Wo wird der Weltbürger zu Hause sein?

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Nur wer zu Hause ist, kann Gäste empfangen."(Romano Guardini)

Die Welt sei ein Dorf, heißt es. Globalisierung und Tourismus erinnern an kulturelle Wurzeln, werfen Fragen nach dem Zu-Hause auf. Mit Studierenden führe ich seit langem Befragungen in Dörfern und Stadtteilen durch, so auch in Fulpmes in Tirol und im Montafon, also Regionen mit Intensivtourismus1). Unsere Überraschung war: Es gab kaum Studien über die Folgen des Fremdenverkehrs auf Dorfleben und Ökologie und zwar aus der Sicht der Bewohner und Bewohnerinnen selbst: Gedanken wie Piefke-Saga und Tourismusbeschimpfung liegen schief. In diesen Tälern gibt es kaum ein Überleben ohne Gäste. Die Einheimischen meiden Schwarz-Weißbilder. Sie und die Experten haben Wünsche, wie mit dem Tourismus wirtschaftlich erfolgreich, aber auch sozialverträglich gelebt werden kann.

Und in der Tat - es gibt Überraschendes, Negatives, aber auch Positives. In Gesprächen und Lebensbildern war beispielsweise zu erfahren, dass Kinder ein paar Häuser wünschen, wo keine Gäste sind, also tourismusfreie Spielzonen. Oder die Arztfrau bittet, wenigstens einmal ihre Sorgen beim Stammtisch den Tourismusprofis aufzutischen. Ihr Mann ist als Arzt alleine zuständig für die Unfälle unter 5.000 bis 10.000 Skifahrern auf der Silvretta. Das beutelt das Daheim-Sein und Familienleben durcheinander. Mahlzeiten sind völlig unregelmäßig, Geburtstagfeiern werden auf Monate verschoben.

Durch hastige Entwicklungsschritte in Tourismusorten kam es auch zu Störungen im Gemeinschaftsleben. Überliefertes blieb starr und wuchs nicht hinein in situationsgemäße dorf- oder regionalzentrierte Werte.

Aus der Domäne Kultur erörtern wir ein Thema: Heimat. Ist Heimat lokal/regional/national zu sehen? Ist ein Weltbürger nicht überall daheim? Sind wir nicht einfach Mensch?

Nach dem Missbrauch von Heimat, Volkskultur und Bäuerlichkeit im Dritten Reich ist es an der Zeit, in kritischer Weise hinter den Reizworten wie Heimat die zugrunde liegenden Werte zu sehen und zu entwickeln. Es gilt, deren Sinn vom hilflos-aggressiven Nationalismus abzukoppeln.

Das könnte geschehen durch das Aufgreifen des Europa-Manifestes aus 1924 von Richard Coudenhove-Kalergi. Dessen Idee von einem geschwisterlichen, friedlichen Europa wurde damals als Hirngespinst bekämpft beziehungsweise nicht ernst genommen. Ein Besinnen auf dieses Friedenskonzept drängt. Eine gemeinsame Wurzel der EU- und Globalisierungsvorbehalte und der kritischen Tourismus-Einstellung dürfte auch Angst vor dem Verlust von staatlicher, regionaler und kultureller Identität sein.

Schutz & Ausgrenzung

Heimat bedeutet Geborgen-, Zufrieden-Sein, Herzlichkeit. "Heimat" ist etymo- logisch das eigene Haus (etwa: "Stammsitz"), das engste Umfeld des Menschen. Heimat kann beschützen und ausgrenzen. In einem neuen Verständnis meint es weder zivilisatorische Rückständigkeit noch das autogerechte, unwirtliche Dorf. Heimat ist Schutz von Um- und Mitwelt und bietet für Alltag und Feste Erbauung, Wohnung, Arbeit und Kleidung und Handlungs- und Deutungsmuster des Herkömmlichen und Neuen, Erstrebenswerten und Wertvollen, des regionalspezifisch Ausgeprägten und der Gesamtkultur. Heimat ist dort, wo im guten Sinne Provinzialität und weite Horizonte gegeben sind, regionales Selbstbewusstsein und Offenheit.

Auch in Großstädten sind Leute stadtteilgebunden. Es ist ähnlich, sich für das Bewahren und Wachsen eines Stadtteiles einzusetzen wie für eine bedrohte alpine Lebensweise oder wie für indianische Kultur. Und dennoch: Jede Tradition war einmal eine Innovation. Bewahrender Wandel. Seit Jeher gibt es Kulturmix und Hybridität. Bauern sind Kulturträger und stehen für flexible Kontinuität. Dennoch - bäuerliche Kultur wird in eine neue ländliche Kultur mit Mut zu neuen Formen sich integrieren. Bäuerliche Kultur ist mehr als nur ein ländlicher Baustil.

Peter Paul Kaspar sieht in "Unruhe des Herzens" den Begriff "Heimat" noch einmal anders: Viele Menschen meinen, Heimat habe primär mit Herkunft und Landschaft, mit Abstammung und Geographie zu tun. Doch das erweist sich als Irrtum, wenn man bedenkt, dass sich immer wieder Menschen am Ort ihrer Geburt und ihres Heranwachsens heimatlos fühlen, während es durchaus sein kann, dass jemand an einem anderen Ort Heimat findet. Denn Heimat ist ein Begriff aus der Geographie der Seele ... Wo mich die Menschen nicht aufnehmen, unbeachtet lassen, ablehnen oder sogar vertreiben - dort bin ich in der Fremde. Wo mich aber die Menschen annehmen, sich freuen, dass ich da bin, kurz gesagt, wo sie mich lieben, dort bin ich daheim."

Leben auf dem Lande wird attraktiver durch mehr Sinn für Pluralität und Toleranz. Ein wichtiger Gradmesser für dörfliche Lebensqualität wird sein, ob Vielfalt zugelassen wird. Max Frisch fragt: Was macht Sie heimatlos? Dass Sie anders denken als die Menschen, die den gleichen Bezirk als Heimat bezeichnen wie Sie und ihn dann beherrschen? Heimat ist dort, wo ich geliebt werde.

Fremdheit & Gewalt

Es ist bekannt, dass manche sozial gefährdete und orientierungslose Menschen, mit gebrochener Identität, in gesichtslosen, unwirtlichen Wohnsilos untergebracht, Gefahr laufen, anfällig für autoritäre Verhaltensweisen, Gewalttätigkeit und Ausländerfeindlichkeit zu werden. Gefährdungen liegen also nicht nur in regionaler und nationaler Selbstüberschätzung und in der Brauchtumspflege. "Auch die Freiheit hat ihre Grenzen. Wenn die Gesellschaft ihren inneren Halt verliert, nehmen Brutalität und Eigennutz überhand"(Marion Gräfin Dönhoff).

Wer also neben Liebe zum Neuen und Fremden ein Daheim hat und verbunden mit Weltoffenheit eine innere oder äußere Heimat, läuft sicherlich weniger Gefahr, gewalttätig, ausländerfeindlich zu werden als der innerlich haltlos gewordene und entwurzelte Mensch. Heimat bedarf begrenzter Offenheit. Die Möwe Jonathan träumt von grenzenloser Freiheit. Aber Grenzen-loses mag ängstigen. Wir fühlen uns im Überschaubaren daheim. Grenzen sind auch eine Ein-friedung. Heimat bedarf des Ge-heimnisses. Personen wie Dörfer und Regionen brauchen eine sich organisierende Mitte, ein Bewusstsein der Wurzeln ihrer selbst.

Wer also neben Liebe zum Neuen und Fremden ein Daheim hat und verbunden mit Weltoffenheit eine innere oder äußere Heimat, ist weniger anfällig für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit als der innerlich haltlos gewordene und entwurzelte Mensch. Dies zum Thema von innerer und äußerer Beheimatung. Geht eigene Kultur verloren, bleiben gebrochene Menschen zurück. In den USA gibt es das Wort: Back to the Roots, das Zurück zu den Wurzeln.

Welche menschliche Überforderung steckt in diesem Satz, der besagt, als erschließe sich uns der Globus wie ein Dorf. Wie komplex und sprachlos kann auch dörfliches Leben sein.

1) Aus diesen "Aktionsforschungen" entstand ein Buch, das in Kürze unter dem Titel "Bin kein Tourist. Ich wohne hier" erscheinen wird (2. Auflage, völlig überarbeitet und erweitert).

Der Autor ist Medien- und Bildungssoziologe an der Religionspäd. Akademie und am Seminar für kirchliche Berufe in Wien.

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