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Das umstrittene Image der südamerikanischen Diktaturen

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Die Diskussionen, die vielfach am Rande der Fußballweltmeisterschaft über die politische Situation Lateinamerikas geführt wurden, bestätigen die tiefschürfenden Gegensätze, mit denen „der Mann von der Straße“ in den Vereinigten Staaten und Westeuropa einerseits und in Lateinamerika anderseits auf die Militärregierungen reagiert. In New York, Paris oder Frankfurt wirft man den Lateinamerikanern vor, daß sie dieses Regime widerstandslos hinnehmen, während man es in Buenos Aires als ungerecht empfindet, wenn Argentinien nur nach dem Schicksal der von rechtsradikalen Mitgliedern der Polizei entführten und ermordeten politischen Gegnern beurteilt wird.

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Die Diskussionen, die vielfach am Rande der Fußballweltmeisterschaft über die politische Situation Lateinamerikas geführt wurden, bestätigen die tiefschürfenden Gegensätze, mit denen „der Mann von der Straße“ in den Vereinigten Staaten und Westeuropa einerseits und in Lateinamerika anderseits auf die Militärregierungen reagiert. In New York, Paris oder Frankfurt wirft man den Lateinamerikanern vor, daß sie dieses Regime widerstandslos hinnehmen, während man es in Buenos Aires als ungerecht empfindet, wenn Argentinien nur nach dem Schicksal der von rechtsradikalen Mitgliedern der Polizei entführten und ermordeten politischen Gegnern beurteilt wird.

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Bei der Haltung der lateinamerikanischen Bevölkerung spielt gewiß eine entscheidende Rolle, daß solche skandalösen Ubergriffe der Polizei im Rundfunk und Fernsehen überhaupt nicht und in der Presse nur mit Einschränkungen gemeldet und erörtert werden dürfen. Das Ausmaß des Unrechts wird im Ausland übertrieben, im Inland hingegen bagatellisiert. Die Regierungen sprechen von „Verleumdungskampagnen linker Intellektueller“, was von einem Großteil der Bevölkerung auch geglaubt, wird, weil einseitige Information - bei der Einzelfälle als Grundlage genereller Urteile dienen - eine Entstellung des Image ihres Landes zu bewirken scheint.

Freilich: Wenn freie politische Parteien verboten sind und parlamentarische Diskussionen nicht stattfinden, gibt es kein Thermometer, an dem der Widerstand der Bevölkerung gegen die Herrschenden gemessen werden kann. Aber wer die Situation aus der Nähe beobachtet, stellt fest, daß führende Wirtschaftskreise den Militärregimen - klarerweise - große Sympathien entgegenbringen, während die Masse ihnen mit Gleichgültigkeit gegenübersteht - abgesehen von ihren Beschwerden über den sinkenden Real-.ohn.

Die im Exil in den USA oder in Europa heute gegen das „lateinamerikanische Unrecht“ kämpfen, übersehen, daß sie selbst die Opfer der heutigen Verfolgungen mitverschuldet haben. So wie die Terroristen in Italien und in der Bundesrepublik die Rechtsstaatlichkeit gefährden, haben die lateinamerikanischen Guerilleros die demokratisch gewählten Regierungen ins Wanken gebracht und dadurch den Generälen die Macht in die Hände gespielt. Dabei sind sie von der falschen Voraussetzung ausgegangen, daß die Masse durch die Repression auf ihre Seite überlaufen würde. Tatsächlich betrachtet sie aber die Militärs als das geringere Übel als die Anarchisten.

Die Beurteilung der Situation in Europa und in den USA geht aus latein-amerikanischerSichtfehl, weil man nur die Wirkung, nicht aber die Ursachen aufzeigt. Für den südamerikanischen Beobachter erscheint es grotesk, Pinochet und Videla in einem Atemzug zu nennen und zu vergessen, daß Infla-

tionen von 700 Prozent und vollige Desorganisation sie an die Macht gebracht haben.

Der Zusammenbruch der lateinamerikanischen Demokratien wird besonders deutlich, wenn man ihn mit dem der „Weimarer Republik“ vergleicht. Reichskanzler von Papen regierte mit den Notverordnungen nach Paragraph 48 der Reichsverfassung, entmachtete das Parlament und setzte Reichskommissare ein; ein Verfahren, wie es bei den zahllosen lateinamerikanischen Militärputschen ähnlich zu beobachten ist. Hier wie dort wurde die Verfassung in den Papierkorb gewor-

fen: Die Unterhöhlung der Staatsautorität, das Fehlen eines echten staatsbürgerlichen und zivüen Verantwortungsgefühls schufen ein Machtvakuum. Die Parteien waren zersplittert und bis zur Selbstzerfleischung verfeindet. Vor allem aber gab die Wirtschaftskrise mit ungehemmter Inflation und alarmierender Arbeitslosigkeit den Ausschlag; eine trostlose Lage, wie sie 1932 in Deutschland ebenso zu beobachten war wie heute in Südamerika.

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