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Frankreichs Zickzack-Kurs

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Selbst alte Anhänger de Gaulles zögerten in den letzten Wochen voi der Erkrankung und Operation des Generals, wenn es galt, Frankreichs Außenpolitik zu deuten oder zu definieren. Oft flüchteten sie sich in die abstrakte Sphäre der Unangreifbarkeit, wodurch sie ihre Ratlosigkeit offenbarten. Aber auch die grundsätzlichen Gegner fühlten sich durch das Hin und Her, in dem Prinzipien aufgestellt — hier strikt durchgeführt, und dort wieder verworfen — werden, in ihrem Urteil mehr und mehr desorientiert. Nur in einem Punkt s*hism*jn sich dies*rittschs*-Betrachter einig zu sein, wenn sie auch ihre Meinung nicht immer laut verkündeten, sondern sie persönlichen Aussprachen unter vier Augen vorbehielten: Etwa seit einem halben Jahr fehle es dem General an Sicherheit und Bewegungsfreiheit; er scheine nicht recht zu wissen, zu welchem Weg er sich entscheiden, welche Risiken er übernehmen soll.

Der Publizist Georges Suffert wies darauf hin, daß man an einem Tag den Eindruck gewinne, daß der Staatschef Frankreichs in dem „Klub der Großen“ führen wolle, während er am anderen den Anschein erweckt, die Führungsrolle an der Spitze der Kleinen und Machtlosen anzustreben. Einmal scheine ihn Europa zu irritieren, und ein andermal tue er so, als empfange er vom Europagedanken seine Inspirationen. Neuerdings sei die Absicht in den Vordergrund gerückt, internationale Beziehungen auf „realistischen Grundlagen“ aufzubauen, das heißt auf den Grundlagen des Status quo. Dies gelte für die französische Politik für Vietnam und Rotchina und — wie ein hartnäckiges Gerücht wissen wollte — für das deutsche Problem.

Zahlreiche Gesprächspartner bestätigen das Vorhandensein derartiger Tendenzen, fügen jedoch sofort hinzu, daß man nicht — wie in der Vergangenheit — in den Fehler verfallen dürfe, Einzelentscheidungen, gelegentlichen Äußerungen und Maßnahmen des Generals die Bedeutung einer „historischen Orientierung“ beizumessen, denn die Praxis zeige, daß er, entgegen einer überholten Legende, gar nicht über ein Generalkonzept verfüge.

Es ist nicht einfach, zu diesen Urteilen eindeutig Stellung zu beziehen, wie es Paul Reynaud in einem soeben erschienenen Buch (La politique exterieure du gaullisme) tut, in dem er die Aktionen des Generals in Bausch und Bogen verdammt und zu dem Fazit gelangt, daß in der Erinnerung der Geschichte allein der „18. Juni“ — die Entscheidung de Gaulles zum Widerstand gegen die deutsche Invasion — vom Gaullismus haften bleiben werde. Dazu sind die Probleme zu vielfältig und zu komplex. Aber es scheint angezeigt, auf das Phänomen hinzuweisen, daß die französische Außenpolitik im gegenwärtigen Stadium mehr und mehr den Charakter eines auf die näherrückenden Präsidentenwahlen ausgerichteten innenpolitischen Instruments in der Hand des Generals gewinnt: Es kommt dabei erst in zweiter Linie auf reale, objektive Erfolge an — im Vordergrund steht das Bedürfnis nach dem Beifall der französischen Massen, die nicht kritisch denken, sondern sich von glanzvollen Demonstrationen, spektakulären Ereignissen und eigenwilligen Entscheidungen beeindrucken und beeinflussen lassen.

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