6981549-1986_12_13.jpg
Digital In Arbeit

Bestseller „Ö II“

Werbung
Werbung
Werbung

Bei der Auswahl der Bücher gewinnt das Sachbuch gegenüber der reinen Unterhaltungsliteratur an Terrain“, glaubte kürzlich ein Meinungsbefra-gungsinstitut aus den Lesegewohnheiten der „dauerfernsehenden“ Österreicher feststellen zu können.

Otto Hausa, Präsident des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, winkt ab: „Das war schon immer so.“ Wenn auch zweifellos das Sachbuch in den letzten Jahrzehnten gerade-durch die wachsende Freizeit der Menschen und ihren gestiegenen Bildungsbedarf an Beliebtheit noch gewonnen hat. Vor allem zu Themen, die gerade „in“ sind - etwa dem Computer. Innerhalb der letzten vier Jahre ist für Bücher zu diesem Thema ein Kundenpotential von etwa 200.000 Personen entstanden, erläutert Verbands-Geschäftsführer Gerhard Prossen Und jährlich wächst es um weitere 30 Prozent.

Was ist ein „Sachbuch“? Worin unterscheidet es sich von der Belletristik, von der ihr gegenübergestellten „Unterhaltungsliteratur“?

Deutsche Verleger definierten in den sechziger Jahren, als der Begriff für ein jahrhundertealtes Phänomen in den allgemeinen Sprachschatz eindrang: „... ein allgemeinverständlich und sachkundig geschriebenes Werk, das ein oder mehrere Wissensgebiete einer breiten Öffentlichkeit erschließt.“

Damit sind die wichtigsten Kriterien umrissen: an eine Lesergruppe gerichtet, die zwar Interesse für das Thema aufweist (oder dafür gewonnen werden soll), aber nicht die Fachkenntnis des Wissenschaftlers; für die das Thema also ohne Verzicht auf wissenschaftliche Richtigkeit griffig aufgearbeitet werden muß — durch Autoren, die vielfach aus der Journalistik kommen, deswegen die Ausdrucksformen der Journalistik einsetzen, um ihr Publikum zu packen und zu halten.

So grenzt das Sachbuch auf der einen Seite an das Fachbuch des Wissenschaftlers, auf der andern an den Roman, der der Phantasie des Autors freie Bahn läßt. Auf beiden Seiten verschwimmen die Grenzen.

Erwin Barth von Werenalp, einst als Verleger einer der großen Förderer des modernen deutschen Sachbuchs, zitiert die Unterscheidung eines Kollegen: Der Roman stehe unter der Vorbemerkung „Handlung und Personen frei erfunden, Ubereinstimmungen mit der Wirklichkeit rein zufällig“; für das Sachbuch gelte:

„Nichts frei erfunden, auf authentischen Quellen basierend, Ubereinstimmung mit der Wirklichkeit garantiert.“

Barth von Werenalp sieht die Ahnen der heutigen Sachbuchautoren in Xenophon, Herodot und Thukydides, in Hippokrates und Archimedes. Er führt die Genealogie bis ins 19. Jahrhundert zurück, bis zu den Brüdern Humboldt, zu Justus von Liebig und Theodor Mommsen mit seiner mit dem Nobelpreis ausgezeichneten „Römischen Geschichte“.

Aus der Zwischenkriegszeit stammen Namen wie Egon Cesar Conte Corti für Geschichte, Paul de Kruif für Medizin. Der große Aufschwung kam in den fünfziger Jahren mit C. W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ und Werner Kellers „Und die Bibel hat doch recht“. Titel, die durch Jahre die Bestsellerlisten bevölkerten.

Dem Ceram-Buch schreibt

Hausa auch die Wirkung zu, daß die Archäologie in diesen Jahrzehnten derart an allgemeinem Interesse gewinnen konnte. Umgekehrt wirkt sich steigendes Interesse an neuen — oder neu erkannten - Sachgebieten stimulierend für die „Produktion“ einschlägiger Sachbücher, positiv für ihren Absatz aus.

Die vielen attraktiven Kunstausstellungen zogen die Menschen an, weckten oder steigerten in ihnen das Interesse nicht nur an der Kunst, sondern auch an den Zeiten, in denen jene Kunst entstand. Die Kataloge boten erste Information. Die Sachbücher folgten und fanden Absatz. Weitere Ausstellungen nahmen sich der historischen Epochen bis in die Gegenwart an. Die Fülle an historischen Darstellungen, Biographien, Monographien, Analysen übersteigt längst die Kapazität des einzelnen Rezensenten.

Geschichte steht heute eindeutig an der Spitze der Themenliste des Sachbuchsortiments. Historisch vorgebildete Journalisten — Hans Magenschab, Erich Feigl -, journalistisch „vorbelastete“ Historiker - Brigitte Hamann, Adam Wandruszka —, über die Vergangenheit meditierende Politiker wie Heinrich Drimmel treffen sich hier mit Wissenschaftlern, denen es gelingt, eine breitere Leserschicht anzusprechen.

Absoluter Spitzenreiter des Weihnachtsgeschäftes 1985 war „ö II“ von Hugo Portisch, Nachlese und Erweiterung der Fernsehreihe über die Entstehung der Zweiten Republik. Natürlich hat die Fernsehwerbung kräftig mitgeholfen. Aber sie hätte nicht gereicht, wenn das Buch nicht den Erwartungen der Leser entsprochen hätte.

Aber auch die Probleme unserer Zeit, die Auseinandersetzung mit den Nöten der Dritten Welt — wie vor hundert Jahren die Berichte der Globetrotter vom Kongo und Amazonas —, die Faszination moderner Technik und Naturwissenschaften, von der Kernenergie bis zur Genforschung und zur Weltraumfahrt, schlagen sich in zahllosen Sachbüchern nieder.

Und schließlich bilden die vielfachen Hilfen zur Lebensbewältigung, hier vor allem für die Gesundheit, aber auch für das Leben in Ehe und Familie, die Anleitungen für Freizeithobbys vom Surfen bis zum Kochen, vom Modelltischlern bis zur Anlage eines Aquariums einen weiten Bereich, in dem das Sachbuch bereits an das Fachbuch anstößt.

30.000 Neuerscheinungen hat der Buchhandel im deutschen Sprachraum jährlich aufzunehmen. In Österreich allein erreichte der Umsatz des Buchhandels im Vorjahr mehr als vier Milliarden Schilling. Davon entfielen etwa zehn Prozent auf Kinder- und Jugendliteratur — auch dabei gibt es Sachbücher, eben jugendmäßig aufgearbeitet - und etwa 20 Prozent Schulbücher.

Die österreichische Buchproduktion umfaßte im Vorjahr mehr als 3.000 Titel. Wie viele davon als Sachbuch einzustufen waren, läßt sich schwer sagen, weil die Grenzen verschwimmen und die Statistik zwar 24 Sachgruppen aufgliedert, nicht aber zwischen Sachbuch, Fachbuch oder Nachschlagewerk unterscheidet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung