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Den Menschen guten Willens

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Ich weiß - die Theologen übersetzen das alte Weihnachtsevangelium heute anders. Sie sprechen von den „Menschen Seiner Huld''. Mir gefällt aber doch die alte Formulierung von den „Menschen guten Willens“ besser, denen der Friedensgruß geboten wird.

Sollten sie doch einmal im Vordringen sein, die Menschen guten Willens, obwohl wir uns schon der utopischen Marke des Orwellschen 1984 nähern? Es liegt schon viele Jahre zurück, daß wir beim vorweihnachtlichen Jahresrückblick zum letzten und wohl bis jetzt zum einzigen Mal seit dem Ende des großen Kriegs feststellen konnten, an diesem Christfest wurde nirgends in der Welt geschossen - zumindest nicht organisiert und in großem Stil. Das muß nach dem Ende des Algerienkriegs gewesen sein. Und heute Entführungen, Terroranschläge, Erpressungsversuche - sie zählen schon gar nicht mehr neben den täglichen Berichten von den diversen Kriegsschauplätzen. Aber ist es nicht gerade um diese in diesen Tagen stiller geworden? Nicht verschreien - im Libanon beginnt man mit dem Wiederaufbau, in Nordirland hat die IRA einen Waffenstillstand über die Feiertage proklamiert. Ist im südlichen Afrika die Ruhe nur jene vor dem Sturm, aber doch wenigstens Ruhe für die Feiertage?

Mag sein, daß alles dies, dieses Zusammenfallen verschiedener Waffenruhen nur ein Zeichen der Erschöpfung ist, daß die Feinde wieder losschlagen werden, sobald sie ihre Truppen neu geordnet haben. Daß bei ihnen nicht der „gute Wille“ entscheidend ist, wie ich ihn mir vorstelle - als Anerkennung des Nächsten, den wir ja lieben sollten wie uns selbst, als Anerkennung seiner Grundrechte, auch wenn sie an meine eigenen anstoßen; als Anerkennung seines Rechtes, seine Meinung zu sagen, auch wenn sie der meinen diametral entgegengestellt ist.

Ich wage es noch nicht, auch jene zarten Pflänzchen positiver Entwicklungen in der Weltpolitik in eine weihnachtliche Gesamtbilanz einzubauen und diese dann unter den Aspekt des „guten Willens“ zu stellen; den Austausch der Gefangenen zwischen Moskau und Santiago de Chile, das Einlenken der Araber auf eine Kleinpalästina-Lösung, das langsame, zielsichere Vorgehen der Spanier in Richtung Demokratie.

Denn es gibt noch so viele andere Erscheinungen im täglichen Leben, die auf die Negativseite gebucht werden müssen, Banküberfälle, Bombendrohungen, politische Gefangene in mehr als 100 Ländern. Scheinbar unwiderlegbarer Beweis dafür, daß das Böse dominiert, ob man die Wurzel dieses Bösen nun im Einzelmenschen, in der Gesellschaft - oder schlicht im Teufel sucht.

Alle Errungenschaften von Zivilisation und Technik, alle Fortschritte der Wissenschaft, alle Demokratisierung von Politik und öffentlichem Leben haben daran nichts ändern können. Die Polarisierung von Gut und Böse ist das wesentliche Antriebsmoment der Weltgeschichte wie des ganz persönlichen Lebens jedes einzelnen Menschen.

Um die Existenz des Bösen kommen wir nicht herum. Ihm entgegenzuwirken, es zu müdern, es zu entschärfen muß unsere Aufgabe sein. Dazu müssen wir bei uns selbst anfangen, jeder bei sich. Dann werden wir auch sehen, daß wir nicht allein dastehen mit unserem Bemühen - denn auch rund um uns gibt es Menschen „guten Willens“, viel mehr, als wir normalerweise geneigt sind, zuzugeben. Wir sind nur sehr gewohnt, uns selbst abzuschließen, statt uns dem andern zu öffnen; wir nehmen das „Normale“ als selbstverständlich hin, ohne anzuerkennen, daß es nur durch die Leistung des andern möglich gemacht wurde. Und wir sind nur dann bereit, uns zu äußern, wenn wir Kritik, Unmut vorbringen wollen. Nicht um zu loben, einfach zu danken.

Führt ein Weg vom Dank an den Mitmenschen zum Frieden in Nahost? Nur auf dem Umweg über Bethlehem, wo allen Menschen „guten Willens“ der Frieden geboten wurde - allen Menschen „in Seiner Huld“.

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