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Der Oeist der „Burs“

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Was ist dies für ein seltsames Ding, dieser Geist des Burgtheaters, bei dessen Nennung sich die Stirnen gerade der Besten in Demut neigen, die Augen mancher Jungen und Jüngsten in Liebe und Begeisterung aufflammen und selbst die Kleinsten im Räderwerk des Ensembles der „Burg“ eine stolze Zugehörigkeit fühlen, die ihnen ihren Beruf adelt und ihrem Mitwirken den Abglanz der Geschichtlichkeit verleiht? Was ist dies für ein sonderbarer Geist, den mutig zu berufen anderseits auch wieder das sicherste Mittel ist, um für einen weit- und theaterfremden Doktrinär oder gar für einen hohlen Pathetiker, für einen zeitfeindlichen laudator temporis acti, wenn nicht für einen phrasendreschenden Schwachkopf ausgeschrien und mit schmutzigem Hohne überschüttet zu werden?! Nun denn, dieser Geist ist der zur künstlerischen und sittlichen Weltanschauung gereifte Glaube an das kulturschöpferische Lebensprinzip des Burgtheaters, und dieses hinwiederum bedeutet Ehrfurcht vor dem Werke des Dichters, um seinetwillen rastlose Arbeit an sich selbst, unbedingte Einordnung der eigenen Leistung in das Konzert des Ensembles und schließlich, als das Wichtigste, das treue Festhalten an dem Gedanken der Ensemblekunst selbst. Daher — nicht wegen höfischer Ueberkommenheit, sondern gleichsam um der Einzelanonymität willen — das zähe Verharren der Künstlerschaft selbst an dem vielberufenen Vorhangverbot! Daher — nicht aus Hochmut oder Konkurrenzneid! — tief innerste Ablehnung des als destruktiv erkannten Gäste- und Starsystems, daher — nicht aus Zeitfremdheit oder Unbelehrbarkeit! — eine Art von darstellerischem Konservatismus, der nicht jeglicher neuen Richtung nachläuft, sich aber von allem Neuen jeweils das Beste nimmt und dergestalt jenseits des Allzuhäufigen zu mehr gelangt, als dieses zu bieten vermag: zu einem wirklichen Stil als zur wichtigsten Voraussetzung für die gewaltige Spannweite eines Repertoires, das gemäß seiner ideellen Aufgabe grundsätzlich die Dichterwerke aller Phasen und Zonen der Weltliteratur umfaßt. In dieser Beziehung sind besonders jene Pressestimmen von Wichtigkeit, die den Künstlern des Burgtheaters vollendete Natürlichkeit nachrühmen. Ist dies die Natürlichkeit, wie sie der Naturalismus verstanden hat? Nein und tausendmal nein! Sondern es ist jene höhere Natürlichkeit, die zur Charakterisierung einer Gestalt auf das Räuspern und Spucken des Alltags, auf alle bloß illustrativen Nuancen verzichten kann und statt dessen gleichsam auf die platonische Idee der Gestalt, auf ihr Geistiges und Ewiges gerichtet ist. Einzig und allein dieser Stil, als das Ergebnis einer hundertfünfzigjährigen Entwicklung und Erziehung, ermöglicht wirklich geistiges Theater und gibt dem Spielleiter, wenn er einer ist, die Mittel in die Hand, um insonderheit die großen Werke der Klassiker immer wieder lebendig werden zu lassen. Und eben dieser Stil ist die edelste Frucht des hn-sembleprinzips, das nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein sittliches ist. Es behaupten ja allerdings so manche, daß „Ensemble“ jede Vereinigung von guten Schauspielern darstelle, die von einem Regisseur höchsten Ranges zu einer Vorstellung höchsten Ranges gebracht sei. Es soll nicht geleugnet werden, daß derartige theatralische Darbietungen, von einer ad hoc zusammengewürfelten Künstlerschar geleistet, in einzelnen Fällen einen höheren Grad der Vollkommenheit erreichen. Was aber steht als Summe all dieser Einmaligkeiten und Vollkommenheiten am Ende? Spricht nicht der allgemeine Zusammenbruch des deutschen Theaters in den Jahren um 1930 eine geradezu apokalyptische Sprache? Ist dergleichen wirklich nur das Ergebnis der materiellen Not? Höchstens inso-ferne, als das längst dem Kommerz ausgelieferte deutsche Theater nunmehr den Bankrott des Kommerzes mitmacht! Und aus der Atmosphäre eben dieses Kommerzes stammen ja auch Theorie und Praxis des Star- und Gästeunwesens und des Ad-hoc-Ensembles! Was von diesem geleistet werden kann, es gleicht fürwahr der

Arbeit des Sisyphus, der seinen Felsblock immer wieder auf die Höhe stemmt, um ihn auch immer wieder in den Abgrund zurückrollen zu sehen. Solch noch so heißes Bemühen wird niemals imstande sein, eine TheaterkuLtur zu schaffen. Und um diese geht es doch letzten Endes. Die gewaltigen Summen der Arbeit, die oft auf derartige Aufführungen verwendet werden, sie sind für den Tag und wirken über ihn nicht hinaus in ein Lebendiges und Bleibendes, das den Tag überdauert. Sie verbrauchen Kräfte, aber sie vergeuden sie zugleich, und eben dieses Vergeuden nenne ich unsittlich, denn Menschenkraft, und insonderheit die seltene, begnadete des Künstlers, ist heilig. Mag die Nachwelt dem Mimen keine Kränze winden! Das ist nur eine oberflächliche Wahrheit. In Wirklichkeit wirkt der Schauspieler in seiner Art genau so über seinen Tod hinaus wie irgendein anderer Künstler, vorausgesetzt freilich, daß er einem bedeutenden Ensemble angehört und mitgeholfen hat, dieses weiterzubilden. Von Geschlecht zu Geschlecht wird da auch sein Ewiges weitergenährt, wie die heilige Flamme im Tempel der Vesta. Oder vermöchte jemand im Ernste zu glauben, daß der Triumph des Burgtheatergeistes möglich gewesen wäre, wenn Anschütz, Sonnenthal, Baumeister, Mitterwurzer — um nur einige zu nennen! — im Burgtheater nur als Gäste aufgetreten wären?! Und umgekehrt, wären sie nicht wirklich tot und ausgelöscht, wenn sie nicht in der hohen Natürlichkeit, in der Kunst der gehämmerten Sprache, in der geistigen Charakteristik der Besten von den Heutigen fortlebten? So aber bilden sie mit diesen und hoffentlich mit vielen Künftigen jenes ewige Ensemble des Burgtheaters, das durch weise Auswahl zu bereichern und jung zu erhalten jedes, aber auch jedes Opfers wert ist.

Aus „Lilly Wildgans, Anton Wildgans und das Burgtheater“.

Verlag Kremayr & Scheriau, Wien

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