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Die dritte Chance

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Einfache Gebote mit Weltgeltung über religiöse und ethnische Grenzen hinweg - das wünscht sich der Tübinger Theologe Hans Küng

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Einfache Gebote mit Weltgeltung über religiöse und ethnische Grenzen hinweg - das wünscht sich der Tübinger Theologe Hans Küng

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Prominente Referenten bescherten dem „Forum Schwarzenbergplatz” in Wien schon oft ein volles Haus, aber so voll wie vorige Woche war es dennoch selten. Hans Küng, der aus der Schweiz stammende Referent, hat zwar im Dezember 1979 die katholische Lehrbefugnis verloren, aber an Ansehen bei vielen seither noch gewonnen. Doch an diesem Abend ging es nicht um alte innerkirchliche Dispute, sondern um ein weltbewegendes Thema von heute.

In diesem Jahrhundert seien bereits zwei Chancen auf eine neue friedliche Weltordnung verspielt worden, 1918 und 1945, beklagte Küng, man solle nun wenigstens die dritte, durch die Wende von 1989 entstandene, Chance nicht verpass-sen. Eine solche „postmoderne” Weltordnung hat nach Küng politisch ein demokratisches Staatswesen zur Voraussetzung, ökonomisch „eine sowohl sozial wie ökologisch ausgerichtete Marktwirtschaft”.

Vor allem müßte ein neues Verhältnis zwischen den Völkern entstehen, während derzeit immer kleinere ethnische und religiöse Gruppen den Status eines „souveränen Staates” erkämpfen wollen. Heute zählen die Vereinten Nationen 184 Mitglieder, würde man nur Afrika nach ethnischen Grenzen aufteilen, hätte man schon an die 500 UN-Mitglieder. „Alle mit eigener Armee, eigener Außenpolitik, eigener Währung?” Ob das die Zukunft sein könne, fragt Küng voller Skepsis.

Die anzustrebende neue Weltordnung werde keineswegs mit einer einheitlichen Weltkultur oder Weltreligion verbunden sein, meint Hans Küng. Zu verschieden seien zum Beispiel die religiösen Ansätze in den drei großen Stromsystemen der Hochreligionen: Die prophetischen Religionen Judentum, Christentum und Islam haben einen ganz anderen Charakter als die mystischen Religionen indischer Herkunft oder die Weisheitstraditionen Chinas. Doch es gibt Gemeinsamkeiten in den Religionen, in ihren Fragestellungen und in ihren ethischen Normen.

Küng warnt aber vor dem Mißverständnis, der nötige ethische Minimalkonsens könne auf einer Front der Gläubigen gegen die Ungläubigen beruhen: „Das Projekt Weltethos fordert geradezu die Allianz von Glaubenden und Nichtglau-benden für ein neues gemeinsames Basisethos.” Als gemeinsame Basis nennt Hans Küng fünf große Gebote der Menschlichkeit, die in allen

Weltreligionen gelten: Nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, nicht Unzucht treiben, die Eltern achten.

Das klinge zwar selbstverständlich, sei es in der Praxis aber leider nicht, sagt Küng. Er verweist auf die sich häufenden Greueltaten Minderjähriger und darauf, daß in den USA

Teenager außer durch Unfälle vor allem durch Schußwaffen (4.200 im Jahr 1990) sterben. Auch Autoren liberaler deutscher Medien seien nachdenklich geworden, wenn sie zunehmend, freilich ohne Selbstkritik, die „geistige Krise”, den „Orientierungsdschungel”, die „Werteverwirrung” beklagten, Dinge, zu denen sie selbst beigetragen hätten.

Küng berichtete, das im September 1993 in Chicago tagende Parlament der Weltreligionen habe mehrheitlich die von ihm ausgearbeitete „Erklärung der Beligionen für ein Weltethos” angenommen. Für Küng ist der minimale Grundkonsens auf diesem Gebiet eine Überlebensfrage der Menschheit.

In der Diskussion merkte Nationalratspräsident Heinz Fischer an, die Kirche habe im Mittelalter, speziell in Gestalt von Papst Bonifaz VIII., ihre Chance mißbraucht, eine einheitliche Ethik durchzusetzen. Für Vizekanzler Erhard Busek vernachlässigt die Weltethos-Frage andere Dimensionen von Religion, Ethikcodices für bestimmte Berufsgruppen, wie sie Küng anregt, seien unnötig, wenn sich jeder an die Grundgebote halte. Die mit dem Flüchtlingsalltag vertraute evangelische Pfarrerin Christine Hubka sprach - vom Ziel „Wir wollen alle überleben” ausgehend - Praktisches an: Verträge aushandeln und jemandem die Macht und Kontrolle über die Einhaltung anvertrauen, wobei klar sei, daß Macht immer zu ihrem Mißbrauch verführe.

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