6864253-1977_48_11.jpg
Digital In Arbeit

Biographien

Werbung
Werbung
Werbung

Freud - kritisch verehrt

„Ein Werk der kritischen Verehrung“ nennt Ludwig Marcuse (nicht zu verwechseln mit Herbert Marcuse!) sein Werk „Sigmund Freud - Sein Bild vom Menschen“. Jahre nach dem Tod des Verfassers hat das in einer Kind- ler-Sonderausgabe vorgelegte Buch nichts von seiner Faszination verloren. Aber auch an Fakten zur Biographie Freuds ist kaum Wesentliches hinzugekommen. Das ist auf einen Charakterzug Freuds zurückzuführen, den Marcuse mit einer bei den weniger kritischen Freud-Biographen unüblichen Deutlichkeit herausarbeitet: Der Begründer der Psychoanalyse, der keineswegs mit herben Urteilen zurückhielt, wenn die psychoanalytische Durchleuchtung einer Person etwa an der Diskretion ihrer Nachkommen scheiterte, war selbst ein geradezu obsessiver Sich-Verberger, hat schon als junger Mann seine Selbstzeugnisse im Hinblick auf spätere Biographen redigiert und zensuriert, und selbst dieses von ihm Redigierte und Zensierte wird von seinen Nachlaßverwaltern noch weiter zensuriert, darf nur von wenigen Ausgewählten eingesehen (aber natürlich nicht frei verwendet) werden! Diese Situation verhindert das Zustandekommen einer Freud- Biographie, welche diesen Namen verdient. Es gibt sie nicht. Was Marcuse aber sehr wohl gelang, ist jenes „geistige Porträt“, das die Zusammenhänge zwischen Freuds Herkunft und intellektueller Entwicklung und seinem Werk verständlich. macht. (Kindler-Verlag, München 1976, 284 Seiten, öS 129,40.)

Und wieder Johanna

Nach buchstäblich Zehntausenden Johanna-von-Orlėans-Publikationen nahm sich der britische Schriftsteller und Historiker Edward Lucie- Smith mit seinem Werk „Johanna von Orleans - Eine Biographie“ des in mehrfacher Hinsicht so fündigen Themas an. Es ist fündig auf Grund der günstigen Quellenlage (die mit akribischer Genauigkeit geführten Prozeßakten blieben erhalten, bald nach dem Prozeß setzte die Flut der Sekundärliteratur ein), es ist ein individual- und völkerpsychologisch interessantes Thema, eines das auf starke Emotionen trifft,, es ist ein erstaunlich kontro- versielles Thema, und last, but not least, eines, dessen Ausschöpfung mit dem Instrumentarium der Psychoanalyse bislang noch ausstand Lucie- Smith ist nicht nur ein gründlicher Historiker, er geht dem Leben der Johanna, die den Interessen der englischen Politiker zum Opfer gebracht wurde, mit großer Fairneß auf den Grund. Manches Mythische löst sich unter seinem kritischen Blick ins Nichts auf, und seine Johanna-Biographie könnte, was die Interpretation der historischen Fakten betrifft, eine Weüe das letzte Wort bleiben. Die psychoanalytische Johanna-Interpretation fallt demgegenüber ab. Sie erbringt reizvolle Ideen, erscheint aber fachlich nicht so ganz fundiert, der Schriftsteller, Journalist, Dichter Lu- cie-Smith ist eben von der Ausbildung her Historiker und nicht Psychologe. Die ziemlich arge Verwechslung des „Unbewußten“ mit dem „Unterbewußtsein“ (von Johanna’s Vater) ist hoffentlich dem Übersetzer anzulasten. (Claassen-Verlag, Düsseldorf 1977, 376 Seiten, 22 Abbildungen, öS 277,20.)

Wer war Adam Smith?

Wer sich je für Volkswirtschaft interessiert hat, weiß, daß Adam Smith (geboren 1776) das grundlegende Werk über den „Wohlstand der Nationen“ geschrieben hat. In deutscher Sprache mehrfach, zum Beispiel 1810, unter dem Titel „Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichtums“, erschienen. Auch jeder, der Marx gelesen hat, ist dem Namen Adam Smith im „Kapital“ begegnet - als einem jener, deren Idee Marx zu überwinden suchte.

Aber wer war dieser für die Volkswirtschaftslehre bis heute so wichtige Theoretiker? Daß er wesentlich mehr war als der Verfasser eines einzigen

Buches, nämlich ein faszinierender Kopf, ein interessanter, für seine Zeit typischer Mensch und, vor allem, als Nätionalökonom ein Moralist, erfährt man aus dem Werk „Adam Smith - Sein Leben und sein Werk“ von Horst ClausRecktenwald. Es gibt nicht nur einen fundierten Einblick in das Denken des Gelehrten - heute würde man es als „interdisziplinär“ bezeichnen, damals war solcher Überblick das vornehmste Ziel jedes Akademikers sondern auch interessante Einblicke in das intellektuelle Leben Englands im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Vor allem: Es beruht auf intensivem Quellenstudium des Verfassers. (C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1976,327 Seiten, 16 Tafeln mit 150 Abbildungen, öS 523,60)

Der Vergessenheit entrissen

Die Möglichkeit, Neuauflagen älterer Werke wenigstens teilweise ohne den teuren Neusatz photomechanisch durchzuführen, beschert vielem Vergessenen die (freilich nicht immer) verdiente Wiederkehr. Verdient hat die Neuauflage seines „Sahara-Tagebuchs 1876 bis 1877“ Erwin von Bary, der vor genau 100 Jahren, am 4. Oktober 1877, im Fezzan unter ungeklärten Umständen starb (wahrscheinlich ermordetwurde). Er steht zuünrechtim Schatten populärer Afrikaforscher - Bary war es, der als Entdecker verkümmerter Krokodile im Wadi Imir- hou ein frühes handfestes Indiz für das einstige feuchtere und lebensfreundlichere Klima der Sahara lieferte. Herausgeberin Erica de Bary schrieb eine den Tagebüchern vorangestellte Biographie - sie unternahm selbst mehrere Afrikareisen, eine davon auf der Route Erwin de Barys. Herbert de Bary steuerte 56 Photos bei. Uber das Verwandtschaftsverhältnis der

Gleichnamigen erfährt man leider nichts. (Orion-Heimreiter-Verlag, Offenbach 1977, 338 Seiten, öS 268,-.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung