Jahre nach der Originalausgabe, aber ein echtes Kunstwerk hat es nicht eilig. Es wird trotzdem entdeckt.

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