Reifeprüfung: Sixtus Beckmessers Deutschmatura

19451960198020002020

Diesen Freitag findet die standardisierte Reifeprüfung im Fach Deutsch statt. Wie das darin verwirklichte didaktische Beckmessertum jede Kreativität torpediert. Ein Gastkommentar.

19451960198020002020

Diesen Freitag findet die standardisierte Reifeprüfung im Fach Deutsch statt. Wie das darin verwirklichte didaktische Beckmessertum jede Kreativität torpediert. Ein Gastkommentar.

Werbung
Werbung
Werbung

Sowohl in der Wiener Staatsoper als auch im Linzer Musiktheater steht derzeit Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm. Ein Besuch ist nicht nur Opernfreund(inn)en zu empfehlen, sondern auch dem Freundeskreis „kompetenzorientierter Didaktik“. Am Beispiel des Meistersingers Sixtus Beckmesser können sie sehen und hören, wie es um die Kunst stünde, würden Pedanten wie Beckmesser die Richtung vorgeben.

Wagners Oper ist eine treffende Satire auf jene unangenehme Sektion der Kunstkritik, die sich im Besitz eines verbindlichen Regelsystems für die „Herstellung“ von Musik und Literatur wähnt. Ein wirklich gutes Lied hat zwar auch „handwerkliche“ Implikationen, es ist aber mehr als ein Werkstück. Harmonielehre, Metrik, Metaphorik – das alles kann man lernen; dichten und komponieren nur zum Teil.

Schön und gut, wird man nun einwenden, aber was hat das mit „kompetenzorientierter Didaktik“ im Allgemeinen und mit der standardisierten Reifeprüfung aus Deutsch im Speziellen zu tun? Leider ziemlich viel – zumindest dann, wenn man auch einen Schüleraufsatz als sprachlich-kreative Hervorbringung achtet. Allein die Richtlinien, nach denen die Aufgaben für die Reifeprüfung erstellt werden müssen, sind Beckmesserei, ein pedantischer Regelkanon, der die Sache einerseits unnötig verkompliziert, andererseits ein Korsett schnürt, das Schreibprozesse so sehr reglementiert, dass intellektuelle Dürftigkeit und formale Uniformität die Folge sind.

Verkrampfte Formulierungen

So sieht sie nämlich aus, die Bastelanleitung, nach der die Schreibaufgaben für die Reifeprüfung aus Deutsch (und daher auch für Schularbeiten in der Sekundarstufe II) zusammengeleimt werden müssen: Erstens wähle man aus einem Kanon von sieben Textsorten eine aus. Damit bewegen wir uns noch im akzeptablen Bereich. Die Meinungsrede, der Kommentar, die Textinterpretation etc. sind geeignete Textsorten. Zweitens suche man einen Text, der sich als Ausgangsmaterial für die Schreibaufgabe eignet. Auch das ist sinnvoll.

Bis hierher wäre die Sache auf einem guten Weg, aber plötzlich trampelt Sixtus Beckmesser auf die Bühne und sagt: Drittens formuliere man exakt drei Einzelanweisungen für den Schreibprozess und bediene sich dabei eines Kanons von Operatoren (das sind Verben, die Handlungsanweisungen geben, zum Beispiel fasse zusammen, erläutere, stelle dar). Die kanonisierten Operatoren sind drei Kategorien zugeordnet (Reproduktion, Reorganisation und Reflexion). Alle drei Kategorien müssen in der Aufgabenstellung berücksichtigt werden, und jede der drei Teilanweisungen darf nur einen Operator enthalten. Verboten ist es, schlichte Fragen zum Text zu stellen, auch wenn das zielführend wäre. – Alles klar? Die Folgen solch einer Bastelanleitung sind verkrampfte Formulierungen und inhaltliche Reduktionen. Die geistige Eigenleistung wird ebenso beschnitten wie ihr gestalterischer Freiraum. Das Ergebnis sind biedere, einander ähnliche Texte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung