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Digital In Arbeit

Die Wirtschaft mit den Schülern

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Wissen ist Macht. Über wirtschaftliche Zusammenhänge nichts zu wissen, macht nichts. Bekannte Sprüche. Dabei wird Weiterlernen wichtig -und das weiß man längst;

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Wissen ist Macht. Über wirtschaftliche Zusammenhänge nichts zu wissen, macht nichts. Bekannte Sprüche. Dabei wird Weiterlernen wichtig -und das weiß man längst;

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Sosehr ich nach ihm Ausschau halte, der wirklich zeitgemäße Schulabgänger ist mir noch nicht untergekommen: derjenige, der beim Abgang von der Schule von einem Gefühl der Befreiung erfüllt ist - aber nicht, weil er jetzt endlich alle Prüfungen hinter sich, sondern weil er jetzt endlich genügend Zeit vor sich hat, in all die Wissensbereiche tiefer einzu-dringen, auf die ihn der Lehrer unbändig neugierig gemacht hat.

Ich werde mich wohlweislich hüten, in fremden Revieren zu wildern, aber was mein eigenes Fach betrifft, wage ich zu behaupten, daß die Allgemeinbildende Höhere Schule trotz mehrjährigem Unterricht in Geographie und Wirtschaftskunde nach wie vor überwiegend ökonomische Analphabeten entläßt, weil in aller Regel anstelle von Wirtschaftsverständnis kognitive Wirtschaftskunde vermittelt wird, also abprüfbares 3-D-Wis-sen: Daten, Dogmen, Definitionen.

Was damit gemeint ist? Versuchen wir's mit einem Beispiel: Wirtschaftlich gebildet bin ich nicht, wenn ich auswendig hersagen kann, wie der Begriff „Brut-to-Inlandsprodukt“ (BIP) im Lehrbuch definiert wurde, und wenn ich womöglich außerdem noch lernen mußte, daß im Jahre 1984 das österreichische BIP 1.290 Milliarden betragen hatte. Ungleich mehr wäre für mein Wirtschaftsverständnis getan worden, hätte man meine grauen Zellen nicht als Datenspeicher, sondern als Programmspeicher belegt. Wo ich zum Beispiel nachschauen muß, wenn ich Angaben über die Größe des österreichischen Bruttoinlandsprodukts brauche; daß ich sorgfältig zu unterscheiden habe zwischen der nominellen und der realen Zuwachsrate des BIP; warum eine reale Zuwachsrate von zwei Prozent nicht und eine solche von drei Prozent kaum ausreicht, einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit hintanzuhalten; daß wir hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts je Kopf der Bevölkerung Großbritannien überholt haben und unsererseits von Japan überholt worden sind.

Die Scheu davor, gerade in dem (mir einzig geläufigen) Bereich der Ökonomie Verständnisfragen zu stellen, anstatt bloß das (Kurzzeit-) Gedächtnis zu chek-ken, hängt natürlich aufs engste damit zusammen, daß diese unglückliche „Wirtschaftskunde“ Geographieprofessoren aufgebürdet wurde, die sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl ihr Minimum an ökonomischen Basiswissen erst im nachhinein erwerben mußten.

. Dies etwa in Form von sozusagen auf Festplatten gespeicherten „Programmen“ nach dem Muster: „Wenn Arbeitslosenrate gefragt, schau dort und dort nach, aber beachte die starke Saisonkomponente; seriöser Vergleich also nur mit demselben Monat eines anderen Jahres möglich!“ Oder auch höchst praktisch: „Mißtraue jedem Angebot, das zugleich hohen Gewinn und absolute Sicherheit verspricht, denn diese beiden Geldanlageziele schließen einander aus!“

Wer beispielsweise im Mathematikunterricht die Differentialrechnung nicht bloß als mechanische Anwendung von Ableitungsregeln vermittelt bekommen hat, wird in Betriebswirtschaftslehre das Aha-Erlebnis haben, in der Grenzkostenkurve die erste Ableitung des Durchschnittskostenverlaufes zu erkennen. Er wird dann aber auch begreifen (wenn, auch bedauern), daß von jeder Gehaltserhöhung notwendigerweise ein überproportional großer Teü weggesteuert werden muß, wenn von 50.000 Schilling Monatseinkommen gerechterweise prozentuell mehr an den Staat gehen soll als von 10.000 Schilling. Daß eine „education permanente“ — ein unbedingtes Weiterlernen in Zukunft - notwendig ist, steht längst außer Diskussion. Noch nicht einmal ernsthaft in Diskussion hingegen steht, wie sich dieses Ziel verwirklichen ließe.

Der Autor ist Herausgeber der Finanznachrichten, der Wochenschrift für Wirtschaftspolitik. Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Artikel im Heft Nr. 16/1986.

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