Hans Küng - © Fotograf: Bernd Weißbrod dpa/lsw

Hans Küng im Gespräch: "Dieser Papst redet mit Haider, nicht mit Küng"

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Die Reihe Abtrünniger ist lang: Pierre Teilhard de Chardin, Leonardo Boff, Eugen Drewermann - sie alle standen und stehen im Konflikt mit Rom. Einer von ihnen hat mit seinem "Fall" für besondere Emotionen gesorgt und tut es auch im FURCHE-Gespräch: der Tübinger Theologe Hans Küng.

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Die Reihe Abtrünniger ist lang: Pierre Teilhard de Chardin, Leonardo Boff, Eugen Drewermann - sie alle standen und stehen im Konflikt mit Rom. Einer von ihnen hat mit seinem "Fall" für besondere Emotionen gesorgt und tut es auch im FURCHE-Gespräch: der Tübinger Theologe Hans Küng.

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DIE FURCHE: Sie bezeichnen das römische Dokument "Dominus Iesus" als Mischung aus "mittelalterlicher Rückständigkeit und vatikanischem Größenwahn". Was bringt Sie derart in Rage?

Hans Küng: Ich gehöre mit Kardinal Ratzinger zu den wenigen noch lebenden Konzilstheologen und weiß daher, wie die Dekrete gemeint waren - nämlich als Aufbruch nach vorne. Gerade weil man ausschließen wollte, dass nur eine Kirche sich als die Kirche Jesu Christi bezeichnet, hat man in der zentralen Frage "Ist die römisch katholische Kirche die Kirche Christi?" das est mit subsistit in (existiert in) ersetzt. Der einstige Konzilstheologe und nunmehrige Kurialtheologe Ratzinger macht nach seinem Frontwechsel aus diesem Tor in die Zukunft ein Tor in die Vergangenheit, indem er versucht, alles auf den römischen Absolutismus zurückzuführen.

DIE FURCHE: Den Beginn des Jahres 1980, kurz nach dem Entzug Ihrer Lehrerlaubnis durch den Vatikan, bezeichnen Sie als die "vier schlimmsten Monate meines Lebens, die ich auch meinen erbittertsten Gegnern nicht wünschen kann." Was war das Schlimme?

Küng: Gegenfrage: Was hat die Österreicher am meisten gestört im Zusammenhang mit der EU? Dass alles hinterrücks abgemacht und überfallsartig entschieden wurde. Mich hat damals am meisten verletzt, dass man einem katholischen Theologen, der sich immerhin treu eingesetzt hat für seine Kirche, in den Rücken geschossen und kein legitimes Verfahren durchgeführt hat. Außerdem hat man nie beweisen können, was ich falsch gemacht habe: Ich habe ja (in "Unfehlbar?" von 1970, Anm. d. Red.) nur eine Anfrage gestellt, die bis heute nicht beantwortet ist. Seitdem aber von der Glaubensbehörde behauptet wurde, es sei eine "unfehlbare Lehre", dass Gott selber keine Frauen zur Priesterweihe zulasse, ist selbst traditionellen Katholiken mulmig geworden bei dieser Art von Unfehlbarkeit.

Geschichte eines Rebellen

1928 in Sursee (Schweiz) als Sohn eines Schuhhändlers geboren, sorgte Hans Küng schon mit seiner Dissertationsschrift über die Rechtfertigungslehre Karl Barths für Diskussionen - und wachsame Augen in Rom. Gemeinsam mit Joseph Ratzinger und Karl Rahner wurde Küng 1962, damals Professor für Fundamentaltheologie in Tübingen, von Papst Johannes XXIII. zum Konzilsberater ernannt. Seine Kritik an der päpstlichen Unfehlbarkeit ("Unfehlbar? Eine Anfrage", 1970) und seine Gedanken zum rechten Kirchenbild ("Christ sein", 1974 und "Die Kirche", 1977) führten nach heftigen Querelen am 18. Dezember 1979 zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Als Inhaber eines Lehrstuhls für ökumenische Forschung außerhalb der katholischen Fakultät Tübingen wandte sich Küng nun verstärkt den Weltreligionen zu. In der Schrift "Projekt Weltethos" (1990) plädiert er für die Bewusstmachung eines Minimums an ethischen Normen, das den Menschen aller Religionen und Weltanschauungen gemeinsam ist und sie in Zeiten der Globalisierung zur Verantwortung ruft. Seit seiner Emeritierung im Jahr 1995 wirbt Küng als Präsident der Tübinger "Stiftung Weltethos" für dieses Projekt. Die "Erklärung zum Weltethos" (1993) und die "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" (1997) sind erste Etappen auf dem Weg zum globalen Ethos.

1928 in Sursee (Schweiz) als Sohn eines Schuhhändlers geboren, sorgte Hans Küng schon mit seiner Dissertationsschrift über die Rechtfertigungslehre Karl Barths für Diskussionen - und wachsame Augen in Rom. Gemeinsam mit Joseph Ratzinger und Karl Rahner wurde Küng 1962, damals Professor für Fundamentaltheologie in Tübingen, von Papst Johannes XXIII. zum Konzilsberater ernannt. Seine Kritik an der päpstlichen Unfehlbarkeit ("Unfehlbar? Eine Anfrage", 1970) und seine Gedanken zum rechten Kirchenbild ("Christ sein", 1974 und "Die Kirche", 1977) führten nach heftigen Querelen am 18. Dezember 1979 zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Als Inhaber eines Lehrstuhls für ökumenische Forschung außerhalb der katholischen Fakultät Tübingen wandte sich Küng nun verstärkt den Weltreligionen zu. In der Schrift "Projekt Weltethos" (1990) plädiert er für die Bewusstmachung eines Minimums an ethischen Normen, das den Menschen aller Religionen und Weltanschauungen gemeinsam ist und sie in Zeiten der Globalisierung zur Verantwortung ruft. Seit seiner Emeritierung im Jahr 1995 wirbt Küng als Präsident der Tübinger "Stiftung Weltethos" für dieses Projekt. Die "Erklärung zum Weltethos" (1993) und die "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" (1997) sind erste Etappen auf dem Weg zum globalen Ethos.

DIE FURCHE: Man hat Ihnen oft gezielte Provokation gegenüber Rom vorgeworfen, die zum Missio-Entzug geführt hätte.

Küng: Wenn die Wahrheit eine Provokation ist, dann muss eben die Provokation erfolgen. Ich habe nie Provokation um der Provokation willen geübt. Ich war nur der Meinung, dass die eigentliche Provokation in der Enzyklika "Humanae vitae" von 1968 über die Pille lag, und von daher die Frage gestellt werden muss, ob Papst und Bischöfe wirklich diese Art von unfehlbarer Autorität innehaben oder nicht. Das hätte man ja beantworten können. Stattdessen hat man versucht, den Mann, der diese Anfrage gestellt hat, abzuschießen. Das ist zum Glück nicht gelungen. Aber den Klotz der unerledigten Anfrage hat nun die Kirche am Bein, die sich ständig verteidigen muss. Selbst in der Auseinandersetzung über den Holocaust kann man nicht zugeben, dass auch Papst Pius XII. zu den Schuldigen gehört, die geschwiegen haben. Man sagt immer "unsere Söhne und Töchter". Die "heiligen Väter" können's ja nicht gewesen sein.

DIE FURCHE: Nach dem Bruch mit Rom haben Sie sich verstärkt den Weltreligionen zugewandt. In Ihrer Programmschrift "Projekt Weltethos" von 1990 sprechen Sie von einem notwendigen Minimalkonsens an verbindlichen Normen , der bereits existiert und um des Friedens willen bewusst gemacht werden muss. Andere meinen dagegen, Gemeinsamkeiten führen eher zum Drang nach Abgrenzung und zu Konflikten.

Küng: Es kann doch niemand bestreiten, dass uns etwa die von mir schon 1957 festgestellten Gemeinsamkeiten in der Rechtfertigungslehre nicht zusammengeführt haben. Und wenn man den ökumenischen Prozess nicht ständig von römischer Seite im Namen von Absolutsetzung stoppen würde, hätten wir heute die Anerkennung der protestantischen Ämter und die gemeinsame Eucharistie. Das christliche Volk ist längst viel weiter als die Hierarchie und vor allem Rom.

DIE FURCHE: Ähnliche Diskussionen wurden jüngst anlässlich der Ablehnung einer ökumenischen Begräbnisfeier für die Kaprun-Opfer geführt.

Küng: Das hat noch einmal die Unglaubwürdigkeit des Erzbischofs von Salzburg demonstriert, der im Kontext einer nationalen Katastrophe wieder diesen unseligen Absolutheitsanspruch geltend macht, der andere ausschließen will vom Gottesdienst und andererseits einen eigenen Seelsorger wegen praktizierter Ökumene abstraft.

DIE FURCHE: Zurück zum Weltethos: Was kann ein solches Weltethos leisten?

Küng: Wir leben ja vom Weltethos. Sie können in keiner Gemeinschaft, die irgendwelche verschiedenen Positionen umfasst, seien es nun ethnische, religiöse oder nationale, ohne eine Gemeinsamkeit im Ethos auskommen. Jeder Mensch weiß, was es in einem Büro bedeutet, wenn eine Person unehrlich ist, wenn man sich auf sie nicht verlassen kann. Jede Gemeinschaft lebt von einem Minimum an gemeinsamen Maßstäben, die in allen großen religiösen Traditionen vorhanden sind - sowohl die generellen Regeln wie "nicht lügen", als auch die Goldene Regel. (Mt 7,12: Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!) In jeder funktionierenden Gemeinschaft wird das gelebt.

"Wenn die Wahrheit eine Provokation ist, dann muss die Provokation erfolgen."

DIE FURCHE: Das Projekt Weltethos plädiert für eine Koalition von Glaubenden und Nichtglaubenden. Was sollte einen Atheisten motivieren, sich dem Projekt anzuschließen, das ja schlussendlich auf eine theonome Begründung zurückgeht - also auf Gott, den er ablehnt?

Küng: In der Weltethoserklärung von Chicago von 1993 kommt der Name Gott gar nicht vor, weil man schon wegen der Buddhisten darüber keinen Konsens herstellen kann. Wenn alle in einem Boot sitzen, geht es nicht darum, dass der Jude und der Muslim und der Christ die gleiche Begründung für humanes Handeln haben. Die Hauptsache ist, sie rudern alle mit und schubsen niemanden ins Wasser. Ich kann doch nicht übersehen, dass es heute auch anständige nichtglaubende Menschen gibt, die dieselben ethischen Normen haben und manchmal sogar besser leben als jene, die sich auf Gott berufen.

DIE FURCHE: Das anzustrebende Welt-ethos soll Ihrer Meinung nach die Menschenrechte ethisch abstützen.

Küng: Wenn das Recht nicht vom Ethos unterstützt wird, hängt es in der Luft. Es braucht nun einmal den ethischen Impuls, damit etwa die Menschenrechte wirklich realisiert werden. Umgekehrt ist das Ethos auf das Recht angewiesen, denn natürlich können nicht alle Regeln der Gesellschaft nur mit Moral aufrechterhalten werden. Moral ist nur eine Dimension der Wirklichkeit. Die Politik ist eine andere, die Religion und die Ästhethik sind wieder andere. Mir ist wichtig, dass man diese Dimensionen unterscheidet und sie dennoch zueinander in Bezug stellt.

DIE FURCHE: Sie versuchen, auf einem "Weg der Gipfeltreffen" Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft für den Weltethosgedanken zu begeistern. Kann die moralische Autorität etwa eines Tony Blair wirklich zu ethischerem Handeln motivieren?

Küng: Gegenüber den Vorwürfen an unser Projekt - "das sind Ideen über den Wolken" - ist das Engagement Blairs ein Zeichen, dass heute eine Reihe von Politikern wegkommen wollen von reiner nationaler Interessenpolitik ohne Moral. Die Europäische Union etwa kommt ständig dort in Krisen, wo jede Nation ihre Interessen verfolgt. Das zu verhindern ist aber ein ethisches Projekt; sobald es nur ein juristisches wird, haben Sie ständig kleinkarierte Händel wie jene um Stimmen im Ministerrat. Wenn in Nizza nicht mehr herauskam, dann doch, weil niemand ethische Impulse gab, die die Staatsmänner über ihren eigenen Schatten springen ließ.

DIE FURCHE: Zum Schluss ein kurzer Wordrap. Die EU-Grundrechtscharta?

Küng: Ein hervorragendes Dokument, das vom Ethos her noch deutlicher gestützt werden müsste.

DIE FURCHE: Das größte Lob für Sie!?

Küng: Dass es mir um die Sache geht und nicht um meine Person.

DIE FURCHE: Ihr letztes Gespräch mit Kardinal Ratzinger?

Küng: In den 80er Jahren, wo ich feststellen musste, dass wir in zwei völlig verschiedenen Paradigmen, Welten und Zeiten leben.

DIE FURCHE: Das Buch, an dem Sie momentan schreiben?

Küng: (lacht) Ich schreibe an meinen Memoiren, weil ich möchte, dass die Kirchengeschichte, in die ich verwickelt war, nicht nur von den Offiziellen geschrieben wird.

DIE FURCHE: Eine Audienz beim Papst?

Küng: Dieser Papst redet mit Haider, nicht mit Küng.

DIE FURCHE: Wenn Sie Papst wären: Was würden Sie als erstes tun?

Hans Küng: Ich werde nicht Papst. Doch wer immer es wird, sollte als erstes ein neues Konzil einberufen.

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