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Der W eg aus der Krise

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Der Wiener Publizist Roland Nit- sche versteht sich darauf, Themen der Zeit aufzügreifen und unter Vermeidung des berühmten oder berüchtigten Soziolagendeutschs für einen breiten Leserkreis darzustellen. Die Überdrußgesellschaft zwischen Reaktion und Anarchie und das vergessene Alter im Abseits der Gesellschaft waren das Thema seiner zwei letzten Bücher. Jetzt beschäftigt ihn, wie der Titel seines neuesten Buches lautet, der Weg aus der Krise: die Möglichkeiten, eine Zerstörung der Zivilisation durch Umweltverschmutzung zu verhindern, also eine Themenstellung, die durch den Club of Rome Aktualität in tieferen Dimensionen und durch die Ölkrise Ende 1973 Tagesaktualität erhalten hat.

Nitsche möchte im Leser das Bewußtsein wecken, daß es fünf Minuten vor zwölf ist, um den menschlichen Lebensraum vor seiner ‘ Zerstörung durch die Wohlstandsgesellschaft zu retten. Er malt — nicht als Schreckgespenst, sondern als drohende, zum Teil schon vollzogene Wirklichkeit — die Verwandlung der Flüsse in Kloaken, die Verseuchung der Weltmeere, den Ruin des Atemraums an die Wand und stellt die Schwierigkeiten dar, aus der heutigen Situation herauszufinden. Bis zum Beginn des Industriezeitalters konnte sich die Natur noch des Menschen erwehren, heute kann sie es nicht mehr, jetzt hat, wie Nitsche konstatiert, „die technische Wirtschaft jenen Punkt erreicht, an dem sie sich so deutlich gegen die Natur des Menschen und seine Umwelt kehrt, daß sich dessen Fortschrittsbegeisterung als Fortschrittseuphorie und der Wirtschaftsprozeß, den der Mensch frei zu beherrschen glaubte, als sein gefährlichstes Schicksal erweisen“.

Mit allem Nachdruck betont Nitsche, daß die Lösung der Probleme, die der Umweltschutz bietet, primär eine Finanzfrage ist, bei der begründete gesellschaftliche Ansprüche auf materielle Versorgung mit den gleichgeordneten Ansprüchen auf Sicherung des Lebensraums kollidieren. Die Entscheidungen treffen die Politiker, im nationalen und im internationalen Rahmen, aber das Material müssen ihnen die Wissenschaftler liefern, konzentriert auf die folgenden drei Fragen: wieviel Zeit bleibt der Menschheit, ihre Umwelt- probleme zu lösen? Welche Mittel besitzt sie dazu? Was kostet ihre Anwendung? Im Zusammenhang damit warnt er davor, die Industrie zu verteufeln und finanziell einseitig zu belasten, denn nicht die Industrie allein sei schuld, sondern die Industriegesellschaft.

Für den Leser eingängig ausgedrückt: nichts verschmutzt Umwelt mehr als Wohlstand, die reichsten Völker haben die größten Abfallhaufen. Als besonderen Gefahrenpunkt greift Nitsche dabei die rapide Verstädterung heraus, die auch eine Explosion der Abfallmengen be- » deutet: 1950 lebten erst 20 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, im Jahr 2000 wird es die Hälfte sein. Als Politik der kleinen Schritte für die ‘nächste Zukunft empfiehlt er, durch Verzicht auf eine Vergeudungswirtschaft die Abfallmengen zu reduzieren und alles daranzusetzen, daß die unvermeidbaren Reste in den natürlichen oder wirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt werden. Daß die Wiederverwendung von Altmaterialien teurer sein kann als Neuproduktion, müsse dabei in Kauf genommen werden, und der Konsument müsse die Einsicht gewinnen, daß zugunsten der biologischen Wohlfahrt eine Senkung des materiellen Wohlstands nicht zu vermeiden ist.

Man kann Nitsches Buch lesen als Paraphrasen zum Begriff der Lebensqualität — Lebensqualität nicht als politischer Slogan gebraucht, sondern als Aufgabenstellung vor Augen geführt, als Aufgabe, für die der einzelne etwas aufgeben muß: zugunsten jener Lebensqualität, die der Menschheit ein Überleben über die nächsten hundert Jahre hinaus ermöglicht. Aber .nicht nur das Buch als Ganzes rüttelt den Leser auf, auch manche Nebenbei-Bemerkung kann ihn nachdenklich machen wie etwa die, daß unsere Wohlstandsgesellschaft so penetrant unfröhlich ist.

DER WEG AUS DER KRISE. Von Roland Nitsche. Langen-Müller, München 1974. Etwa 270 Seiten, Leinen. DM 19.80.

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