7132425-1997_32_05.jpg
Digital In Arbeit

Wir gehen wie Barbaren mit dem Leben um

19451960198020002020

Philosophen und Theologinnen, Geisteswissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler über das Thema „Leben”. Streiflichter von den Salzburger Hoch-schulwochen.

19451960198020002020

Philosophen und Theologinnen, Geisteswissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler über das Thema „Leben”. Streiflichter von den Salzburger Hoch-schulwochen.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie ein Christ verpflichtet ist, gegen die Verarmung der dritten Welt anzukämpfen, muß er über all eingreifen, wo sich der zweck-rationale Zugriff des homo faber absolut setzen will.”

Das Verhältnis von Wissenschaft, Leben und Glauben war der thematische Bogen über Hans-Dieter Mutschlers Vorlesungsreihe „Leben zwischen Existenz-vollzug und Manipulation”. Mutschier, Philosophiedozent an der Johann-Wolfgang-G/)ethe-Universität in Frankfurt, meinte,, die Spannungen zwischen Wissenschaft und Lebenswelt seien heute so extrem und gefährlich, daß die meisten Menschen sie nicht wahrhaben wollten, betonte aber: „Wir werden diese Spannung nicht so leicht loswerden, weil es ein Widerspruch ist, lieben objektivieren, wissenschaftlich behandeln und zugleich empfinden zu wollen.” Leben heute erfordere beides: sowohl den wissenschaftlichtechnischen als auch den intuitiv-intellektuellen Zugriff.

Mutschier kritisierte in diesem Zusammenhang die passive 1 laltung der Kirche, zu den Versuchen von Wissenschaft und Technik ihre Macht absolut zu setzen, ¥& wäre Aufgabe des Christentums, diese Verabsolutierung anzuprangern. Daß dies nicht in ausreichendem Maße geschieht, erklärt Mutschier mit dem „Galilei-Komplex”: Die Kirche habe sich im 17. Jahrhundert blamiert, als sie versucht habe, die aufkommende Neue Welt und die moderne Technik zu bremsen. Daher rühre vielleicht, so Mutschier, diese Haltung, die sich nicht gestatte, Wissenschaftskritik zu üben, aus Angst, sich als „unwissenschaftlich, als ewig Gestriger” zu erweisen.

Sich dem dominierenden Zugriff des homo faber zu widersetzen, habe, so Mutschier, nichts mit Unwissenschaftlichkeit zu tun, sondern mit der Notwendigkeit, „Begrenzungen anzuerkennen”. In der Moderne dominierten der Entgrenzungs- und Machtgedanke in einem Ausmaß, „daß wir in Gefahr sind, uns zu ruinieren”: „Wir gehen mit dem Leben um wie Barbaren”. Die Natur aber sei mehr als Materie unseres Gestaltungswillens.

Zudem erobere, so Mutschier, eine „neue Leibfeindlichkeit” die Gesellschaft: eine Leibfeindlichkeit, die längst nicht mehr „in den Nonnenklöstern, sondern vor dem PC” zu orten sei. Die scheinbar stimmige, überschaubare Welt des Computerinnenraums kontrastiere scharf mit unserer Physis. „Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Datenwelt wird diese idealisiert”, würden menschliche Bedürfnisse als „unangebracht und unangenehm” zurückgedrängt.

Für ein Leben in vollen Zügen plädiere auch die Bibel, betonte die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer in.ihrer Vortragsreihe „Biblische Vorstellungen vom Leben”. Biblisches Leben meine nicht „bloßes Dahinvegetieren und auch nicht bloßes Erhalten der letzten Grundfunktionen des Lebendigseins - etwa der Gehirnströme - sondern vollen Lebensvollzug und Lebensgenuß”. „Wie Leben als solches und in seiner Begrenztheit erfahren wird, hängt eng zusammen mit den Vorstellungen vom Transzendenten, das menschliches Leben ermöglicht, bedingt und vielleicht - in Händen hält.”

Wie Menschen ihr Leben begreifen, würde grundlegend mitbedingt von ihrer religiösen Haltung. „Wenn es kein Transzendentes gibt, ist der Mensch auf sich allein geworfen, auf die kurze Spanne biologischen Lebens”, erklärte Fischer in ihrer Vorlesung „Ursprung und Ziel des Lebens in der Hebräischen Bibel”. Jüdisches wie christliches Erbe verstünden Leben als von einem persönlichen Gott geschaffenes, gehaltenes und über die Grenzen biologischen Daseins hinaus bewahrtes Leben.

„Der Begrenzung des Lebens durch das Sterben standen die Alten offensichtlich gelassener gegenüber als wir heute, die wir mit Technik und Chemie das Sterben verhindern oder zumindest so lange wie möglich hinauszögern wollen”, meinte die Bibelwissen-schaftlerin. Der Tod werde in der Bibel dann als schrecklich und unheilvoll erfahren, wenn er mitten ins Leben greife, „zur Unzeit Menschen aus dem Leben reißt, wenn die jüngere Generation vor der älteren stirbt”.

Auch die Bolle von Mann und Frau in den Schöpfungserzählungen und den „drastischen Realitätssinn der Menschen Alt-Israels” brachte Irmtraud Fischer zur Sprache: „Eine Ordnung des Zusammenlebens, die aufgrund von sozialer Schicht, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht bevorzugt oder diskriminiert, gehört nicht zur gottgewollten Ordnung menschlichen Lebens.”

Als Mann und Frau lebten der Mensch fern vom Angesicht Gottes. „Unter seinem Angesicht jedoch gibt es keine Herrschaft des einen Geschlechts über das andere. Unter seinem Angesicht leben Mann und Frau in glückender und beglückender Gemeinschaft.” Das Vergießen von Blut, das gewaltsame Ende des Lebens, gehöre zur Lebenserfahrung der Menschen bis heute. Dies aber sei, so Irmtraud Fischer, ein Faktum, das die Bibel nicht mit der göttlichen Lebensordnung, wie sie vom Schöpfer intendiert war, in Verbindung bringt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung