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„Die Partei Aller“

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Anstatt einer Fußnote gleich die Definition des Durchschnittsösterreichers (frei nach Angaben des österreichischen Statistischen Zentralamtes) an die Spitze: Er hat ein Durchschnittsalter von 36,9 Jahren und bei der Geburt eine Lebenserwartung von 68,9 Jahren (männlich) und 76,1 Jahren (weiblich); er ist zu 41,5 Prozent berufstätig bzw. zu 18,5 Prozent Pensionist etc.; er ist zu 48 Prozent (männlich) und zu 43 Prozent (weiblich) verheiratet und hat eine durchschnittliche

Kinderzahl von 2,10, lebt allerdings in einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,79 Personen.

Er verdient 9.581 Schilling, genießt 7,42 Stunden Freizeit und unternimmt zu 54,5 Prozent einen motorisierten Tagesausflug; die täglichen Ernährungsgewohnheiten belaufen sich auf ein Viertelkilogramm Fleisch, 16 Dekagramm Erdäpfel, 13,5 Deka Mehl, dazu konsumiert er 0,742 Eier pro Tag, etwa ein Viertelkilo Gemüse und täglich immerhin fast 18 Deka Frischobst, daneben aber noch 5,4 Deka Zitrusfrüchte; an Getränken nimmt er pro Tag einen Drittelliter Milch, knapp 0,3 Liter Bier und (man höre und staune) nicht einmal einen Zehntelliter Wein zu sich, dazu trinkt er jährlich noch 107 Schalen Tee.

Da die Vielfalt der (neuen) Parteien und ihrer spezifischen Programme den kommenden Urnengang zur Wahl der Qual für jeden einzelnen Stimmbürger werden läßt, verlange ich eine überparteiliche, für jedermann und jeder- frau ohne Gewissensbisse und ohne Entscheidungskrämpfe wählbare Partei, „Die Partei Aller“, kurz DPA genannt, mit dem Parteiprogramm für den Durchschnittsösterreicher (siehe oben).

Die(se) Partei Aller legt sich auf keine nominierte Kandidatenliste fest, sondern bietet jedem mündigen (in Ausnahmefällen auch unmündigen) Bürger die Möglichkeit, formlos und ohne Rücksicht auf Ansehen und Rang einen (erreichten) Parlamentssitz für sich zu beanspruchen (bei etwaigem Kandidatenüberschuß entscheiden das Los und die Wurzel aus der Körpergröße mal der Anzahl der plombierten Vorderzähne über den Einzug ins Hohe Haus).

Das Programm der DPA unterliegt keiner starren schriftlichen Formulierung, sondern entspricht den täglichen Meinungsschwankungen der einzelnen, aktiven Parteizugehörigen, die sich theoretisch — nomen est omen — aus allen Bewohnern des Landes zusammensetzen könnten. Vorschläge für ein Ideen-, Ideologie- und Programmskelett der DPA gibt es schon in reicher Zahl, von denen ich nur einige wenige aufzählen möchte.

Die DPA fordert und verlangt vehement:

• alle Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitglieder verpflichten sich, bei all ihren Reden stets die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen (um die Redezeiten im Parlament wesentlich herabzusetzen);

• einen ganzjährigen „Musikantenstadl“ mit integrierten Sportnachrichten auf einem Fernsehkanal täglich durchlaufend bis zur Bundeshymne;

• die sofortige Inbetriebnahme des Kraftwerkes Zwentendorf, allerdings mit der Auflage, daß im Kraftwerk kein radioaktives Material verwendet werden darf;

• die Aufnahme des Benzinpreises in das soziale Preisgefüge und die Einführung einer „Benzinpreishilfe“ für benzinnotleidende Autofahrer ähnlich der Sozialhilfe;

• bei Abfahrtsrennen in Österreich, die live im Fernsehen übertragen werden, siegt derjenige Läufer, welcher bei absichtlichen Stürzen die wildesten Salti schlägt und letztlich die schwer sten Knochenbrüche aufzuweisen hat;

• die Finanzierung des Konferenzzentrums durch ein großangelegtes Gewinnspiel „Wir-finan- zieren-uns-unser-Konferenzzen- trum-selber-Quiz“ mittels 100.- Schilling-Gewinnkarten (Hauptpreis: eine Woche Mitarbeit beim Bau des Konferenzzentrums);

• jede sonntägliche Zeitung darf gegen Einwurf von Hosenknöpfen, Metallscheiben oder Fünf- Groschen-Stücken aus den Plastiktaschen der Zeitungsständer entnommen werden (ein Leihsystem „nach Gebrauch in den Ständer zurück“ scheint überlegens- wert);

• Heurigenlokale und Heurigengebiete stehen unter dem besonderen Schutz der Exekutive unter dem Motto „Kein Alkotest, keine Führerscheinabnähme — bei Autofahrern mit Alkoholfahne!“ (im Umkreis von jeweils fünf Kilometern darf kein Gendarmerieoder Polizeibeamter im Dienst zu erblicken sein);

• bei Fit-Märschen und nationalen Ski-Wandertagen werden die geforderten Marschkilometer radikal auf höchstens zwei Kilometer herabgesetzt, gleichzeitig wird der Gratisausschank von Wein und Bier (notfalls auch Milch) an durstige und erschöpfte Teilnehmer eingeführt;

• ein neues Schulunterrichtsgesetz soll die Abschaffung negativer Noten sowie die „Lehrerbenotung“ durch die Schüler bringen, wobei den Eltern der Lehrer bei der Notengebung demokratisches Mitspracherecht eingeräumt werden soll;

• für Büroangestellte wird der mittägliche Büroschlaf obligat, für Arbeiter der blaue Montag (einmal wöchentlich) arbeitsfrei;

und so weiter, und so weiter, dem Programm der DPA sind keine Grenzen gesetzt. Wer immer sich von dieser Partei angesprochen fühlt, erhebe sich von seinem bequemen Sessel der Politikverdrossenheit und entwerfe weitere programmatische Zielpunkte, denn unserer Phantasie sind keine politischen Grenzen gesteckt. Gott sei Dank nicht!

Angesichts dieser vielversprechenden Ansätze sollte jeder begreifen, daß die DPA genau jene Partei ist, die Österreich bisher noch gefehlt hat.

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