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„Alles hergeben…!”
Die Demokratie, jene Staatsform also, in der die politische Willensbildung dem Volk obliegt, verlangt danach, alle paar Jahre ihre Repräsentanten zu wählen. Die Monate vor Ablauf des Mandats sind (fast ausschließlich) dem Wahlkampf gewidmet: Seit Wochen schon durcheilen Franz Jonas und Dr. Kurt Waldheim, weniger aus Lust am Vazieren, als aus der Notwendigkeit „Wähler zu kontaktieren”, Österreichs Länder. Sie tätscheln aufgeregte, Versehen stammelnde Kinder, nehmen, während Blasmusikkapellen einen Tusch oder sonstig Zünftiges intonieren, Blumensträuße in Empfang und leihen gramgebeugten Wählern willig ihr Ohr. Sie lassen in genau kalkulierten Situationen Spontaneität aufblitzen, motivieren ihre Bereitschaft, für „unser Land” zu arbeiten und hämmern ihre, meist geringfügig modifizierte, Rede.
Je näher der entscheidende Tag rückt, desto hektischer wird der Wahlkampf, desto gigantischer das Programm. Das Vokabularium zur möglichst dramatischen Schilderung der Situation ist längst das eines Sportenthusiasten: Unsaubere Gangart, regelwidriges Klammem, verbotene Attacken, Ausfälle und Schläge ixnter die Gürtellinie verdeutlichen die psychische und physische Situation der Kandidaten, die sich in der Tat ; kaum von der der Spitzensportler unterscheidet. Sie stehen .unter dem Druck, siegen zu müssen, das heißt, zumindest „alles herzugeben”, denn siegen kann bekanntlich nur einer. Die auf Minuten genau festgelegte Programmabfolge („drei Minuten Händeschütteln in der Halle, dann Weiterfahrt”), dieses dauernde hochtourige Laufen am Prüfstand, kurz die Streßsituation des Wahlkampfes ist enervierend. Jede Geste, jedes Wort wird von der gegnerischen Propaganda ausgeschlachtet, als Zeichen mangelnder Eignung „für das höchste Amt im Staat” kolportiert. Durch Flüsterpropaganda werden Lügen über den Gesundheitszustand der Kandidaten, über deren „Vergangenheit” und Familien, die sich plötzlich „overexposed” finden, verbreitet. Aber persönliche Angriffe gehen weit über den von der: Demokratie geforderten Wahlkampf hinaus. Jedenfalls ist das Programm beider
Kandidaten imponierend: So reiste Franz Jonas, wie sein Wahlkampfmanager bereitwillig mitteilt, „8000 Kilometer quer durch Österreich, sprach in 250 Veranstaltungen und erreichte ungefähr 150.000 Wähler”. Das alles mit 72 Jahren, seit dem 19. März und nur an Wochenenden. Unterstützt allerdings wurde Jonas von der gesamten Bundesregierung, die in weiteren 600 Veranstaltungen für „einen guten Namen” warb. Sein Kontrahent Dr. Kurt Waldheim — so sein Sekretär — legte seit Ende Jänner ungefähr 40.000 Kilometer zurück, sprach in mehr als 200 Ortschaften und absolvierte etwa 250 Veranstaltungen, so daß bis Ende des Wahlkampfes 400.000 Österreicher die Möglichkeit hatten, Dr. Kurt Waldheim persönlich kennęnzulemen. Trotz aller Strapazen sind sich die beiden Kandidaten in ihrer Zuversicht einig, denn jeder glaubt, den entscheidenden Vorsprung errungen zu haben oder Ihn zumindest noch herausholen zu können. Zusammengezählt allerdings wird — auch hier gilt das im Sport gebräuchliche Wort — am Schluß.
Am Abend des 25. April.
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