Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Dezentralisation im ländlichen Raum
Daß das Leben auf dem Land gesünder ist als in der Stadt, weiß jedes Kind, zu den Wochenenden ist es sogar „in“, am Land zu leben, Urlaub am Bauernhof ist zu einer beliebten Freizeitgestaltung geworden, aber für immer aufs Land zu ziehen, dort zu wohnen und zu wirtschaften, ist nicht sehr gefragt.
Es ist nicht nur nicht gefragt, eine immer stärker werdende Landflucht macht sich bemerkbar und stellt die Stadtplaner und Architekten vor große Probleme, weil auch die Zuzugsmöglichkeiten in die Städte immer schwieriger und die Arbeitsplätze immer weniger werden. Daß das Leben am Land so wenig attraktiv ist, liegt aber nicht nur an den beschränkten Arbeitsmöglichkeiten, die der aufstrebenden Jugend dort erwächst, sondern ist auch oft in den baulichen Gegebenheiten zu suchen, die in den wenigsten Fällen den Erfordernissen des modernen Wohnkomforts entsprechen.
Hier-bietet sich ein Ansatzpunkt für den Rektor der Technischen Universität in Wien, Prof. Dr. Emst Hiesmayr, der in seiner Position als Hochschulprofessor ebenso wie als Architekt immer wieder versucht, Problembewußtsein für das Land zu erwecken und die Wichtigkeit herauszustreichen, die der ländliche Raum für den Städter ebenso wie für den Landbewohner selbst hat. Für einen Städter gibt er allerdings zu, ist es schwer, in eine ländliche Gemeinschaft hineinzukommen, da das Land eher eine geschlossene Gesellschaft repräsentiert. Ein Kulturaustausch zwischen Stadt und Land, wie er früher noch bestanden hat, ist in unserer Zeit leider auch nicht mehr durchführbar, aber am Land selbst ist es noch möglich, die geschlossene Gestaltung der Kultur durchzuziehen, sozusagen von der Feldkultur zur Wohnkultur.
Und diese kulturellen Wurzeln sind es, die Hiesmayr weiterentwickeln will. Mit dem Begriff einer „Dezentralisation im ländlichen Raum“ verbindet er die Vorstellung eines selbständigen, vollständig ausgestalteten Lebensraumes. Bebauen des Bodens - ernten, verdienen, wohnen - also gänzlich unabhängig zu leben, sind für ihn die Voraussetzungen für das kulturelle Weiterbestehen des Landlebens.
Ausschlaggebend aus architektonischer Sicht ist dabei das Zusammenspiel zwischen dem Alten und dem Neuen. Das wichtige Alte zu erhalten und mit dem Neuen, Modernen in guten Einklang zu bringen, hat er zu seiner Hauptthese gemacht. Gebaut soll nur dort werden, wo eine Chance der Integration gegeben ist - mit der natürlichen Geländeform und der bestehenden Bepflanzung. Im Zweifelsfalle, meint er, lieber so bauen wie die Alten. Schließlich ist es kein Zufall, daß es in Österreich so verschieden gewachsene Dorf- und Hofformen gibt. Aus Klima, regionaler Lage und Art der Wirtschaft haben sich die verschiedenen Dorf- und Haustypen entwickelt.
Leider werden aber diese gewachsenen Naturformen und Traditionen durch die moderne Werbung mehr und mehr zerstört, indem diese Häuser anbietet, die einzig und allein den Wohnbedürfnissen der Städter angepaßt sind, sich aber weder nach den regionalen noch traditionellen Gegebenheiten richten. Gute brauchbare Grundrißvorlagen für ein bäuerliches Wohnhaus gibt es kaum. Damit ist die Landbevölkerung nun gezwungen, ein Haus zu bauen, das weder ihren Bedürfnissen noch ihren Erfordernissen entspricht und natürlich auch keinesfalls optisch in den ländlichen Raum paßt.
Aber gerade diesen Anforderungen wollte Hiesmayr gerecht werden. Er hat deshalb durch mehrere Planungsstufen hindurch Typenhöfe entwik- kelt, die den jeweüigen örtlichen Gegebenheiten angepaßt sind. So ein Typenhof ist variierbar, je nach Größe der Wirtschaft addierbar und an die jeweiligen Erfordernisse anpaßbar. Damit ist gewährleistet, daß die Traditionen, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben, nicht nur nicht verlorengehen, sondern ausgebaut und weitergeführt werden können.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!