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Digital In Arbeit

Blick in Trakls Werkstatt

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Daß eine Konkordanz immer nur als Arbeitshilfe verstanden werden kann, nie als Ersatz, die Texte und Handschriften selbst heranzuziehen, ist selbstverständlich. Schließlich haben Emil Barth oder Martin Heidegger ohne eine solche Konkordanz Interpretationen zu Trakls Dichtung geschrieben, die ihre Gültigkeit nicht verlieren können. „Der eine will gleichsam den Wald, der andere die Bäume; und Wald, das ist etwas schwer Ausdrückbares, wogegen Bäume soundsoviel Festmeter bestimmter Qualität bedeuten; diese lenken immer von Wichtigerem ab“, schrieb einmal Robert Musil. Außerdem ist eine ideale Vollständigkeit oder Objektivität nie erreichbar, es muß immer ein Kompromiß zwischen Genauigkeit und Übersichtlichkeit geschlossen werden, „verhältnismäßig zumutbar“, wie wir schon bei der historisch-kritischen Ausgabe geschrieben haben. Wetzel war sich dessen wohl bewußt: „Da ein Nachschlagewerk seinen Zweck nur erfüllt, wenn es bei aller Differenzierung der Informationen, die es bietet, übersichtlich bleibt, wurde darauf geachtet, daß die Darstellung unmittelbar verständlich ist, so daß man die Konkordanz benützen kann, ohne sich zuerst jedes einzelne Prinzip ihrer Anlage einprägen zu müssen. Der Benutzer wird hoffentlich erfahren, daß diese Prinzipien nur in der hier folgenden systematischen Darstellung etwas kompliziert er- j scheinen, daß sie aber in ihrer praktischen Anwendung einer leichten Überschaubarkeit der gebotenen Mitteilung dienen.“ Wenn man klug ist, kann man eben nicht auf purer Objektivität beharren, ein Grundsatz, von Naturwissenschaftlern ausgesprochen, der mutatis mutandis auch hier gilt.

Diese Hinweise sollen aber nicht als negative Kritik an der Arbeit Wetzels verstanden werden. Schon aus der Einleitung geht hervor, wie groß Interesse und Verständnis für die Dichtung selbst sind, aus denen die Konkordanz entsprungen ist, sonst wären viele komplizierte Eintragungen nicht zu verstehen, zum Beispiel was die charakteristischen Querverweise auf mögliche Mehrdeutigkeiten und mehrere Funktionen, wahrscheinliche und vermutete Bedeutungen betrifft. Die Brauchbarkeit einer differenzierten Konkordanz lag daher dem Herausgeber mehr am Herzen als ein leichter herzustellender Wortindex. Nur so ist auch die Hilfe einer elektronischen Datenverarbeitung zu recht- fertigen, wenn sie eben nicht zu „Festmetern“ herabsinken will. ,,Von vornherein war ich bei dieser Aufgabe auf die Zusammenarbeit mit einem sachverständigen Programmierer angewiesen. Ohne die Hilfe von Herrn Boon Ong vom Computing Centre der Queen’s University in Kingston, Ontario, hätte ich das Wörterbuch nicht herstellen können. Herr Ong hatte es ursprünglich übernommen, das Computerprogramm nach den für das Wörterbuch ausgearbeiteten Prinzipien zu schreiben; nach und nach entwickelte sich daraus eine Zusammenarbeit, in deren Verlauf diese Prinzipien öfter als einmal modifiziert und damit an die Geduld und das Können von Herrn Ong immer wieder neue Anforderungen gestellt wurden.“

„aß bei Trakl eine solche Konkor danz einigermaßen Erfolg versprach und in der Benützung verspricht, geht daraus hervor, daß er mit verhältnismäßig wenigen Grundwörtern und -bildern arbeitet, daß er eigentlich, wie Heidegger formulierte, nur an einem einzigen Gedicht schrieb. „Wieder und wieder fügt er die gleichen Erscheinungen zu neuen Konstellationen des Schönen, neuen Sternbildern der Wahrheit zusammen“; allerdings „lockert, ja zerbricht er den Satzbau, kehrt die logische und zeitliche Folge um und bildet den Wortlaut seiner Gedichte nach den Gesetzen seiner Einbildungskraft“ (H. Piontek). Das hat zu den heftigsten Auseinandersetzungen geführt, ob der Sinn dieser Grundworte gleichbleibt, variiert oder total veränder wird, je nachdem in welchen Kontext er sie setzt und stellt, ob dieser Kontext überhaupt grammatikalisch aufgeschlüsselt werden kann. „Man muß alle Belegstellen eines potentiellen Zeichens miteinander vergleichen, um eine etwaige Konstanz in der Bedeutung, den Grad dieser Konstanz und schließlich den Umkreis der Bedeutung aus den wechselnden Kontexten ermitteln zu können. Weil man, was die Konstanz betrifft, für die einzelnen Bildelemente zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen dürfte, so ‘daß eine für alle Details gleichermaßen verbindliche Antwort auf jene Frage nicht zu erwarten ist, wird es notwendig sein, diesen Vergleich jedesmal durchzuführen, wenn die mögliche Bedeutung eines De tails in einem Gedicht ergründet werden soll… Mit dem Erscheinen der historisch-kritischen Ausgabe der Dichtungen Trakls sind alle erreichbaren Texte mit ihren Entstehungsprozessen zu überblicken; auf dieser Grundlage stellt die vorliegende Konkordanz den Gebrauch der einzelnen Wörter vollständig zusammenhängend dar und ermöglicht damit jenen Vergleich. Dies ist ihre wichtigste Funktion“. Diese Formulierung zeigt, wie sehr es Wetzel um das Verständnis Trakls selbst geht, wie sehr er also für sie als Vorläufer, mit gebotener Behutsamkeit, arbeitet und nicht, wie Herder an die Adresse von Interpreten und Kritikern schrieb, dem Kunstwerk den Kopf abschlägt, um den eigenen daraufzusetzen.

So ist für den Trakl-Forscher und -Freund eine unerläßliche Arbeits- hilfe entstanden, für die man dem Herausgeber, seiner Energie und Mühe, nur danken kann: 818 Seiten mit 7500 Texteinheiten! Neben der unentbehrlichen Grundlage der historisch-kritischen Ausgabe wird diese Konkordanz stehen müssen, schon nach Aufmachung und Größe schließt sie sich ihr an. Dem Otto- Müller-Verlag kann nicht genug Anerkennung gezollt werden, die Opfer gebracht zu haben, die eine solche Arbeit ermöglichten. Die 1954 begonnenen Trakl-Studien haben mit dieser Konkordanz einen Höhepunkt erreicht, der nicht ohne Einfluß auf ihre (hoffentlich noch folgenden) Fortsetzungen bleiben wird.

KONKORDANZ ZU DEN DICHTUNGEN GEORG TRAKLS. Von Heinz Wetzel. Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1971. 818 Seiten. S 700.—.

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