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Das Vernünftige zur Mode machen

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Im Grunde genommen und erstaunlicherweise setzt alles auf Gesinnungsreform: Vor allem unsere Einstellungen zum Verbrauch knapper Güter sollten sich ändern. Wir sollten uns opferbereiter erweisen. Wir sollten rücksichtsvoller werden im Straßenverkehr. Wir sollten gesünder leben. Und so weiter. Solche Appelle an Konsumentenmoral und verantwortliche Umgangsformen setzen schlicht.und einfach voraus, richtige Gesinnung bewirke auch schon richtiges Verhalten.

Wir alle wissen, daß das nicht stimmt, daß das zumindest nicht ohne weiteres schlüssig ist, weil auch Tugend an ihrem Nutzen gemessen wird. Wenn Sie und ich beschlossen haben, Energie nicht mehr zu verschwenden, Medizin nicht mehr zu mißbrauchen, das Auto auf ein notwendiges Verkehrsmittel einzuschränken, uns in verstärktem Ausmaß selbst zu helfen .'.. und so weiter, so erfahren wir nur selten den Lohn der guten Tat: Weil sich die jeweils „anderen“ nicht daran halten, explodieren die Kosten weiter und wir zahlen die unverminderte Zeche mit.

Wenn und weil aber .richtiges' Verhalten zu nichts führt, sehen auch Sie und ich nicht ein, daß wir moralischer agieren sollten - und so weiß jeder, was besser wäre, nur keiner tut es.

An den Grenzen des Wachstums herrscht weiter die Grenzmoral.

Des Rätsels Lösung liegt im Umstand, daß die Appelle individualisiert sind und daß wir dabei übersehen, daß Kurskorrekturen im sozialen Verhalten eine „Gemeinschaftsleistung“ sein müßten: Wir lernen nichts, es wäre denn, wir lernten es gemeinsam! Das meint man auch beim Club of Rome, wenn man davon ausgeht, die Erneuerung könne nur aus „partizipatorischem“ Lernen hervorgehen.

Im übrigen eine uralte religiöse Erfahrung. Der neue Mensch braucht eine heilende Welt - ohne die Gemeinde „Kirche“ kann sich christliches Leben des einzelnen nicht entfalten. Prinzipien haben wir nie genug, stets kam es darauf an, sie auch zusammen zu leben.

Der gute Vorsatz muß gewiß vom einzelnen entschieden werden - ohne diese Freiheit gibt es keine Verantwortung -, doch er muß in wohl verstandener Solidarität „sozialisiert“ werden.

Die große Frage ist nur, wie man dazu kommt.

Solche gesellschaftliche Erziehung zu vernünftigeren Verhaltensmustern kann sicher keine kollektivistische Veranstaltung sein. Der Versuch, Tugend'zu erzwingen, behebt die normativen Defizite nur scheinbar. Schmölders („Der verlorene Untertan“) belegt anhand der Prohibitionsfolgen, was die Anmaßung von Obrigkeiten, dem Bürger Lebensumstände aufzuzwingen, die seine Loyalität überfordern, bewirkt: Die Reglementierung des Verbraucherverhaltens schaffe graue Märkte .unanständigen' Konsums und förderte das Verbrechen ... Schmölders leitet daraus die Lehre ab, daß sich mit Erfolg nur verbieten läßt, was ohnehin in einer entsprechenden Ideologie tabuisiert ist.

Der Hinweis hilft weiter. Statt uniformes Verhalten organisieren zu wollen, ist ein ,way of life' zu verbreiten, der Vernünftiges zur selbstverständlichen Mode macht. Mit den spezialisierten Institutionen der Erziehung allein ist das nicht zu bewirken, die Schule braucht mehr Zeit, als wir zur Erneuerung noch haben. Die Hoffnung liegt bei den Massenmedien - letztlich nur bei ihnen.

Die notwendige Ideologie läßt sich vorläufig am besten durch das Leitbild einer bescheidenen Gesellschaft beschreiben. Die „modest society“ wird als Selbstbedienungsgesellschaft definiert: Nicht die Administration der Bedürfnisse ist ein taugliches Verfahren, sondern das „Do it yourself'.

Selbstorganisation als Alternative zur Bürokratie, „kleine Netze“, also Gemeinschaften mittlerer Reichweite, in denen der einzelne und seine Mitweltgruppen wieder die Chance zum selbständigen Handeln bekommen, sind die Stützen dieses Modells, das damit eine neue Ordnungspolitik einleitet.

Die Theorie der bescheidenen Selbständigkeit wird nicht genügen -es gilt, durch gesellschaftliche Entflechtung erst einmal die Freiräume für die neuen Organisationen an der Basis wiederzuerlangen - doch führt kein Weg an einer solchen sozialen Gesinnungsreform vorbei.

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