Nahost: Friedensappelle als Komplizen von Gewalt?
Die christliche Solidarität mit Israel stolpert dieser Tage zu oft. Warum es statt halbherziger Friedensappelle und Versöhnungsaufrufen ein wehrhaftes Christentum braucht. Ein Gastkommentar.
Die christliche Solidarität mit Israel stolpert dieser Tage zu oft. Warum es statt halbherziger Friedensappelle und Versöhnungsaufrufen ein wehrhaftes Christentum braucht. Ein Gastkommentar.
Dass Terror entschieden die Stirn zu bieten sei, scheint unstrittig, solange die Mittel dafür sich in Statements und Fürbitten erschöpfen. Die pazifistische Grundhaltung im Christentum kommt in diesen Tagen allerdings schnell an ihre Grenzen. Christliche Solidarität mit Israel stolpert zu oft. Weichen Christen auf halbherzige Friedensappelle aus, weil sie ein gestörtes Verhältnis im Umgang mit Gewalt überhaupt haben?
Diese Störung zeigte sich auch bei Papst Franziskus während eines Telefonats am 22. Oktober 2023 mit US-Präsident Joe Biden, in dem der Pontifex lediglich den Angriff auf Zivilisten verurteilte, ohne die Hamas zu benennen. Diese fehlende Eindeutigkeit überträgt sich auf weitere kirchliche Strukturen – und das ist inakzeptabel.
Ein Beispiel aus der Nachbarschaft: Hätten jüdische Verbände nicht im Vorfeld heftig protestiert, hätte sich Klaus Peter Franzl, Dompfarrer des Münchner Liebfrauendoms, mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am 6. November zu einem interreligiösen „Friedensgebet“ auf den Marienplatz gestellt – Schulter an Schulter mit Personen aus dem Muslimrat, die regelmäßig gegen Jüdinnen und Juden hetzen. Einige Stunden vor dem geplanten Beginn wurde die Veranstaltung schließlich seitens der Stadt abgesagt – mit dem etwas beleidigten Hinweis, die Zeit für ein „Friedensgebet“ sei wohl „derzeit“ nicht gegeben. Gewiss, ein friedliches Miteinander wünscht sich jeder, doch die Kontexte sind auf dem Münchner Marienplatz eben andere als im Gazastreifen oder im Oblast Saporischschja oder in der Sahelzone. Unter Umständen klingen Friedensgebete nicht nur wie fromme Wünsche, sondern wirken schnell selbstgefällig.
Wenn #PeaceNotWar kriegerisch wird
Das arglose Kumbaya, das die christliche Nachkriegstheologie benebelt zu haben scheint, führt zu Gewalt und Fehleinschätzungen. Wie kann es sein, dass sich Katholikinnen und Katholiken dreißig Tage nach der massivsten Schändung von Jüdinnen und Juden seit der Schoa an die Seite jener gestellt hätten, die mit seichtem Whataboutism taktieren? Wo bleibt hier die absolute Solidarität mit Menschen in Israel und jüdischen Menschen weltweit? Es bräuchte hier die Einsicht, dass ein Friedensgebet die augenblickliche Ohnmacht von Jüdinnen und Juden, das Gefühl von Vulnerabilität, Wut, Schmerz und das Bedürfnis nach neuer Selbstbehauptung übergeht, wenn es bereits eine Reaktion vorschreibt.
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