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Ein Rückschritt für die Ökumene

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9. Gerade da ist die Stelle, wo auch unsere getrennten Brüder nicht mehr mitkönnen. In „Christ und Weit“‘ (2. VIII. 1968) lesen wir: „Genau an diesem Punkte wird die päpstliche Stellungnahme problematisch. Anstatt dem Menschen zu helfen, jenes souveräne Individuum zu werden, hält sie ihn nach wie vor für unmündig, sperrt ihn in einen Käfig, vollgespickt mit vielerlei Anordnungen und sondert ihn vor der Welt ab. Ob man mit solcher Lehre den Menschen zum Besseren erziehen kann, ist fraglich. Theologisch versteht sich die katholische Kirche nicht so sehr als Mittler zwischen Gott und den Menschen, sondern als Richter. Sie praktiziert damit eine Moral, die, sanft ausgedrückt, väterliche Fürsorge genannt werden kann, mit harten Worten Ausdruck von Macht und Herrschaft ist Hätte diie Enzyklika das Prinzip der verantwortungsvollen Elternschaft mit ihrer Entscheidungsfreiheit vor Gott in den Mittelpunkt gerückt, hätte sie mit Erfolg viel zu sagen vermocht — vieles, was man nicht von der Hand weisen kann.“ Es ist zu befürchten, daß damit die Kluft zwischen den christlichen Konfessionen wieder vergrößert wird.

10. Die Herausgabe der Enzyklika stand sichtlich unter dem Eindruck eines allgemeinen Verfalls der Sittlichkeit. So werden als Folgen der künstlichen Geburtenregelung aufgezählt: Eheliche Untreue, Verflachung der Sittlichkeit, Mißachtung der Frauenwürde, sexueller Egoismus und Mißbrauch durch staatliche Behörden zur Zwangssterilisation der Bevölkerung. Daher müssen der möglichen Verfügungsgewalt des Menschen über seinen Körper und dessen Funktionen unübertretbare Grenzen gesetzt werden. Diese bestehen in der Integrität des menschlichen Organismus und seiner Funktionen und in der Wahrung des Ganzheitsprinzips. Die seelsorglichen Richtlinien betonen die Beherrschung des Trieblebens besonders bei der Einhaltung der periodischen Enthalt-

samkeit. Leider scheint gerade hier trotz aller Aszese einfach infolge der modernen Lebensumstände die Versagerquote ziemlich hoch zu sein. Was rät man aber den Frauen, deren Zyklus total unregelmäßig ist? Darf man schon eine geringe Unordnung als Krankheit ansehen und mit hormonalen Mitteln behandeln?

11. Mit besonderem Nachdruck empfiehlt der Heilige Vater das Familienapostolat, um durch Beratung und Aufklärung die Gewissen der Eheleute zu bilden und ihnen in ihrer Schwäche sakramentale Hilfe anzubieten. Die Eheleute mögen in ihren Schwierigkeiten im Wort und im Herzen des Priesters den Widerhall der Stimme und der Liebe des Erlösers finden.

Angesichts der heftigen weltweiten Kritik an diesem päpstlichen Rundschreiben kann man die letzten Absätze nur mit Beklemmung lesen: „Denn der Mensch kann das wahre Glück, das er mit allen Fasern seines Seins anstrebt, nur finden, in der Ehrfurcht vor den Gesetzen, die Gott in die Natur eingeschrieben hat und die der Mensch mit den Kräften seines Verstandes und seiner Liebe beobachten muß.“

Heißt es aber nicht auch in der Genesis: Macht euch die Erde untertan, herrschet über die Natur? Ist nicht unser modernes Leben in der Technik, Medizin, Landwirtschaft, Erziehung eine fortdauernde Manipulation der Natur?

Es ist nur zu hoffen, daß der im Rundschreiben an die Wissenschaftler, Ärzte, Eltern, Priester und Bischöfe gerichtete Appell zur Mithilfe an der Lösung dieses Problems sehr ernst genommen wird. Es gibt ein Hören des kirchlichen Amtes auf die Stimme des Volkes Gottes, weil auch aus ihm der Geist spricht. Nicht Tradition oder Prestigegründe allein dürfen in der kirchlichen Lehre ausschlaggebend sein, sondern einzig und allein das Streben nach Wahrheit. Diese ist Vielschichtig und schwer zu finden.

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