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Das linke Millionengrab

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Die Wochenzeitung „Publik“ ist wieder im Gespräch, und wieder lautet das Thema „Liquidierung oder weitere Millionen aus öffentlichen Mitteln der Kirche?“. Der Verband der deutschen Diözesen, das für die Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben der deutschen Diözesen zuständige Organ, will laut dpa voraussichtlich Mitte November über die weitere Förderung von „Publik“ entscheiden. Der Restbetrag von 4 Millionen DM reicht nur noch bis Mitte 1972. Er könnte jedoch nur unter der Voraussetzung verausgabt werden, daß verbindliche Zusagen für weitere Zuschüsse gegeben werden. Erfolgen keine Zusagen, reicht der Restbetrag noch gerade für die Abwicklung der Liquidation und die Begleichung eingegangener Verpflichtungen. Aus dieser Sachlage ergibt sich die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung.

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Die Wochenzeitung „Publik“ ist wieder im Gespräch, und wieder lautet das Thema „Liquidierung oder weitere Millionen aus öffentlichen Mitteln der Kirche?“. Der Verband der deutschen Diözesen, das für die Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben der deutschen Diözesen zuständige Organ, will laut dpa voraussichtlich Mitte November über die weitere Förderung von „Publik“ entscheiden. Der Restbetrag von 4 Millionen DM reicht nur noch bis Mitte 1972. Er könnte jedoch nur unter der Voraussetzung verausgabt werden, daß verbindliche Zusagen für weitere Zuschüsse gegeben werden. Erfolgen keine Zusagen, reicht der Restbetrag noch gerade für die Abwicklung der Liquidation und die Begleichung eingegangener Verpflichtungen. Aus dieser Sachlage ergibt sich die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung.

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Erforderlich ist eine Summe von weiteren 10 Millionen D-Mark, um zunächst den 31. August 1973, den vorgesehenen Endtermin der Starthilfe, zu erreichen. Experten rechnen jedoch nicht mehr damit, daß „Publik“ zu diesem Zeitpunkt kostendeckend arbeiten kann. Die Erkenntnis, daß „Publik“ ein Dauerzuschußobjekt bleiben wird, ist neu und gravierend. Für 1973 wurde ein zusätzlicher Zuschußbedarf von neun Millionen D-Mark errechnet, für jedes weitere Jahr die Summe von 6 Millionen D-Mark. Bis 1975 wären demnach insgesamt weitere 31 Millionen D-Mark erforderlich. Damit würde der Gesamtaufwand aus kirchlichen Mitteln für „Publik“ bis Ende 1975 rund 59 Millionen D-Mark betragen, vorausgesetzt, daß im Gegensatz zu früheren Kalkulationen die jetzt vorgelegten zutreffen. Das aber ist unter Berücksichtigung sowohl der Auflagen- als auch der Anzeigenentwicklung durchaus offen.

Die Bischöfe sehen die von ihnen geforderte Entscheidung über „Publik“ im Zusammenhang mit der Situation der gesamten katholischen Publizistik in der Bundesrepublik. Die hohen Aufwendungen für „Publik“ haben auch dazu geführt, daß andere wichtige publizistische Einrichtungen, denen von Fachleuten eine breitere Wirkung als „Publik“ zugesprochen wird, bisher nicht im erforderlichen Maß gefördert werden konnten. Man ist der Ansicht, daß die gesamte Leistungsfähigkeit der katholischen Publizistik erheblich dadurch eingeschränkt wird, daß verschiedene wichtige Einrichtungen — wie die Zentrale der kirchlichen Hauptstellen für Publizistik, die Kirchenpresse (Gesamtauflage 14 Millionen Exemplare), die Katholische Nachrichtenagentur, die Zen- trälredaktion der medienkritischen Dienste, die Pressestellen der Bistümer — nicht auf den erforderlichen Leistungsstand gebracht werden konnten. Als dringend notwendig erkannte Einrichtungen, wie etwa ein Institut für Publizistik (Nachwuchsausbildung) und ein Institut für Medienerziehung, hätten bislang nicht geschaffen werden können. Die Arbeit der Filmlige und der Femsehliga liege nahezu brach, weil Mittel für eine systematische Breitenarbeit fehlten.

Die Bischöfe stehen nach Ansicht bestimmter kirchlicher Kreise jetzt vor der schwierigen Frage, ob sie unter dem Druck einer Appellaktion lediglich einem von rund 430 Objekten der katholischen Publizistik, das sich in erster Linie an die relativ kleine Schicht linksintellektueller Katholiken und an „zahlenmäßig kleine Randgruppen in der Kirche“ wende, schwerpunktmäßig fördern oder — „den Forderungen der Pa- storalinstruktion .Communio et pro- gressio entsprechend“ — der katholischen Publizistik in ihrer ganzen Breite die notwendige Unterstützung geben sollen.

„,Publik’ kommt anders als erwartet“, konnte man auf der großen Werbemappe lesen, in welcher die neue Wochenzeitung 1968 den potentiellen Lesern ihre Null-Nummer nebst einer Schallplatte mit Werbetext vorlegte. Und „Publik“ kam anders, anders wohl auch, als es sich die meisten Bischöfe gedacht hatten, als sie die ersten 15 Millionen D-Mark bewilligten. Nach der öffentlich erklärten Absicht der Bischöfe, vorab des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Julius Kardinal Döpfner, sollte die neue katholische Zeitung die Pluralität des deutschen Katholizismus repräsentieren, ein getreues Bild seiner Meinungen und ein Forum für sie sein. Man sprach von „Äquidistanz“ zu den Parteien, von Uberparteilichkeit.

Vielleicht hätte „Publik“ sein Ziel erreicht, wenn es diesem Programm entsprochen hätte. Aber es kam anders. War es etwa auch von Anfang an anders vorgesehen? Vor kurzem ist ein Briefwechsel an die Öffentlichkeit gekommen, der die Anfänge von „Publik“ in einem merkwürdigen Licht erscheinen läßt. Weihbischof Walther Kampe von Limburg antwortet darin unter Datum vom 26. Juni 1971 dem Bundestagsabgeordneten Edelhard Rock (Wolfenbüttel) auf dessen besorgte Anfrage wegen der Linie von “Publik“:

„Es stimmt, daß ,Publik’ einen Platz einnimmt, den man als .links von der Mitte’ bezeichnen könnte. Dieser Ort war dadurch vordiktiert, daß die Zeitung die Auflage bekam, dem .Rheinischen Merkur’ und den übrigen katholischen Wochenblättern keine Konkurrenz zu machen. Da diese als rechtskonservativ bezeichnet werden können, mußte eine neue Leserschicht gewonnen werden, die bisher von katholischer Seite kaum angesprochen wurde. Es ist das Verdienst von ,Publik’, in diese Schicht einen Einbruch erzielt zu haben, die sich bisher kaum katholisch orientieren ließ.“ Am Schluß seiner Antwort nimmt der Weihbischof dieses Thema noch einmal auf: „Wir müssen doch klar sehen, daß breite Kreise der linksgerichteten Intelligenz der Kirche heute verlorenzugehen drohen. Das könnte ein Einbruch in unsere Reihen sein, der nur zu vergleichen ist mit dem Verlust breiter Schichten der Arbeiterschaft durch den Einbruch des Marxismus im vergangenen Jahrhundert. Vielleicht führt .Publik’ an diesem Fronteinbruch einen verzweifelten Kampf. Wir Katholiken sollten daher dieses schwierige Werk unterstützen, anstatt ihm in den Rücken zu fallen, auch wenn wir selbst persönlich ganz woänders stehen.“

Niemand sollte nach solchen Eröffnungen überrascht sein, wenn jetzt Katholiken einige Fragen präzise beantwortet haben wollen:

• Wie ist dieser „Publik“ zugedachte Ort „links von der Mitte“ mit den anderslautenden Erklärungen der Bischöfe zu’ vereinbaren? Da man nicht annehmen kann, die Bischöfe wollten die deutschen Katholiken hinters Licht führen — wer hat denn die Bischöfe hinters Licht geführt? Dem „Rheinischen Merkur“ und so weiter keine Konkurrenz machen — heißt das auch schon auf Linkskurs gehen?

• Wie ist es mit der Gerechtigkeit zu vereinbaren, daß eine Zeitung „links von der Mitte“ aus öffentlichen Mitteln der Kirche finanziert wird, während andere Zeitungen, die wenigstens ebensogut katholisch sind, keinen Pfennig erhalten?

• Sind sich die Verantwortlichen bewußt, welchen Beitrag sie mit einer solchen Pressepolitik zur „Polarisierung in der Kirche“ leisten, die von den Bischöfen immer wieder beklagt wird? Und sind sie sich bewußt, daß sie damit den ohnehin schon mächtigen allgemeinen Linksdrall und den progressdstischen Trend auch noch kirchlicherseits verstärken, statt ihm ein notwendiges Korrektiv entgegenzusetzen?

• Wie ist es möglich, daß man von katholischer Seite einer Zeitung eine Auflage bezüglich ihres Standpunktes macht, die auf etwas anderes lautet als eben auf die ganze Wahrheit ohne Einseitigkeit, Schlagseite und Verzerrung, nach bestem Wissen und Gewissen der Redakteure? Wie ist es möglich, daß katholische Redakteure ihren Standort nicht nach der Wahrheit ausrichten, sondern nach „Marktlücken“ (wie es in den Diskussionen um „Publik“ immer wieder hieß), und seien es pastorale Marktlücken?

• Wie kann man glauben, irgend welche Linksintellektuelle dadurch zu halten oder zu gewinnen, daß man selber linksintellektuell wird oder „auf linksintellektuell macht“, obwohl man „persönlich ganz woanders“ steht? Hat man den Hohn nicht mehr in den Ohren, mit dem die Nationalsozialisten vor und nach dem 30. Jänner 1933 solche Pastoralen Annäherungsversuche honorierten?

• Soll die Qualifizierung „rechtskonservativ“ für die übrigen katholischen Zeitungen auch für deren theologische Linie gelten, und meinte man, ein links-progressistisches theologisches’ Gegengewicht gegen sie schaffen zu müssen? Die Sonderseiten „Aus der katholischen Welt“ des „Rheinischen Merkur“ sind „katholische Mitte“; die theologische Eigenlinie des „Rheinischen Merkur’ ist ansonsten „unscharfer ökumenis- mus“. Die theologische Linie der „Deutchen Tagespost“ kann man wohl als „kirchliche Mitte“ bezeichnen. Zum Progressismus vom „Publik’ gibt es kein theologisches publizistisches Pendant. Wenn man die pastorale Taktik, die nach den Worten Weihbischof Kampes der Gründung und Ausrichtung von „Publik“ zugrunde lag, gutheißen könnte, müßten die Bischöfe jetzt mit einigen Millionen D-Mark versuchen, als Gegenstück zu „Publik“ ein — Traditionalistenblatt auf die Beine zu bringen. Der theologische Gegensatz zum Progressismus von „Publik“ heißt Traditionalismus, nicht aber „Rheinischer Merkur“ oder „Deutsche Tagespost“.

Die theologische Linie von „Publik“ — mm, wie sieht der „vielleicht verzweifelte Kampf“ denn aus, der da um die Seelen der Linksintellektuellen geführt wird? Er sieht so aus, daß viele Katholiken sich schon lange fragen, ob sie es vor Gott und ihrem Gewissen noch verantworten können, Kirchensteuer zu zahlen, wenn damit eine Zeitung wie diese finanziert wird. Ein „Einbruch in eine Schicht, die sich bisher kaum katholisch orientieren ließ“, ist leicht zu erzielen, wenn nicht wirklich katholisch orientiert wird, sondern nur hochgestochen diskutiert — in „kritischer Distanz“, wie man das nennt —, und wenn man den Schwächen, Vorurteilen und Ressentiments dieser Schicht schmeichelt, sie bestätigt und pflegt.

Haben die Katholiken nicht erlebt, wie schon bei der Werbung für „Publik“ noch vor Erscheinen ständig der Mündigkeits- und Inferioritätskomplex der Katholiken angesprochen wurde, der geneigt macht, „mündig“ mit „antiautoritär“ zu verwechseln? Wurde nicht in Wort und Bild der Gehorsam, das Hören auf die Bischöfe lächerlich gemacht?

Wurde in „Publik“ nicht bald schon dem Papst der Rat gegeben, er möge „seine fatalen Mittwochansprachen“ einstellen? Mit welcher Meinung von „Publik“ können sich Katholiken denn schon identifizieren? Mag es sich um die Bischofssynode handeln oder um den „Mißbrauch der Demokratie“, um die Auffassung vom Priesteramt, um „Humanae vitae“ oder die Erlaubt- heit geschlechtlicher Beziehungen vor der Ehe, um die Kirche in Holland oder die in Lateinamerika — „Publik“ ist anders.

Und wie steht es mit der „Pluralität“? Haben die Theologen von „Publik“ etwa nicht den Osterartikel 1971 von Prof. Hugo Staudinger abgelehnt, in dem die Geschichtlichkeit der Auferstehung gegen die „Ent- mythologisierer’ verteidigt wurde? (Der Artikel war verabredet.)

Man solle „Publik“ nicht in den Rücken fallen, meint Weihbischof Kampe. Aber ist es nicht „Publik“, das den Katholiken, den Bischöfen, dem Papst ständig in den Rücken fällt? Ist man nicht schon mit der Gründung dieser Zeitung, wohl ohne es zu wollen, jenen in den Rücken gefallen, die sich längst vor „Publik“ unter schwierigsten Umständen und ohne einen Pfennig kirchlichen Geldes für Glaube und Kirche geschla gen haben, in „kritischer Distanz“ eher zum Zeitgeist und zur immerhin nicht ganz unfehlbaren „Welt“ als zur kirchlichen Autorität und zur „misera plebs“ der Bistumsblattleser? Müßten die Katholiken, die das sehen, nicht charakterlose Lumpen sein, wenn sie diese Zeitungen jetzt im Stich ließen, etwa zugunsten von „Publik“?

Ist man nicht auch den Kirchenzeitungen und Bistumsblättem in den Rücken gefallen?

Das „treue Kirchenvolk“ achtet seine Bischöfe, es verteidigt sie und liebt sie sogar. Aber es ist auch, freilich auf seine Art, nicht ohne „kritische Distanz“ und manchmal viel mündiger als die Intellektuellen, wie es sich ja auch 1933 gezeigt hat. Möge es doch den Bischöfen mit der katholischen Presse besser ergehen als König Lear mit seinen Töchtern!

Das Fazit der Überlegungen: Wenn der „Einbruch in bisher unerreichte Schichten“, den man „Publik“ als Verdienst anrechnet, mit dem Verlust einer klaren katholischen Grundlinie, mit Progressismus und politischer Einseitigkeit erkauft wird, haben viele Katholiken kein Interesse an einer solchen Zeitung. Sie verzichten auf das „TEE-Ge fühl“, das der Chefredakteur den Lesern verheißen hatte, und gehen lieber zu Fuß, als mit dem Expreß 1. Klasse in die falsche Richtung zu fahren.

Das heißt aber auch: bei gleichbleibender Linie wird „Publik“ nie die Rentabilitätsschwelle erreichen, denn es wird wohl kaum jemals 160.000 katholische Intellektuelle mit linksliberalem Drall in Deutschland geben. Selbst wenn die Bischöfe die Linie von „Publik“ hinnehmen würden, stünden sie also immer noch vor der Frage einer Dauersubventionierung für dieses Blatt. Und immer noch wäre auch die zweite Seite des „Kirchensteuerskandals .Publik’ “ zu bereinigen, nämlich die sehr zurückhaltend „Wettbewerbsverzerrung“ genannte Ungerechtigkeit, daß die eine Zeitung Millionen kirchlicher Gelder erhält, die anderen aber keinen Pfennig. Ist aber wegen der Grundlinie von „Publik“ der pastorale Effekt dieser Zeitung negativ, kann die Alternative nur lauten: Änderung oder keine kirchlichen Gelder mehr.

Die Befürworter und erst recht die Freunde der Linie von „Publik“ werden wohl auch diesmal wieder öffentlich in den Kampf um die Weiterfinanzierung von „Publik“ ein- greifen, wie vor zwei Jahren, als es um die Bewilligung der zusätzlichen 13 Millionen nach den anfänglich 15 Millionen ging. Sie werden es nicht nur mit Argumenten tun, wie sie Weihbischof Kampe vorbrachte, sondern auch in anderer Form. Einstellung von „Publik“, so hieß es vor zwei Jahren, sei „eine publizistische Blamage für den deutschen Katholizismus“, eine „freiwillige und selbstverschuldete Rückkehr ins Ghetto“ (Akademikerabteilung des Pauluskreises der MC, Regensburg, laut KNA). Ganz deutlich sagte es der Präsident des CV-Studentenbundes, Ludwig Pletl, in einer Presseerklärung seines Verbandes: „Publik“ dürfe nicht sterben, es sei denn, „die religiöse und politische Borniertheit vieler Katholiken solle wieder einmal Triumphe feiern“. Eine Liquidierung von „Publik“ werde jedoch lediglich jenen „unseligen Ghettokatholiken Tuntenhausener Prägung“ neue Auftriebe geben, die den von „Publik“ betriebenen Dialog als Anfang allen Übels ansähen. „Publik“ als „einzige katholische Wochenzeitung mit kritischer Distanz“ müsse in unveränderter Konzeption und Ausrichtung erhalten bleiben; sie sei „für den denkenden Teil der Katholiken“ zur „notwendigen Informations- und Meinungsquelle“ geworden.

Die Bischöfe stehen vor einer schweren Entscheidung. Vielleicht nimmt ihnen die schlichte Tatsache, daß beim besten Willen kein Geld mehr da ist, diese Entscheidung ab; auch so wäre dann die ärgemiserre- gende Ungleichheit und Einseitigkeit auf dem Gebiet der katholischen Presse in Deutschland beseitigt. Wenn aber noch Geld für die Presse übrigbleibt, ist es wohl an den Bischöfen, Gerechtigkeit und Ausgewogenheit herzustellen.

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