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Keine „zweite Kanzel“ mehr

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Die weithin bekannte Zeitung „Die Zeit“ (Hamburg) veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 17. Jänner 1975 einen Beitrag über die Situation der Kirchenpresse in Deutschland.

Mit Erlaubnis der Redaktion veröffentlichen wir im folgenden diesen Artikel:

Die katholische Kirche in Westdeutschland hat Sorge mit ihrer

Presse. Mit dem rapiden Rückgang der Zahl der Kirchgänger sind die Kirchenzeitungen in eine Existenzkrise geraten. Und weil das Interesse an religiösen Verbänden gesunken und der alte Missionsgedanke so gut wie vergessen ist’, sind auch fast alle katholischen Verbands- und Ordensblätter von Auflagenschwund befallen.

„Kirchenbesucherrückgang und Bistumsblattbezieherrückgang laufen parallel“, erkennt ein Gutachten des Münsteraner Deutschen Instituts für Wissenschaftliche Pädagogik. Wo der Bedarf an „formalisierter Religiosität“ sinke, so kommt die von den deutschen Bischöfen bestellte Untersuchung zum Schluß, sei die Abbestellung der Kirchenzeitung der „kleine Kirchenaustritt“.

„Ungeachtet aller Anstrengungen der Redaktionen“, stellt Gutachter Michael Schmolke, Publizistikprofessor in Salzburg, die Prognose, „entfernen sich Bistumsblätter und ihre potentielle Leserschaft allmählich immer weiter voneinander.“ Nur noch jeder dritte Katholik ging nach dem Münsteraner Gutachten 1971 regelmäßig zum Gottesdienst. Vor zehn Jahren waren es noch 43,4 Prozent der katholischen Westdeutschen. Im Ruhrgebiet geht ähnlich wie in den Bistümern Berlin, München und Köln nur noch jeder fünfte Katholik zur Kirche.

Mit dem Massenabfall von der Amtskirche verlor die Bistumspresse fast 17 Prozent ihrer Auflage. Die 22 Hausblätter der deutschen Bischöfe, mit denen die Kirche 1963 noch ein Viertel der katholischen Bevölkerung erreichte, schrumpften von 2,5 auf 2,1 Millionen Exemplare. Besonders drastisch gingen die Auflagen der zehn Kirchenzeitungen zurück, die 1963 mehr als hunderttausend Exemplare auflegten: Sie verloren zusammen fast 320.000 Abonnenten. Einzig auf der Kirchenzeitung des Bistums Münster lag Segen: Ihre Auflage wuchs auf 220.300 Exemplare.

Das Schmolke-Gutachten macht den Bischöfen für ihre Blätter keine Hoffnung. Überalterung der Leserschaft (32,4 Prozent sind älter als 60 Jahre, nur 9,3 Prozent im Alter von 20 bis 29 Jahren), überproportionale Verbreitung in kleinen Gemeinden und wenig Leserschaft in den Städten, „das sind keine Merkmale, die eine gesicherte Basis für die Zukunft abgeben“. Die Untersuchung kommt deshalb zu dem Ergebnis, es könne „in keinem Falle ein Anzeichen für eine positivere Entwicklung in naher oder ferner Zukunft sichergestellt werden“.

Das Siechtum der Kirchenzeitungen hat die Bischöfe aufgeschreckt. Jahrzehntelang florierte die katholische Presse und die Blätter warfen gute Gewinne ab. Die Auflagen stiegen stetig, trotz weitgehender kritikloser Proklamation amtskirchlicher Entscheidungen und politischer Einseitigkeit, die bisweilen sogar antidemokratische Tendenz hatte: Die Kirchenzeitung als „zweite Kanzel“ funktionierte. Doch inzwischen müßten viele Kirchenblätter längst eingestellt sein, würden sie von privaten Verlegern herausgegeben und nicht von bischöflichen Behörden, die in volle Kassen greifen können.

Die Bischöfe haben deshalb auch nicht die Absicht, zu resignieren. Die Kirchenkassen sind voll. In den Jahren 1968 bis 1972 stiegen die Einnahmen aus der Kirchensteuer von 1,3 Milliarden auf 2,6 Milliarden Mark. Mit dieser Zwangskollekte im Rücken gründete die Kirche zunächst eine „Mediendienstleistungsgesellschaft“ und tüftelte an einem „Gesamtkonzept kirchlicher Publi zistik“, das inzwischen freilich, als utopisch verworfen, zu einer bescheideneren „Kontaktstelle Verlagskooperation“ geschrumpft ist

Einige Bischöfe gingen mit ihrem Kirchensteuergeld die Misere auf eigene Faust an. So kauften sieben Kirchenfürsten, darunter fünf aus Nordrhein-Westfalen, im Spätsommer die Mehrheitsanteile der in Koblenz erscheinenden Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ für acht Millionen Mark. In Bayern erwarben die sieben Bischöfe die restliche Hälfte des Augsburger Verlags Winfried-Werke GmbH. Dabei ging es den Bischöfen vor allem um das in diesem Verlag erscheinende illustrie- te Magazin „Weltbild“ (Auflage 510.000).

Der Rothenburger Weihbischof Georg Moser, Chef der publizistischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz, kritisiert indes die individuellen Kaufentschlüsse seiner Amtsbrüder. Er mahnt zu vereintem Handeln und will „zunächst einmal eine bessere Kooperation und gelegentlich auch Fusionen“ innerhalb der kirchlichen Presse. Alle Verlage im katholischen Bereich sollen sich, so Moser, „in einer Kooperationszentrale zusammenfinden“, die dann Subventionen aus der Kirchenkasse erhalten soll.

Fördern will die katholische Kirche vorrangig Wochenzeitungen. Der stramm konservative „Rheinische Merkur“ soll deshalb nachträglich ins kirchliche Medienkonzept gezwängt werden. Daneben denken einzelne Bischöfe an die Gründung einer Familienillustrierten mit einer Startauflage von einer Million: Das eben erst erworbene „Weltbild“ könnte dabei mit der in Aachen erscheinenden kirchennahen Monatsschrift „Leben und Erziehen“ (Auflage 590.000) kooperieren.

Zwar dementieren beide Verlage. Aber Bischof Tenhumberg aus Münster, der Beauftragte der deutschen Bischofskonferenz für Pressefragen, hat die zuständigen Gremien der Kirche bereits aufgefordert, über die künftige Aufgabenverteilung zwischen den beiden katholischen Massenpublikationen zu beraten.

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